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Noch zwei Wochen

Das Ende der «Metzg» – Russikon verliert seine letzte Dorfbeiz

Die Tage des Restaurants zur Metzg in Russikon sind gezählt. Der Verkauf des Hauses steht unmittelbar bevor, die neuen Besitzer haben kein Interesse an der Beiz.

Walter Ehrenbold hat Käufer für den Familienbesitz im Zentrum von Russikon gefunden. Die Investoren werden die Dorfbeiz nicht weiterführen. (Archiv)

Foto: Simon Grässle

Das Ende der «Metzg» – Russikon verliert seine letzte Dorfbeiz

Noch zwei Wochen

Die Tage des Restaurants zur Metzg in Russikon sind gezählt. Der Verkauf des Hauses steht unmittelbar bevor, die neuen Besitzer haben kein Interesse an der Beiz.

Am 29. November endet ein Teil der Geschichte Russikons. Wenn gegen Mitternacht die letzten Gäste das Restaurant zur Metzg verlassen haben, wird Walter Ehrenbold zum letzten Mal den Geschirrspüler einräumen, zum letzten Mal die Eingangstüre abschliessen und zum letzten Mal aufstuhlen.

Dann ist Schluss. 90 Jahre, nachdem Ehrenbolds Grossvater, ebenfalls Walter mit Vornamen, das stattliche Gebäude erworben und eine Metzgerei und ein Restaurant eingerichtet hatte. «Das Haus wird auf Ende Januar verkauft. Für mich stimmt es so, jetzt ist der richtige Zeitpunkt», sagt der 64-Jährige und trinkt einen Schluck Kaffee. An diesem Dienstagmorgen sitzt er in der leeren Gaststätte – seit dem vergangenen Frühjahr führt er den Betrieb zu reduzierten Öffnungszeiten. Die «Metzg» ist nur noch am Montag und am Mittwoch offen.

Die Käufer des Gebäudes im Zentrum von Russikon kann und will Ehrenbold nicht namentlich nennen, da der Verkauf noch nicht ganz abgeschlossen ist. «Es ist eine Gruppe von Privatinvestoren», mehr gibt er nicht preis. Diese Investoren haben Interesse am Haus mit seinen sechs Mietwohnungen, nicht aber am Restaurant im Erdgeschoss.

Lange Suche nach einem Käufer

«Leider», sagt (Noch-)Mitbesitzer Ehrenbold. Seit einem Jahr hatte er einen Käufer für die Traditionsbeiz gesucht. Für 3,5 Millionen Franken war die Immobilie im Familienbesitz ausgeschrieben. «Ich hoffe, dass die ‹Metzg› als Speiserestaurant und Treffpunkt im Dorf weiterexistiert», sagte er im Dezember 2024. Aus diesem Grund blieb er auch länger Gastronom, als er ursprünglich geplant hatte: Er wollte, dass ein allfälliger Nachfolger nicht von null starten musste, denn: «Ein kaltes Restaurant ist für einen Käufer wenig interessant.»

Doch die Hoffnung hat sich zerschlagen und Russikon mit seinen 4600 Einwohnerinnen und Einwohnern verliert seine letzte Dorfbeiz.

Bereits seit mehr als einem Jahr ist der Landgasthof Krone geschlossen. Besitzer Peter Weber ist mittlerweile 79-jährig, er öffnet seine «Krone» nur noch sporadisch für Anlässe wie Klub- oder Parteiversammlungen oder auch für die Laienschauspieler des Theaters Russikon.

Porträt von Peter Weber, Wirt in der Krone Russikon. Er trägt ein rotes Polo und steht im altehrwürdigen Restaurant.
Peter Weber öffnet seinen Landgasthof Krone nur noch sporadisch: beispielsweise für Versammlungen oder für das Theater Russikon. (Archiv)

Diese führen vom 23. Januar bis 7. Februar 2026 im Saal ihre neuste Produktion auf, eine Komödie mit dem Titel «Zoff im Paradies». Wer «Krone» und «Russikon» ins Suchfeld von Google eintippt, der findet den Hinweis «vorübergehend geschlossen».

«Dauerhaft geschlossen» wird nach dem 29. November bei den Suchresultaten für die «Metzg» stehen. Der Grund für die Schliessung ist banal und auch nicht neu für eine Branche, die mit veränderten Konsumgewohnheiten kämpft. Es geht ums Geld.

Eine Frage der Rendite

Der Wert eines Renditeobjekts errechnet sich aus den zu erwartenden Erträgen. Und hier schneidet ein Restaurant – und sei es noch so gut verankert und noch so traditionsreich – traditionell schlecht ab. «Die Banken finanzieren einen Kauf nur, wenn aus dem Restaurant Büros oder Wohnungen werden», erklärt Ehrenbold.

Gemeindepräsident Hirsiger: «Wir bedauern das Ende der ‹Metzg› sehr»

Eine Hiobsbotschaft ist das Ende des Restaurants zur Metzg auch für Philip Hirsiger. Der parteilose Gemeindepräsident von Russikon zeigt sich in einer Stellungnahme bestürzt: «Das ist eine ganz schlechte Nachricht für Russikon. Aus Sicht der Gemeinde bedauern wir die Schliessung sehr.» Das Schicksal der «Metzg» habe die Menschen bewegt, sagt Hirsiger. Er habe in den letzten Monaten immer wieder Gespräche mit besorgten Russikerinnen und Russikern geführt, die um das Vereinsleben in der Gemeinde fürchten.

Dass die Kommune selbst als Käuferin auf den Plan trete, war nie ein Thema. «Es liegt nicht in der Verantwortung der Gemeinde, eine Beiz zu führen. Zudem wäre das mit einem hohen finanziellen Risiko verbunden», sagt Hirsiger und fügt an, dass man Russikon nicht mit Illnau-Effretikon vergleichen dürfe: Russikons viermal grössere Nachbargemeinde besitzt seit 1976 das Restaurant Rössli. Dieses geniesst über die Region hinaus einen ausgezeichneten Ruf und wurde erst vor Kurzem vom Gastroführer «Gault Millau» mit 14 Punkten ausgezeichnet.

Die Prioritäten in Russikon seien anders gelagert, sagt Hirsiger und erwähnt verschiedene Investitionen, die in naher Zukunft auf seine Gemeinde zukommen: «Wir müssen haushälterisch mit unseren Mitteln umgehen.» (sco)

Die «Metzg» stammt aus dem Jahr 1890. Trotzdem ist das Haus in hervorragendem Zustand. 2014 liess es Ehrenbold grundlegend sanieren, ehe er als Wirt einstieg. Aus dieser Zeit stammen auch die sechs Wohnungen. Die neuen Eigentümer hätten zugesichert, dass die Mietverhältnisse weitergeführt werden: «Das ist uns wichtig. Darum wollten wir auch nicht an irgendwelche Spekulanten verkaufen.»

Aussenansicht des Restaurants zur Metzg in Russikon. Ein stattliches Haus mit roten Fensterläden.
Die «Metzg» in Russikon: Das Restaurant im Erdgeschoss wird zu Wohnungen oder Büros umgebaut. (Archiv)

Dass Ehrenbold überhaupt zum Gastronomen wurde, ist dem Zufall geschuldet: Er ist gelernter Metzger und arbeitete später lange Jahre in der Logistik. Den Entscheid, den Familienbetrieb selbst zu führen, fällte er mit der grossen Sanierung vor elf Jahren. «Wir haben damals keinen geeigneten Pächter gefunden.»

Als Quereinsteiger machte der gebürtige Russiker das Restaurant zum beliebten Treffpunkt im Dorf. Auch die Online-Bewertungen sind, abgesehen von den üblichen Ausreissern, weit überdurchschnittlich. Spezialität des Hauses sind – wie es sich für eine «Metzg» gehört – das Rindsfilet von stattlichen 300 Gramm mit Beilagen für bescheidene 42 Franken und das frisch zubereitete Cordon bleu in sechs Varianten.

Eine familieninterne Nachfolgelösung für das Lokal fand sich nicht. Ehrenbold ist zwar dreifacher Vater, seine Kinder sind aber erst acht, sieben und vier Jahre alt: «Und ich stehe kurz vor dem Erreichen des Pensionsalters. Es ist Zeit, etwas Neues zu starten.»

Wirtschaftlich sei es immer aufgegangen, sagt Ehrenbold, auch wenn es nach Corona härter geworden sei: «Die Leute essen am Mittag nicht mehr auswärts.» Am 29. November wird er seine Traditionsbeiz ein letztes Mal aufschliessen. Zur Ustrinkete.


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