Sanierung des Spitals Wetzikon: Ein Huhn-Ei-Problem hoch drei
Andreas Schweizer ist Dozent an der ZHAW und Experte für Fragen rund um Kreditrisiko- und Turnaround-Management. In seinem Gastbeitrag schätzt er die Lage am GZO Spital Wetzikon ein.
Andreas Schweizer ist Dozent am Institut für Financial Management der ZHAW School of Management and Law, wo er sich unter anderem mit Fragen rund ums Kreditrisikomanagement inklusive Turnaround-Management sowie Sustainable Finance beschäftigt. In einer früheren Funktion war er von 2012 bis 2015 Mitglied des Spitalfinanzierungsteams der Zürcher Kantonalbank. Er ist im Oberland aufgewachsen und wohnt in Wetzikon. (erh)
Die Sanierung von Unternehmen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Wer ein Unternehmen wieder auf gesunde Beine stellen will, muss meist tiefgreifende und unpopuläre Entscheidungen treffen. Und vor allem: Sanierungen funktionieren nur, wenn alle Beteiligten mitziehen. Aktionäre, Management, Mitarbeitende, Banken, Gläubiger, Lieferanten – von allen wird ein Opfer abverlangt. Ohne gemeinsames Engagement bleibt dem Unternehmen oft nur der Konkurs.
Im Fall der GZO AG Spital Wetzikon ist die Lage noch komplexer. Denn hier treffen klassische Sanierungsherausforderungen auf strukturelle Probleme im Gesundheitswesen, hier stehen politische Entscheidungsprozesse unterschiedlichsten Gläubigerinteressen gegenüber. Und dann wäre noch der Zeitdruck.
>> Lesen Sie hier, was bisher in der Wetziker Spitalkrise passiert ist.
Wer die Entwicklung während der letzten zwölf Monate beobachtete, erlebte eine Zuspitzung von drei miteinander verwobenen Dilemmas – drei echte Huhn-Ei-Probleme.
1. Der operative Betrieb: Aktuell profitabel, aber mit Fragezeichen
Das Problem des Spitals ist und bleibt der zu teure Neubau. Der Spitalbetrieb selbst ist profitabel. Das spricht vor allem für das Engagement und die Loyalität der Mitarbeitenden. Doch wie nachhaltig ist diese Profitabilität?
Die Unsicherheit beginnt beim System selbst: Die Gesundheitsversorgung ist kein freier Markt. Leistungen und Entschädigungen werden zentral vom Bund oder von den kantonalen Gesundheitsbehörden vorgegeben. Gleichzeitig sind viele Effekte aktueller Reformen – etwa die Umstellung auf «ambulant vor stationär» – noch kaum abschätzbar. Es ist nicht klar, wie sich diese auf die Wirtschaftlichkeit von Spitälern allgemein auswirken werden.
Für das GZO kommen zwei weitere Faktoren hinzu: Erstens stuft die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich das Spital als «nicht systemrelevant» ein. In der Region sei ein Spital ausreichend, egal, welches. Die Existenzfrage steht also für alle Oberländer Spitäler im Raum.
Die plausibelste Perspektive liegt in einem Spitalverbund mit Uster und Männedorf. Zwar wurden vor einigen Jahren Gespräche mit dem Spital Uster geführt, die jedoch aufgrund der damals schlechten finanziellen Lage der Ustermer und infolge der Corona-Pandemie vertagt wurden. Nun sind die Vorzeichen für Wetzikon und Uster umgekehrt.
Zweitens bleibt die Frage des Neubaus unbeantwortet. Das Sanierungskonzept sieht einen Betrieb ohne Neubau vor. Doch wurde dieser einst geplant, damit das Spital Wetzikon zukunftsfähig bleibt. Wäre der Neubau nicht auch ein Mehrwert für einen Spitalverbund? Doch mit der Totalunternehmung Steiner AG, die ebenfalls in finanziellen Schwierigkeiten steckt, kam es zum Bruch. Und so fehlt beiden Parteien das Geld – und wohl auch das gegenseitige Vertrauen – für eine weitere Zusammenarbeit. Das erste Huhn-Ei-Problem.
2. Die Aktionäre: Demokratische Prozesse mit hohem Risiko
Die GZO AG gehört zwölf Aktionärsgemeinden. Eine Kapitalerhöhung als zentraler Bestandteil der Sanierung bedarf einer Zustimmung an den jeweiligen Gemeindeversammlungen oder Urnengängen. Das ist demokratisch richtig, aber in der Umsetzung ein gewaltiger Kraftakt mit ungewissem Ausgang.
Was passiert bei uneinheitlichem Ausgang? Die zustimmenden Gemeinden sind nicht verpflichtet, die Anteile der ablehnenden Gemeinden zu übernehmen. Diese Investition als (zu) riskant zu betrachten, ist mit Blick auf die skizzierten Fragen zur Spitallandschaft verständlich. Und eigentlich hat eine einzelne Gemeinde ja auch keinen Anreiz, frische Gelder ins Spital Wetzikon zu investieren. Solange die anderen Gemeinden das machen, bleibt der Spitalbetrieb bestehen, und damit ist auch der Zugang für die eigene Bevölkerung gewährleistet.
Nur stellt sich – im Sinne der klassischen Behavioral Finance – irgendwann die Frage, wo die kritische Masse liegt. Oder anders ausgedrückt: Wie viel der avisierten 50 Millionen Franken braucht es mindestens, um den Sanierungsplan erfolgreich umsetzen zu können. Die Anzahl Trittbrettfahrer ist damit beschränkt.
Derzeit empfehlen zehn Gemeinden die Annahme. Zwei raten zur Ablehnung, mit dem Argument, dass ein langfristiges Geschäftsmodell fehle und ohne Spitalverbund keine Perspektive bestehe.
Und genau dort liegt ein weiteres Dilemma: Uster und Männedorf wollen nur mit einem sanierten GZO über einen Spitalverbund sprechen. Gleichzeitig geben einige Aktionärsgemeinden einer Sanierung und damit einem Mitteleinschuss nur in einem Verbund eine Chance. Der Kreis schliesst sich – das zweite Huhn-Ei-Problem.
3. Die Gläubiger: Uneinheitlich und (teilweise) unnachgiebig
Die grösste Gläubigerposition des GZO stellen die Inhaber einer fälligen Obligation dar. Ein Schuldenschnitt scheint für eine Sanierung unumgänglich. Aufgrund sehr unterschiedlicher Einstandspreise (vor oder nach der Ablehnung einer Staatsgarantie durch den Kanton) trifft ein solcher nicht alle Obligationäre in gleichem Masse.
Einige Gläubiger verlangen eine vollständige Rückzahlung der Obligation, bis dahin progressiv steigende Zinsen und eine Verpfändung der Immobilien. Dabei ist deren gewinnbringende Verwertbarkeit wegen der Zonenordnung und des baulichen Zustands mehr als fraglich. Auch einem weiteren Mitteleinschuss durch die Aktionäre sind diese Gläubiger nicht abgeneigt.
Wichtig für eine Lösung ist jedoch die Opfersymmetrie: Dabei bringen Aktionäre frisches Kapital ein, um den Betrieb, zumindest einen Teil davon, weiterzubetreiben. Fortführungswerte sind höher als Liquidationswerte. Dies führt zu einer höheren Rückzahlung für die Obligationäre, auch wenn diese einen Teil ihrer Forderungen abschreiben müssen. Nur gemeinsam lässt sich der Schaden minimieren.
Zu beachten ist nämlich, dass auch die Gläubiger im Insolvenzfall hohe Verluste riskieren. In der Schweiz liegen die Konkursdividenden typischerweise im einstelligen Prozentbereich. In diesem Kontext ist der offerierte Schuldenschnitt nicht unattraktiv.
Doch auch hier gilt: Die Gläubiger wollen möglichst viel Geld sehen und setzen die Aktionärsgemeinden mit dem potenziellen Scheitern der Sanierung unter Druck. Die Aktionäre lehnen einen Mitteleinschuss zugunsten der Gläubiger ab und erwarten, dass sich auch die Obligationäre an der Sanierung beteiligen. Das dritte Huhn-Ei-Problem.
Fazit: Es geht nur mit allen
Die Situation ist unbefriedigend, aber sie ist nicht ausweglos. Der Schlüssel liegt in einem koordinierten Vorgehen aller Beteiligten:
- Die Aktionärsgemeinden müssen den Weg für einen Mitteleinschuss freimachen. Denkbar wäre, diesen an konkrete Fortschritte in Gesprächen mit Uster und Männedorf zu knüpfen.
- Die Gläubiger sollten sich von der Illusion einer vollständigen Rückzahlung verabschieden und stattdessen an einer Lösung mitarbeiten, die ihre Verluste begrenzt.
- Der operative Betrieb verdient Respekt, ist aber nur mit weiteren Massnahmen zukunftsfähig. Ohne Spitalverbund – und vermutlich auch ohne Fertigstellung des Neubaus – wird es keine solchen geben.
Die GZO AG befindet sich seit letztem Frühling in der Nachlassstundung. Diese verschafft Zeit, ist aber keine finale Lösung. Eine solche liegt im Dialog, in der Kompromissbereitschaft und im gemeinsamen Willen.
Denn eines ist klar: Wer nur wartet, dass die anderen den ersten Schritt tun, wird das Huhn-Ei-Dilemma nie lösen.