Wie ein Biohof im Grüt die Landwirtschaft neu denkt
Agrarpolitik 2030+
Im Parlament in Bern werden derzeit die Weichen für die Agrarpolitik 2030+ gestellt. Ständerätin Maya Graf will mehr Nachhaltigkeit und ist dafür nach Grüt gereist.
Der Hof Rinderbrunnen im Grüt unterscheidet sich durch einen ganz zentralen Punkt von der grossen Mehrheit der rund 47’000 Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz. Es ist nicht die kleine Herde von robusten Galloway-Kühen. Es sind nicht die 58 Gemüsebeete, die Hobbygärtner und Freizeitbauern für ein Jahr mieten können.
Es sind nicht die 500 Hühner, die in einem mobilen Hühnerstall mal hier und mal dort auf dem rund 30 Hektaren grossen Hof leben. Und es ist auch nicht der neue, einladende Hofladen, wo die eigenen Produkte verkauft werden.
Führung im Kollektiv mit Gewinnbeteiligung
Was den Hof Rinderbrunnen einzigartig macht, ist seine Organisationsform. Judith Frei ist zwar im Grundbuch als Besitzerin des Landwirtschaftsbetriebs eingetragen, den sie 2023 von ihren Eltern übernommen hat.
In Tat und Wahrheit wird der Hof aber gemeinschaftlich von einem siebenköpfigen Kernteam geführt, zu dem auch Judith Freis Ehemann Martin gehört. Jedes Teammitglied hat seinen Aufgabenbereich und wird nach dem erwirtschafteten Gewinn entlohnt.
Vom konventionellen zum Biobetrieb
«Mein Vater hat im Nebenerwerb konventionellen Ackerbau betrieben», erzählt Judith Frei. Die Jungbäuerin hatte ganz andere Ideen: 2023 stellte sie auf biologische Landwirtschaft um, dazu schaffte sie sich acht Galloway-Kühe an, mit denen sie Mutterkuhhaltung betreibt. Auf Versuchsfeldern wird der Anbau neuer, hierzulande ungewohnter Pflanzen erprobt: Chia, Sesam oder auch Erdnüsse.
«Und wir arbeiten nach regenerativen Grundsätzen», sagt Judith Frei. So wird beispielsweise in die Hafer- und Dinkelfelder eine Untersaat aus Graspflanzen gesetzt. «Nachdem wir das Getreide geerntet haben, lassen wir die Wiese von den Kühen abweiden oder bringen die Untersaat wieder in den Boden.» Ziel: Aufbau der Humusschicht und Förderung der Bodengesundheit.




Das Team im Grüt versucht, die Landwirtschaft neu zu denken, stösst dabei aber auf Widerstände in den gewachsenen, traditionellen Strukturen der Schweizer Landwirtschaft.
Ein Beispiel ist das rigide Schweizer Bodenrecht. Es sorgt zwar dafür, dass Landwirtschaftsland bleibt, was es ist. Es lässt aber wenig Spielraum für innovative Betriebe wie den Hof Rinderbrunnen. Denn die Mitarbeitenden können nicht auf dem Hof wohnen. Der Bau von Wohnungen in der Landwirtschaftszone ist eingeschränkt. Das ergibt Sinn, wenn es darum geht, die Zersiedelung aufzuhalten. Aber es macht das Bauern im Kollektiv schwierig, denn die Mieten sind auch im Oberland hoch und die Löhne in der Landwirtschaft tief.
Ein anderes Beispiel ist der Anbau von Hülsenfrüchten wie beispielsweise Linsen. Der Bund empfiehlt der Schweizer Bevölkerung, weniger tierische und mehr pflanzliche Eiweisse zu konsumieren. Die proteinreichen Linsen stehen dabei sinnbildlich für das Dilemma: Sie lassen sich gut in Mischkulturen anpflanzen, doch ihre Verarbeitung ist aufwendig. Normale Getreidesammelstellen können Linsen nicht trocknen, und für die Reinigung braucht es spezielle (und teure) Maschinen. Das macht den Anbau wirtschaftlich unattraktiv, weil das Direktzahlungssystem solche Investitionen nicht unterstützt.
Ein «Leuchtturm» im Grüt
Der Hof Rinderbrunnen sei ein «Leuchtturm der Agrarökologie», sagt Anders Gautschi, Geschäftsführer der Stiftung Biovision. Aus diesem Grund entschied sich Biovision, ihre Studie mit dem Titel «Förderung agrarökologischer Prinzipien im Schweizer Ernährungssystem» im Grüt zu präsentieren und die Präsentation mit einem Rundgang durch den Landwirtschaftsbetrieb zu ergänzen.

Das 44-seitige Papier ist aus der Kombination einer Literaturrecherche und drei Workshops mit Expertinnen und Experten aus der Landwirtschaft entstanden. Fazit ist ein Forderungskatalog für die Umstellung des Schweizer Agrar- und Ernährungssystems, das ökologische, soziale und ökonomische Aspekte stärker berücksichtigen soll – so, wie es Judith und Martin Frei und ihr Team versuchen.
Die Verfasser der Studie nennen fünf Handlungsempfehlungen.
- Konsumentinnen und Konsumenten sollen für nachhaltige Kaufentscheide sensibilisiert werden.
- Bei der Aus- und Weiterbildung der Landwirtinnen und Landwirte soll mehr Gewicht auf Nachhaltigkeit und Ökologie gelegt werden.
- Die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte gegenüber Importen soll gefördert werden, beispielsweise durch höhere Zölle für Produkte, die hinsichtlich der verwendeten Rohstoffe gewisse Mindeststandards nicht erfüllen.
- Fördersysteme für Landwirte sollen flexibler werden. Hier wünscht sich Biovision, dass Direktzahlungen gezielt in Transformationsprozesse fliessen und so beispielsweise neue Praktiken unterstützt werden.
- Neue Organisationsformen wie der Hof Rinderbrunnen sollen unterstützt werden. Auch hier ist die Rede von Direktzahlungen. Dazu sollen rechtliche Grundlagen geschaffen werden, um diese Entwicklung zu fördern.
Derzeit werden in Bern die Weichen für die Agrarpolitik von 2030 bis 2050 gestellt. Im Jahr 2026 soll die Argarpolitik 2030+ in die Vernehmlassung geschickt, 2027 in den eidgenössischen Räten debattiert und 2030 in Kraft gesetzt werden. «Der Wind kommt von vorn», stellte Ständerätin Maya Graf (Grüne) fest. Die Stiftungsrätin von Biovision war für die Präsentation der Studie eigens ins Oberland gereist. Ökologische Anliegen hätten es derzeit schwer im Parlament, meinte die Biobäuerin aus dem Baselbiet.

Nur rund 6 Prozent des verfügbaren Einkommens gibt ein Schweizer Haushalt laut Statistik für Essen und Trinken aus. «Lebensmittel sind zu günstig für die Arbeit, die darin steckt», sagte Maya Graf. Das zwinge die Schweizer Bauern dazu, möglichst viel zu produzieren. «Und das ist keine Basis für ein nachhaltiges Ernährungssystem.»
Und Anders Gautschi ergänzte: «Die nachhaltige Landwirtschaft muss stärker gefördert werden als bisher. Dafür gilt es, die gesamte Wertschöpfungskette miteinzubeziehen, insbesondere die Konsumierenden.» Der Schlüssel seien die politischen Rahmenbedingungen.
Rahmenbedingungen, die auch bestimmen, ob das Experiment im Grüt mit einem siebenköpfigen Kollektiv anstelle eines traditionellen Betriebsleiters auf die Dauer funktionieren kann. Und Rahmenbedingungen, die festlegen, was anzubauen und zu produzieren sich aus bäuerlicher Sicht letztlich lohnt.
Im Kleinen geht es um einen innovativen Bauernbetrieb im Zürcher Oberland. Im Grossen ist es ein Richtungsstreit, wohin sich die Schweizer Agrarpolitik bewegen soll.