Rikon ehrt den Dalai Lama – die Frage nach seiner Nachfolge bewegt
Während die tibetische Gemeinschaft den 90. Geburtstag des Dalai Lama feiert, wird eifrig über dessen Nachfolge diskutiert. Peter Oberholzer vom Tibet-Institut in Rikon sagt, warum diese für das Volk zur Schicksalsfrage wird.
Herr Oberholzer, an der Fassade des Tibet-Instituts hängt seit Kurzem ein Fotobanner zu Ehren des Dalai Lama. Am Wochenende wurde es feierlich eingeweiht. Was steckt dahinter?
Peter Oberholzer: Der Dalai Lama ist als Schirmherr unseres Klosters eng mit uns verbunden. Mit seinem 90. Geburtstag am Sonntag hat für die Tibeter-Gemeinschaft das «Jahr des Mitgefühls» begonnen. Verschiedene Organisationen veranstalten Aktionen, um seinen Einsatz – eben für das Mitgefühl und den Dialog zwischen den Religionen – zu würdigen. Das etwa vier mal sieben Meter grosse Fotobanner ist unser Beitrag dazu.
Wie lief diese Einweihung ab?
Zunächst haben die Mönche ein tibetisches Langlebegebet für den Dalai Lama gesprochen. Dann folgte ein sogenanntes Rauchopfer – eine rituelle Zeremonie, bei der Wacholder- und Tannenzweige verbrannt werden. Schliesslich wurde dann das Bild offiziell gesegnet.








Der Dalai Lama hat das Tibet-Institut schon 15-mal besucht, zuletzt 2018. Erwarten Sie in Anbetracht seines hohen Alters, dass er Rikon zeitlebens noch einmal besucht?
Als ich vor zwei Jahren als Geschäftsleiter begann, rechnete ich nicht damit, dass er die Schweiz noch einmal besuchen würde – seit 2018 reiste er kaum mehr ins Ausland. Sein kurzer Aufenthalt in der Schweiz letztes Jahr, in dessen Rahmen er auch das Hallenstadion füllte, kam überraschend und war bedingt durch seine Knieoperation in den USA. Wir konnten ihn dann kurz mit den Mönchen im Hotel treffen. Zu unserem 60-Jahr-Jubiläum in drei Jahren werden wir ihn sicher wieder einladen. Ob er uns besuchen wird, wissen wir aber nicht.
Peter Oberholzer ist seit 2023 Geschäftsleiter des Tibet-Instituts in Rikon. Die Verbundenheit zur tibetischen Gemeinschaft rührt von seiner verstorbenen Frau, die Tibeterin war. Zuvor war der 55-Jährige während 20 Jahren als Jurist bei der Grossbank UBS tätig. Selbst ist er kein gläubiger Buddhist, aber «den buddhistischen Lehren verbunden». (nos)
Sie sagten es schon: Der Dalai Lama ist eng mit dem Kloster verbunden. Im Hinblick auf den 90. Geburtstag gab es Diskussionen um seine Nachfolge. Wird diese Verbindung mit seinem Nachfolger genau gleich sein?
Ich gehe davon aus, dass die nächste Institution Dalai Lama diese Schirmherrschaft weiterführen wird. Man muss jedoch unterscheiden zwischen der Institution Dalai Lama und der Person des jetzigen Amtsinhabers. Das ist auch deshalb wichtig, weil er – laut Tradition – in der Person eines Kleinkinds wiedergeboren wird, das zuerst gefunden werden und aufwachsen muss, bevor es seine Pflichten wahrnehmen kann. Das wird für die tibetische Gemeinschaft eine spannende Phase.
Inwiefern?
Der aktuelle Dalai Lama musste im Alter von 15 Jahren die Regierungsgeschäfte übernehmen und als Vertreter der Tibeter mit dem chinesischen Machthaber Mao Zedong verhandeln. Heute liegt die politische Macht nicht mehr in seinen Händen, aber faktisch ist er noch immer eine sehr starke Identifikationsfigur. Viele Tibeter sind mit ihm aufgewachsen, er hält das Volk quasi zusammen. Wenn nach ihm ein Kind zum Dalai Lama wird, wird sich diese Dynamik verändern. Die Rollen von Exilparlament und -regierung werden dann wohl wichtiger.
Hinzu kommt, dass die Besatzungsmacht China einen eigenen Dalai Lama ernennen könnte. Welchen Einfluss hat das, wenn es künftig neben dem rechtmässigen Nachfolger eine Art chinesische Marionette gäbe?
Ich halte es für wahrscheinlich, dass China das tun wird und diesen als «echten» Dalai Lama inszenieren wird, um so das tibetische Volk zu spalten. Vermutlich würde China dann versuchen, «seinen» Dalai Lama ähnlich zu präsentieren, wie dies heute beim tibetischen Original gehandhabt wird. Für die Tibeter ist klar, dass sie nur ihren Dalai Lama akzeptieren. Die Frage ist aber, wie die westliche Welt reagiert, zumal gerade auch die politische Schweiz im Umgang mit dem Dalai Lama immer recht vorsichtig war, weil sie China nicht verärgern wollte.

Deshalb hat der Dalai Lama auch angekündigt, er werde in der freien Welt, also im Exil, wiedergeboren.
Genau – was wiederum China verärgerte. Am Mittwoch betonte er zudem, dass allein seine Stiftung über die Nachfolge entscheiden wird. Unser Stiftungsrat hatte bereits letztes Jahr entschieden, dass wir gegen eine Politisierung sind – und dass sich keine Drittparteien in diese religiöse Entscheidung einmischen sollen.
Und was ändert sich für das Tibet-Institut, wenn der aktuelle Dalai Lama nach seinem Tod als verbindende Figur nicht mehr in Erscheinung tritt, bis sein Nachfolger erwachsen ist?
Als einziges tibetisch-buddhistisches Kloster in Europa unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama könnten wir einen Teil dieser verbindenden Aufgaben übernehmen. Unsere Bedeutung für die Tibeter-Gemeinschaft würde also sogar zunehmen.
Zurück zum Schwerpunktjahr «Mitgefühl», das sie seit letztem Wochenende begehen. Was ist dort sonst noch geplant?
Wir werden verschiedene Kurse mit Fokus auf das Thema «Mitgefühl» anbieten. Ausserdem sind Spezialveranstaltungen über die Institution Dalai Lama, Vorträge und eine Podiumsdiskussion mit Vertretern verschiedener Religionen, ebenfalls zum Thema «Mitgefühl», geplant.