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Gut auch für die Fische

Das ist der neue Berufsfischer auf dem Greifensee

Es gibt wieder einen Fischer auf dem Greifensee. Das sind gute Nachrichten für die Gourmets in der Region und – so erstaunlich das klingen mag – auch für die Felchen, denen er nachstellt.

Seit vier Generationen fischt die Familie Weidmann auf dem Zürichsee. Jetzt hat Samuel Weidmann auch die Seepacht auf dem Greifensee erworben.

Foto: Simon Grässle

Das ist der neue Berufsfischer auf dem Greifensee

Gut auch für die Fische

Es gibt wieder einen Fischer auf dem Greifensee. Das sind gute Nachrichten für die Gourmets in der Region und – so erstaunlich das klingen mag – auch für die Felchen, denen er nachstellt.

Samuel Weidmann kneift die Augen zusammen und blinzelt in die Sonne, die an diesem milden Novembernachmittag über dem Zürichsee strahlt. Es ist gerade Schonzeit, und der erfahrene Berufsfischer hat die Musse für ein Gespräch über seinen Beruf, über dessen Schönheit und seine Zukunftsaussichten und auch über sein neues Projekt auf dem Greifensee.

Seit mehr als 20 Jahren fährt der 45-Jährige täglich von Stäfa auf den Zürichsee und legt seine Netze aus: Nun hat er auch die Seepacht auf dem zweitgrössten Gewässer im Kanton Zürich erworben.

In der Tiefe lauert der Tod

«Der Greifensee ist wunderschön», sagt Weidmann. Doch so idyllisch er mit seinen Schilfgürteln, Riedwiesen und Flachmooren auch wirkt, in der Tiefe lauert der Tod. Es sind die Nachwirkungen des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums im letzten Jahrhundert, gepaart mit Sorglosigkeit. In grossen Mengen waren damals ungeklärte Abwässer, Dünger aus der Landwirtschaft und Rückstände von phosphathaltigen Waschmitteln in den See geflossen, bis dieser schliesslich kippte.

An einem internationalen Treffen von Gewässerschutzfachleuten im Jahr 1967 wurde der Greifensee zum «schmutzigsten See von Europa» gekürt. Nachzulesen ist dies im Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (NGZH) aus dem Jahr 2022.

Auch wenn in den letzten 50 Jahren grosse Fortschritte erzielt wurden, gibt es im nur rund 30 Meter tiefen Gewässer bis heute eine Todeszone ohne Sauerstoff: den Seegrund. Weidmann beschreibt ihn als «schwarze, grusige, pflödrige Masse» und als riesiges Problem für die Felchen. Denn im Gegensatz zu Hecht oder Egli, die ihren Laich im flachen Wasser an Schilfhalmen und Wasserpflanzen ablegen, sinken die Eier der Felchen auf den Boden des Greifensees. In der Schlammschicht sterben sie ab, bevor sie sich zu kleinen Fischen entwickeln können.

Der Fischer braucht den Felchen – und umgekehrt

Der Felchen gilt als der «Brotfisch» der Schweizer Berufsfischer. Doch wie ein Fischer auf dem Greifensee den Felchen braucht, so ist auch dieser auf den Fischer angewiesen, um zu überleben. Deshalb wird Weidmann am 8. Dezember sein kleines Boot erstmals zu einem Probefang auf den See steuern. Sein Ziel: Weibchen mit genügend reifen Eiern im Leib. Sobald er an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen solche Tiere in seinen Netzen vorfindet, wird er die kantonalen Fischereiaufseher verständigen und mit dem Laichfischfang starten.

Die Fischereiaufseher werden die Rogner (Weibchen) und die Milchner (Männchen) abstreifen und auf diese Weise den Laich befruchten, der anschliessend in die kantonale Fischzuchtanlage nach Pfäffikon kommt. Dort werden sich die Fischeier innert etwa dreier Monate zu kleinen Fischen entwickeln, die wieder im Greifensee ausgesetzt werden.

Das Schicksal des Pfäffikersees unterscheidet sich nicht grundlegend von jenem seines grösseren Nachbarn. Auch der Pfäffikersee war im letzten Jahrhundert eine Kloake und gilt heute als Erfolgsbeispiel des Gewässerschutzes. Wie im Greifensee führten ab den 1970er Jahren der Bau moderner Kläranlagen, das Verbot phosphathaltiger Waschmittel und gezielte Sanierungsmassnahmen zu einer deutlichen Verbesserung.

Anfang Dezember informierte das VPP-Seeforum der Vereinigung Pro Pfäffikersee über den drittgrössten See im Kanton. Trotz dem aktuell guten Zustand benannten die Verantwortlichen verschiedene Herausforderungen.

Invasive Arten wie die Quaggamuschel gefährden unsere Gewässer. Im Zürichsee wurde die aus dem Schwarzmeerraum stammende Muschel 2024 erstmals entdeckt, der Pfäffikersee und der Greifensee gelten aktuell als quaggafrei.

Eine Einschleppung hätte gravierende Folgen. Die Quaggamuschel filtert Phytoplankton in grossem Stil, was zu klarerem Wasser, aber auch zu gestörten Nahrungsketten und übermässigem Pflanzenwuchs führen kann. Bootsbesitzer müssen ihre Fahrzeuge vor dem Einwassern gründlich reinigen, um die Ausbreitung zu verhindern. Denn ist die Quaggamuschel einmal in einem Gewässer nachgewiesen, ist es unmöglich, sie wieder loszuwerden.

Trotz den Fortschritten bleibt der Pfäffikersee anfällig. Der Klimawandel führt zu längeren Schichtungsphasen im Wasser, was Sauerstoffmangel in der Tiefe begünstigt. Höhere Wassertemperaturen fördern die Algenblüte und dadurch die Bildung von Cyanotoxinen, die für Mensch und Tier gefährlich sind. Extremwetter wie Starkregen spült übermässig Nährstoffe ein, während Trockenperioden die Verdünnung von Schadstoffen erschweren.
(sco)

«Laichfischerei ist Ehrensache», sagt Samuel Weidmann. Aber sie ist für einen Berufsfischer auf dem Greifensee auch eine ökonomische Notwendigkeit: «Überliesse man die Felchen sich selbst, würde der Bestand innert weniger Jahre zusammenbrechen.» Die Felchen, die heute im Greifensee leben, stammen allesamt aus der Fischzucht und gehen auf Sandfelchen aus dem Zürichsee zurück, die man in den 1970er Jahren im Greifensee auszusetzen begann.

Nur ein Beruf oder eine Berufung?

Der 45-Jährige spricht von Herzblut und Leidenschaft, wenn er über seine Tätigkeit spricht, die mehr Berufung ist: «Es ist ein wundervoller Beruf – sinnvoll wie sinnstiftend und unbedingt erhaltenswert.» Nach einer Lehre als technischer Modellbauer arbeitete er ein paar Jahre im Lehrbetrieb weiter. Später absolvierte er die Ausbildung zum Fischwirt, um als Berufsfischer auf den See hinauszufahren. So wie schon sein Vater, sein Grossvater und sein Urgrossvater die Netze auf dem Zürichsee ausgeworfen hatten – und wie es dereinst vielleicht auch einer seiner beiden Söhne tun wird.

Es ist in der Familie ein ungeschriebenes Gesetz, eine Lehre in einem «normalen» Beruf zu machen, bevor man Fischer wird. Das hat wirtschaftliche Gründe: «Die Zeiten für die Fischerei waren nicht immer rosig. So hat man ein zweites Standbein, falls der See zu wenig hergibt.» Denn als Berufsfischer sei man von der Natur abhängig: «Ich kann nichts erzwingen, sondern muss das annehmen, was der See mir bietet.»

Die Natur habe ihn Demut gelehrt, sagt Weidmann. Der Zürichsee, an dem er aufgewachsen ist und den er in- und auswendig kennt, ist für ihn ein «Kraftort». Den Greifensee müsse er erst kennenlernen.

Der Greifensee ist eine Chance

An einem guten Tag zieht Weidmann 100 bis 150 Kilogramm Fisch aus dem Zürichsee. Das ergibt zwischen 30 und 60 Kilogramm Filets. Es dominieren die zwei Felchenarten Sandfelchen und Albeli, auch kleiner Schweber genannt. Aber auch Egli, Hecht, Seeforellen, Wels und diverse karpfenartige Fische landen in seinen Netzen. Die Erträge schwanken saisonal: «Juni bis September sind starke Monate. Dann aber lassen die Erträge nach.» Von Januar bis April verdient Weidmann auf dem Zürichsee kaum noch etwas.

Genau darum hat er sich um die Seepacht auf dem Greifensee beworben: «Er ist ein Ausweg für mich.» Denn die Erträge auf dem Zürichsee seien tendenziell rückläufig. Es mag etwas absurd erscheinen: Aber der Grund ist neben dem Klimawandel auch die immer bessere Wasserqualität.

Berufsfischer Samuel Weidmann steht am Ende seines Bootsstegs in Stäfa. Links ist sein Motorboot zu sehen, im Hintergrund ein Schilfgürtel.
«Der See hat mich Demut gelehrt. Ich kann nichts erzwingen, sondern muss das annehmen, was er mir bietet»: Für Samuel Weidmann ist der See auch ein «Kraftort».

Der Zürichsee ist an seiner tiefsten Stelle mehr als 130 Meter tief, und dank dem Gewässerschutz gibt es auch in grossen Tiefen mehr Sauerstoff, was den Lebensraum der Fische massiv vergrössert. Weidmann: «Wenn sich die Fische in den obersten Gewässerschichten aufhalten, sind sie einfach zu fangen. In grösseren Tiefen wird das deutlich schwieriger.»

Für einen Fischer bedeutet das mehr Aufwand, um die Erträge zu halten: «Ich brauche mehr Netze. Ich brauche mehr Zeit, um die Netze auszulegen und einzuholen. Und ich brauche mehr Benzin, weil ich auf dem See grössere Strecken zurücklege.»

Für Samuel Weidmann ist der Greifensee ein willkommenes zweites Standbein. Im sauerstoffarmen tiefen Wasser können sich die Fische nicht aufhalten, sie sind also relativ einfach zu fangen. Der Stäfner wird nur in den Wintermonaten auf dem Greifensee fischen. Das hat mehrere Gründe: erstens die erwähnten schwachen Erträge auf dem Zürichsee, zweitens die Qualität der Greifensee-Fische. «Die Qualität ist im Winter viel besser. Im Sommer müssen sich die Fische wegen des Sauerstoffgehalts in Gewässerschichten aufhalten, die für sie nicht ideal sind. Das hat einen Einfluss auf die Fleischqualität.»

Und drittens ist er im Winter auf dem Greifensee ungestört. Im Sommer ist der Freizeitdruck auf dem 2,3 Quadratkilometer kleinen See zu gross. Es gebe Tage mit bis zu 600 Stand-up-Paddlern auf dem See, erzählt Weidmann. Die Zahl habe ihm einer der Ranger genannt.

Die Nachhaltigkeit des heimischen Fischs

Das Fleisch von Süsswasserfischen gilt als sehr gesund. Es liefert Proteine, Omega-3-Fettsäuren, verschiedene Vitamine und Mineralstoffe. «Und es gibt kein tierisches Eiweiss, das eine bessere CO2-Bilanz aufweist als lokaler Fisch aus Wildfang», hält Weidmann fest. «Fisch ist ein Rohstoff, der vor unserer Haustür wächst. Es wäre doch schade, würden wir diesen Rohstoff nicht nutzen.»

Auch die kurzen Wege machen die Felchen, Egli, Hechte oder Seeforellen zu nachhaltigen Nahrungsmitteln: Ehefrau Sina führt den kleinen Laden in Stäfa, der 2019 eröffnet wurde. Ab dem 11. Dezember wird sie jeweils am Donnerstag, Freitag und Samstag von 13.30 bis 16 Uhr auch im Laden in Riedikon stehen. Dieser stand leer, seit Weidmanns Vorgänger Andreas Zollinger den See Ende April 2024 verlassen hatte.

Ein blaues Schild mit der weissen Aufschrift «Fischerei Weidmann». Darüber sieht man ein kleines Ziegeldach mit grünem Moos.
Der Schriftzug hängt schon an der Riedikerstrasse. Am 12. Dezember öffnet der Laden, der seit Mai 2024 leer stand.

Die Zukunftsaussichten – die Angst schwingt mit

Dieser hatte Riedikon den Rücken gekehrt, nachdem seine achtjährige Seepacht ausgelaufen war. Das kantonale Amt für Landschaft und Natur (ALN) untersuchte im selben Jahr, wie stark die Fische in Zürichsee, Greifensee und Pfäffikersee mit Chemikalien belastet sind. Bei der Analyse ging es in erster Linie um per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), sogenannte Ewigkeitschemikalien.

Im März 2025 gab es Entwarnung. Zwar wurden in allen 130 untersuchten Egli, Hechten, Schwalen und Felchen PFAS nachgewiesen. Beim Hecht lagen die Werte teilweise sogar leicht über den gesetzlichen Höchstwerten. Trotzdem befanden die Experten im ALN, die Fische seien bedenkenlos essbar, und schrieben die Seepacht wieder aus.

Porträt von Berufsfischer Samuel Weidmann. Ein Mann mit sehr kurzem Haar und dunklem Hoodie steht am Zürichsee. Im Hintergrund ist Schilf zu sehen.
«Wir alle haben Angst»: Die Belastung der Gewässer mit PFAS und anderen Chemikalien beunruhigt die Schweizer Berufsfischer.

Der Verzehr der Fische aus den drei grossen Zürcher Seen ist unbedenklich. Trotzdem beschäftigt das Thema die Berufsfischer in der Schweiz. Erst vor vier Wochen wurde der Verkauf der Raubfische Hecht und Egli aus dem Zugersee verboten, weil die Belastung mit PFAS zu hoch ist.

Eine Neubeurteilung finde erst wieder statt, «wenn sich die PFAS-Werte im Zugersee ausreichend gesenkt haben und die genannten Fischarten eine PFAS-Belastung unterhalb der geltenden Höchstgehalte aufweisen», teilte der Kanton Zug mit.

Auch wenn die Zürcher Gewässer deutlich weniger stark belastet sind als der Zugersee, so beschäftigt Weidmann das Schicksal seiner Berufskollegen in der Zentralschweiz: «Der Verkauf der Fische wird verboten, aber angemessene Entschädigungen oder Unterstützung vom Staat gibt es nicht.»

Die Berufsfischer in der Schweiz blicken mit Sorgen in die Zukunft, auch Samuel Weidmann: «Wir alle haben Zukunftsängste. Wenn wir Egli, Felchen oder Hecht nicht mehr verkaufen dürfen, können wir einpacken.»

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