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Er war Jurist bei der UBS, dann übernahm er das Tibet-Institut

Peter Oberholzer ist Geschäftsleiter des Tibet-Instituts in Rikon. Er spricht Tibetisch, war aber noch nie in Tibet. Und wird vermutlich auch nie einreisen können.

«Dem Buddhismus verbunden, aber eher als Philosophie», Geschäftsleiter Peter Oberholzer im Gebetsraum in Rikon.

Foto: Christian Merz

Er war Jurist bei der UBS, dann übernahm er das Tibet-Institut

Buddhismus in Rikon

Peter Oberholzer ist Geschäftsleiter des Tibet-Instituts in Rikon. Er spricht Tibetisch, war aber noch nie in Tibet. Und er wird vermutlich auch nie einreisen können.

Samantha Zaugg

Im Gebetsraum riecht es nach Räucherstäbchen und Blumen. Der Geruch hat sich in den letzten Jahrzehnten im Raum festgesetzt, in den Wänden, den Teppichen und der Holzdecke. Das Tibet-Institut Rikon gibt es seit 56 Jahren. Seit einem Jahr ist Peter Oberholzer der neue Geschäftsleiter.

Er führt durch den Gebetsraum und gibt einen Überblick. Er spricht über die wahren Schätze des Klosters, die Gebetsbücher, die wichtigsten Schulen des tibetischen Buddhismus, vier an der Zahl, und die Funktion der Gebetsfahnen – der Wind trägt die Gebete hinaus in die Welt.

Bezug zu Tibet durch die Familie

«Ich bin kein gläubiger Buddhist, aber den buddhistischen Lehren verbunden», sagt Oberholzer. Eben sind die Mönche von einem Ausflug heimgekehrt. Oberholzer wechselt ein paar Worte auf Tibetisch mit Geshe Tenzin Jangchup, dem Abt des Klosters. Dieser ist gerade unterwegs zu seinem Deutschkurs. Sie spassen, wer der Chef im Haus ist. Beide verweisen auf den jeweils anderen.

Auf diesem Platz sitzt der Dalai Lama, wenn er in Rikon ist. In seiner Abwesenheit sitzt ein Platzhalter im Gebetsraum.
Auf diesem Platz sitzt der Dalai Lama, wenn er in Rikon ist. In seiner Abwesenheit sitzt ein Platzhalter im Gebetsraum.

Die Sprachkenntnisse und die Verbundenheit zur tibetischen Gemeinschaft kommen von Oberholzers Familie. «Meine Frau war Tibeterin.» Die beiden lernten sich in der Schule in Uznach kennen, der Gemeinde, in der sie aufgewachsen sind. Sie waren 25 Jahre verheiratet. 2020 hat die Pandemie die Welt fest im Griff. Gleichzeitig wird bei Oberholzers Frau Krebs diagnostiziert. Sie stirbt nach zwei Jahren Krankheit.

«Nach dem Tod meiner Frau habe ich hier selbst erfahren, welchen Halt die seelsorgerische Begleitung gibt», sagt Oberholzer. Auch für die Familie war es wertvoll, dass die Mönche die nötigen Gebete sprechen konnten. Nach diesem Einschnitt wollte er sich auch beruflich verändern.

Vom Paradeplatz ins Tösstal

Vor seiner Zeit im Tibet-Institut arbeitete Oberholzer bei der UBS als Jurist. Ursprünglich ist er Anwalt, bei der Grossbank war er in verschiedenen Führungspositionen tätig, spezialisiert auf arbeitsrechtliche Fragen auf der ganzen Welt: «Die 20 Jahre bei der UBS waren eine super Zeit», sagt Oberholzer. Dennoch suchte er nach Veränderung in seinem Arbeitsumfeld. «Der Tod meiner Frau hat mir gezeigt, wie schnell sich alles ändern kann.»

«Zuerst dachte ich an einen Wechsel innerhalb der Firma», sagt Oberholzer. Doch dann stiess er per Zufall auf das Inserat in der NZZ. Oberholzer hatte die Ausgabe nicht gelesen, sie wäre beinahe im Altpapier gelandet. Er meldete sich auf das Inserat, es folgten einige Gespräche. Schliesslich trat er die Stelle im November 2023 an.

Vom Finanzplatz in Zürich ins Tösstal, vom gewinnorientierten Konzern ins spirituelle Institut, von der Führungsposition in die Teilzeitstelle. «Ich habe bewusst eine andere Umgebung und eine andere Arbeitsweise gesucht.»

Besuch vom Dalai Lama

All das erzählt Peter Oberholzer in seinem Büro, einem schlichten Raum mit einem Holztisch. Hier arbeitet er an drei Tagen in der Woche in einem kleinen Team. «Ich weiss, ich darf und muss hier Dinge selber machen. Das schätze ich.» Er gibt Führungen für Schulklassen, organisiert Kurse, schreibt Jahresberichte, budgetiert, überblickt das Spendenwesen, hütet das Telefon und organisiert den Monteur, wenn die Heizung streikt.

«In einem grossen Unternehmen wie der UBS gibt es für alles einen Experten. Du musst jede Frage mit 40 Leuten absprechen.» Oberholzer spricht von Compliance, Legal, Marketing. Durchs Fenster schweift der Blick ins Tal hinunter auf den Tobelhof, das Getreidesilo und Bienenstöcke.

Im Waldstück unmittelbar neben dem Gebäude hängen zahlreiche Gebetsfahnen. Besuchende bringen sie mit und hängen sie auf.
Im Waldstück unmittelbar neben dem Gebäude hängen zahlreiche Gebetsfahnen. Besuchende bringen sie mit und hängen sie auf.

So ruhig wie an diesem Tag ist es nicht immer. Zum tibetischen Neujahr, oder wenn der Dalai Lama hier ist – er war schon 15-mal in Rikon –, herrscht Hochbetrieb. Zahlreiche Tibeterinnen und Tibeter kommen dann ins Tösstal, um «Seine Heiligkeit» zu sehen.

Arbeit in der Pfannenfabrik

In der Schweiz und in Liechtenstein leben rund 8000 Tibeterinnen und Tibeter. Viele von ihnen kommen mindestens einmal im Jahr ins Tibet-Institut. In den 1960er Jahren nahm die Schweiz 1000 tibetische Flüchtlinge auf. Sie wurden in verschiedenen Orten angesiedelt, oft in Gegenden, in denen die Textilindustrie ansässig war. So auch im Tösstal. Auch die Pfannenfabrik Kuhn Rikon bot Anfang der 1960er Jahre einigen tibetischen Familien Arbeit und Wohnung an.

Auf Initiative der Familie Kuhn wurde 1968 das Institut gebaut, um ihren Arbeitnehmern und anderen Tibetern in der Schweiz ein spirituelles Umfeld zu bieten. Dies geschah in Absprache mit dem Dalai Lama. Das Institut in Rikon ist das einzige tibetisch-buddhistische Kloster in Europa. Es ist als gemeinnützige Stiftung organisiert und beherbergt zurzeit sieben tibetische Mönche.

Das Tibet-Institut Rikon soll die tibetische Kultur allgemein zugänglich machen. So sind der Gebetsraum und das morgendliche Gebet öffentlich zugänglich. Zudem werden Kurse für Meditation und Buddhismus sowie Führungen angeboten. Das soll weiter vertieft werden. Bei seinem Besuch 2013 in Rikon verkündete der Dalai Lama, das Kloster in Rikon solle ein Ort des Lehrens und Lernens sein.

Blick auf den Dalai Lama in einer Menschenmenge
2018 war der Dalai Lama zuletzt im Tibet-Institut. Bis heute steht für ihn allzeit ein Gästezimmer bereit. (Archiv)

Den Ausbau des Kursangebots nennt Peter Oberholzer denn auch als wichtigstes Thema: «Unsere Mönche sind hochgelehrte buddhistische Philosophen. Wir möchten unsere Angebote breiter zugänglich machen.» Beispielsweise wolle man einzelne Kurse auch online anbieten. Weiter will er bei der Rekrutierung zukünftiger Mönche darauf achten, dass sie besser Englisch sprechen, um ein breiteres Publikum anzusprechen.

Es mag erstaunen, dass Peter Oberholzer nie in Tibet war. Er hätte das Land gerne besucht, doch er geht davon aus, dass er mittlerweile nicht mehr einreisen könnte. Das Tibet-Institut Rikon steht unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama, und es ist anzunehmen, dass China die Tätigkeit des Klosters registriert.

Im Gespräch wird klar: Peter Oberholzer ist in Rikon angekommen. Ob er hier oben pensioniert werde, könne er nicht sagen, schliesslich lasse sich die Zukunft nicht vorhersagen. Aber er habe vor, zu bleiben: «Die Arbeit macht mir sehr viel Spass.» Oberholzer spricht über die zahlreichen Rückmeldungen, die das Tibet-Institut von Besuchenden bekommt. «Diese Wertschätzung ist nicht wie bei einer Bank messbar, aber sie zeigt den Sinn der Arbeit. Ich kann so zu etwas beitragen, das von vielen Menschen geschätzt wird, das ist sehr befriedigend.»

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