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Wirtschaft

Ende der Selbstständigkeit

«Die Übernahme ist eine Riesenchance für Bioengineering und für Wald»

Nach mehr als 50 Jahren hat die Bioengineering AG in Wald ihre Unabhängigkeit verloren. Das muss keine schlechte Nachricht sein.

Marcus Bernhardt übernahm 2022 das Präsidium des Verwaltungsrats der Bioengineering AG. Unter seiner Führung kam die Übernahme durch die japanische Morimatsu-Gruppe zustande.

Foto: Simon Grässle

«Die Übernahme ist eine Riesenchance für Bioengineering und für Wald»

Ende der Selbständigkeit

Nach mehr als 50 Jahren hat die Bioengineering AG in Wald ihre Unabhängigkeit verloren. Für den Standort sei das eine gute Nachricht, sagt VR-Vizepräsident Marcus Bernhardt.

Man kann nicht behaupten, dass die Japaner trödeln: Vor drei Wochen wurde die Übernahme des Biotech-Unternehmens Bioengineering AG in Wald durch die Morimatsu-Gruppe publik. Und schon wenige Tage später war die Schweizer Tochtergesellschaft als eigenständiger Geschäftsbereich auf der Website des Konzerns zu finden.

«Japan und die Schweiz, das passt», sagt Marcus Bernhardt, der die Übernahme als Präsident des Verwaltungsrats orchestriert hat. «Unsere Unternehmenskulturen sind sehr ähnlich. Sie sind von Respekt und Vertrauen geprägt. Und wie Bioengineering stellt auch Morimatsu die Mitarbeitenden ins Zentrum.»

Die Ausgangslage

90 Mitarbeitende zählt die Bioengineering AG. Das Unternehmen stellt Bioreaktoren oder Fermenter her. 80 Angestellte sind am Hauptsitz in Wald und an einem zweiten Produktionsstandort in Jona tätig, dazu kommen einige Servicetechniker und Verkäufer in China, Südkorea und den USA. Über Umsatzzahlen schweigt man sich aus.

Zum Vergleich: Morimatsu beschäftigt 5000 Mitarbeitende. Das Unternehmen unterhält Standorte unter anderem in China, Südkorea, Indien und den USA. Der Jahresumsatz der Morimatsu-Holding betrug im vergangenen Jahr rund 7 Milliarden Yuan oder 775 Millionen Schweizer Franken.

Dass das japanische Unternehmen seine Zahlen in der chinesischen Währung publiziert, hat einen Grund: Morimatsu produziert in China, die Dachgesellschaft ist an der Hongkonger Börse kotiert. In Europa ist das Unternehmen mit Niederlassungen in Stockholm und Mailand vertreten, verfügte aber über keinerlei Produktionskapazitäten – bis vor drei Wochen.

«Die Übernahme durch Morimatsu ist eine Riesenchance für das Unternehmen und für den Standort Wald», sagt Marcus Bernhardt. «Das gilt auch für die Mitarbeitenden, für die sich mit einem Schlag internationale Möglichkeiten auftun.» Er selbst hat mit dem Einstieg der Japaner einen Schritt zurück gemacht, bekleidet seither in einem 50-Prozent-Pensum das Amt des VR-Vizepräsidenten.

Doch der Reihe nach: Gegründet wird die Bioengineering AG im Jahr 1972. Die Firma produziert Druckbehälter, in denen Mikroorganismen oder Zellen optimale Lebensbedingungen vorfinden. Eingesetzt werden sie unter anderem in der Pharmazie für die Produktion von Impfstoffen und Medikamenten oder seit einigen Jahren auch für die Herstellung von Lebensmitteln wie Fleischersatzprodukten.

So wird beispielsweise im Valley in Kemptthal im sogenannten Cultured Food Innovation Hub, einer Partnerschaft von Migros, Givaudan und Bühler, mit Bioreaktoren aus Wald an Laborfleisch getüftelt.

1972: Die Bioengineering AG wird am 3. Mai 1972 in Uster von Pio Meyer und Hans Müller gegründet.

1973: Die erste Pilotanlage wird gebaut. Der 300-Liter-Fermenter wird an das Max-Planck-Institut in München geliefert.

1978: Die Firma zieht von Uster nach Wald, wo sich bis heute der Hauptsitz befindet.

1981: Trennung der Firmengründer. Hans Müller verlässt das Unternehmen, das von Pio Meyer weitergeführt wird.

1994: Bioengineering eröffnet die erste Niederlassung in China. Später kommen Standorte in den USA (2010) und Südkorea (2018) dazu.

2009: Gabriella Meyer, Tochter des Firmengründers, übernimmt die Geschäftsführung.

2014: Bezug einer neuen Montagehalle in Jona. Die 1300 Quadratmeter grosse Halle ermöglicht den Bau grösserer Anlagen.

2023: Zwei Schweizer Privatinvestoren übernehmen die Aktien der Bioengineering AG.

2025: Verkauf der Bioengineering AG an die japanische Morimatsu-Holding. (sco)

Die Palette der Bioengineering AG reicht vom kompakten 1-Liter-Laborreaktor für Hochschulen und Forschungsinstitute bis zu grossen Produktionsanlagen mit Kapazitäten von bis zu 50’000 Litern. Mit seinen massgeschneiderten, hochwertigen Anlagen geniesst das Unternehmen weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Unter den Kunden finden sich bekannte Namen wie Pfizer, Bayer, Sandoz oder Astra Zeneca.

Bis 2023 bleibt das Unternehmen im Besitz der Familie Meyer. Dann übernehmen zwei Schweizer Privatinvestoren die Aktien von Gabriella Meyer, der Tochter des Firmengründers.

Der Strategiewechsel

Marcus Bernhardt wird im November 2022 auf Vermittlung eines Headhunters zum Verwaltungsratspräsidenten der Bioengineering AG berufen. Die Wahl mag auf den ersten Blick erstaunen: Der heute 65-jährige Bündner blickt zwar auf eine lange Managementkarriere zurück, hat aber keinerlei Berührungspunkte zur Biotechnologie, sondern bekleidete Führungsfunktionen in weltweit tätigen Hotelgruppen (Radisson, Steigenberger), bei Fluggesellschaften (Gulf Air) und in der Autovermietung (Europcar).

«Technische Kompetenz ist im Verwaltungsrat der Bioengineering sehr gut vertreten. Aber es wurde jemand mit globaler Erfahrung gesucht. Man wollte einen Verwaltungsratspräsidenten, der sich mit verschiedenen Kulturen und mit dem Erarbeiten und der Umsetzung von Strategien auskennt», erklärt er seine Wahl.

Kaum im Amt, lässt Bernhardt keinen Stein auf dem anderen. Mit der «Strategie 2027+» beginnt er, das Unternehmen nach Jahren der Stagnation wieder auf Wachstum zu trimmen. Es folgen Wechsel in der Teppichetage. 2024 kommen mit Roland Durner und Andreas Strehler ein neuer CEO und ein neuer COO, im Frühjahr 2025 folgt mit Alexander Fross ein neuer Finanzchef.

Was auffällig ist: In den jeweiligen Medienmitteilungen wird darauf verzichtet, den scheidenden Managern mit den handelsüblichen, schwülstig-warmen Worten für ihren Einsatz und ihre Leistung zu danken. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Wechsel mit der neuen Strategie zusammenhängen.

Bernhardt kommentiert das nicht: «Wachstum ist zwingend für ein Unternehmen wie Bioengineering. Wenn die Kosten steigen – und das tun sie –, dann müssen auch die Erträge steigen. Sonst wird man irgendwann abgehängt.»

Die Übernahme

Mit der «Strategie 2027+» wird Bioengineering auf Wachstum getrimmt, ein Verkauf ist vorerst nicht vorgesehen. «Es gab immer wieder Anfragen betreffend eine Beteiligung an der Bioengineering AG oder auch eine komplette Übernahme», sagt Bernhardt. So kommen Ende 2024 gleich mehrere Unternehmen aus dem asiatischen Raum und eine europäische Firma auf die Walder zu. Bernhardt und seine Führungscrew haben nicht die Absicht, zu verkaufen. Trotzdem will man sich ergebnisoffen anhören, was die Kandidaten so zu bieten haben.

Bernhardt: «Uns wurde schnell klar, dass eine Übernahme durch einen grossen, finanzstarken Partner der Firma nur guttun kann.» Denn das Wachstum, um das sich das Strategiepapier dreht, muss finanziert werden. «Ein KMU kämpft immer mit limitierten Mitteln. In einem Konzern ergeben sich ganz andere Möglichkeiten.»

Dass die Wahl des Partners auf Morimatsu fällt, begründet Bernhardt einerseits damit, dass sich die beiden Unternehmen strategisch gut ergänzen. Auch Morimatsu stellt Bioreaktoren und Fermenter her, und das in grossem Stil. Mit Bioengineering holen sich die Japaner eine High-End-Boutique ins Portfolio, die ihnen bislang gefehlt hat. Ex-Hotelier Bernhardt erklärt es so: «Das lässt sich mit einer Hotelgruppe vergleichen, die bislang aus Drei- und Viersternehotels bestand und sich jetzt noch ein Fünfsternehaus erwirbt.»

Dazu kommt, dass die Japaner in den USA stark sind. Dort beschäftigt Bioengineering derzeit lediglich einen Servicemitarbeiter, der Anlagen wartet, die vor Jahren installiert wurden und noch immer in Betrieb sind. Die letzte Lieferung aus Wald nach Übersee liegt schon Jahre zurück. Das habe nichts mit den hohen Zöllen zu tun, erklärt Bernhardt: «Der Markt ist extrem umkämpft. Dafür sind wir eine Nummer zu klein.»

Die Zukunft

Morimatsu dürfte Bioengineering Zugang zu diesem riesigen Markt verschaffen. Im Gegenzug möchten die Japaner dank Bioengineering in Europa wachsen. «Sie sind der Meinung, dass die europäische Wirtschaft eine Talsohle erreicht hat und dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen sei, um hier einzusteigen», erklärt der VR-Vizepräsident.

Bislang belieferte Morimatsu den europäischen Markt für Bioreaktoren aus China oder Japan; mit der Übernahme der Bioengineering AG ändert sich das. Für Wald und die Arbeitsplätze seien das gute Neuigkeiten, meint Bernhardt: «Morimatsu bekennt sich zum Standort, zu den Arbeitsplätzen und will hier investieren. Hätten wir an ein Unternehmen verkauft, das bereits in Europa tätig ist, hätte die Gefahr bestanden, dass sie Wald dichtmachen und die Produktion verlagern.»

Mit Bioengineering sichert sich die japanische Gruppe Produktionskapazitäten und viel Know-how im Herzen des Kontinents. Der Standort Wald solle zum europäischen Zentrum von Morimatsu werden, geben die beiden Firmen am 11. September in einer gemeinsamen Medienmitteilung bekannt.

Die Voraussetzungen dafür sind durchaus vorhanden. Bioengineering war schon deutlich grösser als aktuell. Der Hauptsitz in Wald und die Montagehalle in Jona sind auf einen Personalbestand von maximal 140 bis 150 Angestellten ausgerichtet. Das ist beinahe das Doppelte der aktuellen Belegschaft.

52 Jahre nach der Gründung hat die Bioengineering AG ihre Selbständigkeit verloren. Seit September werden die grossen strategischen Entscheide nicht mehr in Wald, sondern in der Morimatsu-Zentrale in der Stadt Gifu auf der japanischen Hauptinsel Honshu gefällt.

Man kann das als Lokalpatriot bedauern, man kann aber auch den Blick von Wald nach Uster richten. Dort hat Uster Technologies seit 2012 japanische Besitzer: Mehrheitsaktionär Toyota Industries führt das Unternehmen seither als eigenständiges Tochterunternehmen – und lässt CEO Davide Maccabruni und seinem Team viele unternehmerische Freiheiten. Vielleicht ein gutes Omen auch für Bioengineering.


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