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Justiz

Brandstifterin von Elgg vor Gericht

Sie wollte nur ihren Kater zurück – und versetzte ein ganzes Dorf in Angst

Unter Einfluss von Antidepressiva und Alkohol wurde die Beschuldigte zur Brandstifterin. Nun stellt sie sich ihren Opfern und muss in die Psychiatrie.

Eine Brandserie erschütterte im Frühling 2024 das Landstädtchen Elgg. Jetzt musste sich die Brandstifterin vor Gericht verantworten.

Foto: Enzo Lopardo

Sie wollte nur ihren Kater zurück – und versetzte ein ganzes Dorf in Angst

Unter Einfluss von Antidepressiva und Alkohol wurde die Beschuldigte zur Brandstifterin. Nun stellt sie sich ihren Opfern und muss in die Psychiatrie.

Wer ist es? Wer geht im Dorf um und zündet Häuser und Scheunen an? Diese Frage beschäftigt im Frühjahr 2024 das Landstädtchen Elgg. In den Medien ist sofort von einem «Feuerteufel» die Rede.

Alte Erinnerungen werden wach, Befürchtungen und Spekulationen machen die Runde: Ist es wieder ein Feuerwehrmann? Wie vor über zehn Jahren, als die Polizei nach 30 gelegten Bränden einen damals 25-jährigen Feuerwehrmann überführte.

Nein, ein Feuerwehrmann ist es dieses Mal nicht. An einen Feuerteufel erinnert die kleine, schmächtige Frau auch nicht, als sie am Mittwoch das Bezirksgericht Winterthur betritt. Sie trägt ein schwarzes Outfit mit pinkfarbenem Kragen, nimmt vorsichtig Platz auf ihrem Stuhl und beantwortet die Fragen des Richters leise, aber deutlich. Nach wenigen Minuten bricht sie bereits in Tränen aus. Während der rund einstündigen Befragung wischt sie sich immer wieder schluchzend mit dem Nastuch über das Gesicht.

Dies ist die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter Mitte 40, die um ihren Kater trauert und plötzlich die Kontrolle über ihr Leben verliert.

Gefängnis oder Psychiatrie?

Ja, wer ist die Person, die innert vier Monaten acht Brände in ihrem Heimatdorf gelegt hat? Und wieso, wieso nur hat sie diese Feuer gelegt, mitten im Dorfkern, wo die Häuser Wand an Wand stehen? Das wollen die zwei Dutzend Privatkläger wissen, die hinter der Beschuldigten im Gerichtssaal sitzen. Es sind die Männer und Frauen, die bei den Bränden ihr Hab und Gut verloren haben.

Für das Gericht geht es an dieser Verhandlung aber noch um eine andere Frage: Muss die Beschuldigte ihre Freiheitsstrafe in einer psychiatrischen Klinik oder im Gefängnis verbüssen?

Denn umstritten sind die Vorwürfe nicht. Die Frau gibt zu, sämtliche ihr angelasteten Feuer gelegt zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert wegen mehrfacher Brandstiftung und versuchter Brandstiftung eine unbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Ein psychiatrisches Gutachten attestiert der Beschuldigten jedoch eine verminderte Schuldfähigkeit. Will heissen: Obwohl sie als zurechnungsfähig gilt, ist ihre Schuld im Vergleich zu einem gesunden Menschen geringer. Das Gericht kann die Strafe entsprechend reduzieren. Auch wegen einer hohen Rückfallgefahr empfiehlt die Gutachterin eine stationäre Massnahme.

Die Fragen hängen also zusammen: Um beurteilen zu können, wie ihre Bestrafung aussehen soll, muss man zuerst verstehen, wer die Beschuldigte ist.

Brandstiftung für ihren toten Kater

Die alleinerziehende Mutter lebt zurückgezogen im Dorf. Eine «Eigenbrötlerin», sagen die Bewohnenden. Sie leidet an psychischen Problemen: Panikattacken, Depressionen. Diese werden verstärkt, als sie im März letzten Jahrs ihre Stelle verliert und kurz darauf ihren Kater Speedy einschläfern lassen muss.

Nach dem Tod ihres Haustiers bricht ihre Welt vollends zusammen. Sie beginnt, sich täglich zu betrinken, und verstösst damit gegen die Anweisungen ihrer Therapeutin, das ihr verschriebene Antidepressivum nie mit Alkohol zu mischen. Die Beschuldigte betäubt ihren Schmerz – bis sie plötzlich Stimmen hört.

Diese Stimmen – «eine befehlende und eine kindliche» – seien es gewesen, die sie zu den Bränden angestiftet hätten, sagt sie vor Gericht.

Richter: «Hat die Stimme Ihnen versprochen, dass Sie Ihren Kater zurückbekommen, wenn Sie Feuer legen?»

Beschuldigte: «Ja.»

Richter: «Sind Sie nicht erschrocken, als Sie das zum ersten Mal gehört haben?»

Beschuldigte: «Zu dem Zeitpunkt habe ich das geglaubt. Jetzt weiss ich, dass das völlig falsch war und ich der Stimme nicht hätte glauben sollen.»

Richter: «Stimmt es, dass Sie beim sechsten Brand im April versuchten, sich gegen die Stimme zu wehren?»

Beschuldigte: «Ja, ich habe mit ihr eine Diskussion begonnen. Ich sagte: ‹Wenn es nicht stimmt, was du mir versprichst, will ich es nicht machen.›»

Richter: «Und da hat die Stimme gesagt, es müssten acht Brände sein?»

Beschuldigte: «Ja, acht ist das Unendlichkeitszeichen. Die Stimme sprach von Reinkarnation: Ich werde zwei Büsi adoptieren, sagte sie, und so werde mein Speedy zu mir zurückkehren.»

Am 16. März 2024 nimmt die Beschuldigte also ein leeres Tomatensaucenglas, füllt es in ihrer Garage mit Motorenöl und Petroleum, kippt das Gemisch über die Holztreppe eines leer stehenden Bauernhauses und zündet es an. Kaum lodern die Flammen, versucht die Frau, das Feuer mit ihren Füssen wieder auszulöschen. Das gelingt ihr aber nur teilweise. Als sie den Tatort verlässt, glimmen noch einige Glutnester.

Vom Wind erneut entfacht, greift das Feuer auf fünf Häuser über, 40 Personen müssen evakuiert werden, es entsteht ein Sachschaden von rund 2,5 Millionen Franken.

Man sieht die Rückstände einer abgebrannten Scheune.
Aufgrund der Brandserie in Elgg entstand ein Sachschaden von über 2,5 Millionen Franken.

Privatklägerin: «Ich musste mitten in der Nacht aus meiner Wohnung rennen, ohne irgendetwas, Funken regneten vom Himmel. Das macht etwas mit einem. Das kann man nicht wegstecken. Ich kann meinen Vorhang nicht mehr ganz zuziehen, weil ich eine Verbindung nach draussen brauche. Das Feuer war gewaltig, das Fenster feuerrot. Ich hatte keine Kleider zum Wechseln am nächsten Tag, das Bett ist geschwommen.»

Die Bewohnerin von Elgg zeigt Reue

In den nächsten Monaten versucht die Frau, weitere sechs leer stehende Liegenschaften sowie ein Auto in Brand zu stecken. Nachdem das Tomatensaucenglas kaputtging, tränkt sie fortan eine WC-Rolle in Brandflüssigkeit und nimmt sie in einem Plastiksack mit an die Tatorte. Einmal klemmt sie das Toilettenpapier in die Holzfassade einer Scheune und zündet es an. Innert Kürze steht das ganze Gebäude in Vollbrand.

Die Hälfte der Brände wird allerdings von selbst wieder ausgelöscht.

Beschuldigte: «Die Stimme sagte mir: ‹Hier funktioniert es nicht. Wir müssen es nochmals probieren.›»

Nach den gelegten Bränden kehrt die Frau in ihre Wohnung zurück. Dort «erwacht» sie wieder, wie sie vor Gericht sagt. «Als ich das Feuer und die weinenden Betroffenen auf der Strasse sah, wusste ich gar nicht, dass ich der Auslöser dafür war.» Die Episoden der Brandstiftung seien schwarz, sie habe keine bewusste Erinnerung daran, sehe nur einzelne Bildsequenzen.

Privatkläger: «Wir sind gehörlose Menschen. Für uns war die Situation lebensbedrohlich. Wir haben geschlafen, konnten das Feuer nicht hören und haben den Brand nicht bemerkt. War Ihnen nicht klar, dass bei uns kein Licht brannte und wir bereits im Bett waren?

Beschuldigte: «Nein, wirklich nicht.»

Auch in ihrem Schlusswort zeigt sich die Beschuldigte reuig. Sie werde all die Verluste und Traumata nie wieder gutmachen können. Es tue ihr unendlich leid. Sie habe sich für ihre Probleme geschämt. Heute sei ihr klar, dass sie hätte Hilfe annehmen sollen.

Eine stationäre Massnahme empfindet die Anwältin der Beschuldigten dennoch für nicht angebracht. Sie fordert, dass ihre Klientin ihre Freiheitsstrafe in einer Wohngruppe im Gefängnis verbüsst und gleichzeitig eine ambulante Therapie absolviert.

Verletzen sollte die Brandstiftung niemanden

Doch das Gericht ordnet eine stationäre Massnahme an. Die Elgger Brandstifterin muss sich für drei Jahre in einer psychiatrischen Klinik behandeln lassen. Ausserdem wird sie zu mehreren Genugtuungs- und Schadenersatzzahlungen an Opfer und Versicherungen verurteilt.

Am schwersten ins Gewicht fällt der erste Brand, bei dem es sich um eine qualifizierte Brandstiftung handelt. Das heisst, andere Personen waren an Leib und Leben bedroht. Für das Gericht ist aber klar, dass die Beschuldigte nie einen Tötungsvorsatz hatte, sie habe eine Verletzung der Opfer lediglich in Kauf genommen.

Wer also ist die Brandstifterin von Elgg, und wie gehört sie bestraft?

Richter: «Sie sind nicht jemand, der andere verletzen wollte. Sie haben bewusst leer stehende Häuser ausgewählt und sogar einige Feuer selbst wieder gelöscht. Sie waren auch auf keinem Rachefeldzug, sondern wollten nur Ihre Katze zurück. Sie wissen, dass Sie etwas Furchtbares getan haben. Es wartet aber noch viel Arbeit auf Sie. In einer solchen Behandlung kommt es oft zu Rückschritten. Diese können in einem stationären Rahmen besser aufgefangen werden.»

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