Wie ein Oberländer Verein sich neu erfinden will
Buch und Spiele
Weniger Papier, mehr Veranstaltungen: Der Verein Freunde der Paul Kläui Bibliothek erfindet sich neu. Die Vereinspräsidentin hat ambitionierte Pläne.
Es ist ein unscheinbarer Schriftzug, der die Fassade der Turnhalle Pünt in Uster ziert: Paul Kläui Bibliothek. Wer bei diesem Begriff nun an einen offenen, hellen Raum mit vollen Bücherregalen und bequemen Sitzmöglichkeiten denkt, wird enttäuscht.
Seit 2007 ist die umfassende Sammlung von historischen Fachbüchern über die Geschichte des Zürcher Oberlands in den Kellerräumen unterhalb der Turnhalle untergebracht – und fristet ein Schattendasein.
Das war aber nicht immer so. Die Bibliothek gibt es seit 1967. Entstanden ist sie aus der stattlichen Büchersammlung von Historiker Paul Kläui. Er galt als Spezialist für das zürcherische Mittelalter und verfasste zahlreiche Werke zur Zürcher Landesgeschichte.

Als Kläui 1964 im Alter von erst 55 Jahren starb, erwarb der Ustermer Paul Reimann die Sammlung und schenkte sie der Stadt Uster.
1973 wurde dann der Verein Freunde der Paul Kläui Bibliothek ins Leben gerufen, der dieses Jahr seinen 50. Geburtstag feiert. Dessen Ziel ist es, das Verständnis für die Schweizer Geschichte, insbesondere die Orts- und Regionalgeschichte, durch Unterstützung der Paul Kläui Bibliothek (PKB) zu wecken und zu fördern. Bis heute.
Im Verlauf der Jahre hat er zahlreiche Publikationen herausgegeben oder Forschungsarbeiten finanziell unterstützt. «Wir merken aber, dass das immer weniger gefragt ist», sagt Pia Wertheimer. Die Hittnauerin hat das Vereinspräsidium 2015 von Stefan G. Schmid, dem Grossneffen von Paul Kläui, übernommen. Es sei nach 50 Jahren höchste Zeit für eine Neuorientierung.
Ein Mann, eine Bibliothek
Bei der Vereinsgründung 1973 im Restaurant Post in Uster war die Euphorie für das geschriebene Wort noch gross. Dort sprach auch Hans Kläui, der Bruder von Paul – auch er ein damals angesehener Lokalhistoriker. Welche Rolle er einst in der faschistischen Frontenbewegung gespielt hatte, wurde der Öffentlichkeit erst nach seinem Tod bekannt.
Die Bibliothek war in den Anfangszeiten einfacher zugänglich, auch wenn sie mehrmals den Standort wechselte. Mit Herzblut und Eifer war der Jurist und Geschichtsgelehrte Bruno Schmid für die Leitung verantwortlich.



Unter seiner Regie entwickelte sich die PKB zu einem beliebten Treffpunkt für alle Fans von Regionalgeschichte. «Bruno Schmid war wirklich das Herz und die Seele der Bibliothek», sagt Pia Wertheimer. «Er kannte auch alles in- und auswendig.»
Doch das änderte sich Anfang der Nullerjahre. Auf Druck der Aufsichtsinstanz stellte Uster einen Stadtarchivar ein. 2003 folgte der Anschluss der Chronikstube und der Paul Kläui Bibliothek ans Stadtarchiv. Schmid wurde mehr oder weniger unfreiwillig in den Ruhestand versetzt.
Glaube ans Papier, aber nicht nur
Diese Veränderungen sind an Freunden der Paul Kläui Bibliothek nicht spurlos vorübergegangen. «Ich glaube weiterhin ans Papier», betont Wertheimer. «Aber die Bibliothek hat nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher.» Heute werde anders geforscht als noch in den Siebziger- oder Achtzigerjahren.
«Also müssen wir uns fragen, wie wir uns weiterentwickeln können.» Anstatt auf Bücher will sich der Verein vermehrt auf Veranstaltungen fokussieren.
So hat er beispielsweise im Frühling eine Aufführung des Theaterstücks über den Fischenthaler «Bankvater» Johann Jakob Keller in der Stadtbibliothek organisiert. «Wir wollen raus aus der Archivstube und hin zu den Leuten», betont Wertheimer.
Im Dornröschenschlaf
Die Bibliothek harrt derweil weiter ihr Dasein unter der Turnhalle Pünt. Wirklich zugänglich ist sie nicht mehr. Auf Voranmeldung kann man immerhin noch Bücher bestellen und anschauen.
«Die Bibliothek ist im Moment im Dornröschenschlaf», bestätigt auch Franziska Sidler, die Leiterin des Stadtarchivs. «Die Bücher sind im Magazin, darin schmökern kann man nur auf Bestellung.»

Sie und ihr Team arbeiten im Moment aber daran, den ganzen Katalog online zugänglich zu machen. Gleichzeitig hat das Stadtarchiv das Sammelkonzept geschärft. «Wir konzentrieren uns bei der Kläui Bibliothek wirklich auf Uster und das Oberland», erklärt sie. Allgemeine Geschichtsbücher, die es beispielsweise auch in der Zentralbibliothek in Zürich gibt, werden weitergegeben.
Denn der Dornröschenschlaf könnte bald vorbei sein. «Es gibt hier so viel interessantes Material hier», sagt Sidler. «Wir hoffen sehr darauf, dass das Archiv und die Bibliothek irgendwann umziehen kann.»
Eine Hoffnung, die auch Pia Wertheimer teilt. «Auch wenn wir uns als Verein neue Aufgaben vornehmen, die Bibliothek soll es weiterhin geben und auch sichtbar sein.»
Eine Möglichkeit ist die Untere Farb. Die Stadt will die ehemalige Blaufärberei umbauen. Im Frühling genehmigte das Parlament einen Projektierungskredit von 1,17 Millionen Franken. Doch über diesen muss das Volk entscheiden, wie auch dereinst über das Bauprojekt. Sicher ist also noch nichts.
Was Computer und künstliche Intelligenz nicht bieten
Darauf warten will Pia Wertheimer nicht: «Unsere Kernaufgabe ist unverändert: die Förderung und Vermittlung der Geschichte», betont sie. «Wir wollen, dass es den Verein auch in 50 Jahren noch gibt.» Die Vereinspräsidentin macht kein Geheimnis daraus: Jedes Jahr sterben langjährige Mitglieder.
Immerhin hat der Verein ein finanzielles Polster, um seine Ideen umzusetzen. «Wir sind nicht steinreich», stellt Wertheimer klar. Die Mittel sollen nun genutzt werden, um die Neuorientierung voranzutreiben – und so das Überleben des Vereins langfristig zu sichern.
Dafür lassen sich auch Synergien mit dem Stadtarchiv nutzen. Auch wenn noch keine konkreten Projekte vorliegen, ist das Ziel von Pia Wertheimer klar: «Die Geschichte muss raus aus den Festplatten und rein ins Leben der Heranwachsenden und Erwachsenen», schrieb sie in der Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum.
Sie sieht eine Chance: «Historische Schauspiele oder Feste machen unsere Geschichte erlebbar – dies vermag kein Computer und keine künstliche Intelligenz zu bewirken, zumindest noch nicht.»