Wie der Edelhelfer aus Pfäffikon die Radwelt verblüffte
Oberländer Sportmomente (2)
Oliver Zaugg hat in seiner Profikarriere nur ein Rennen gewonnen, dafür aber ein grosses. 2011 schlug er den Favoriten an der Lombardei-Rundfahrt ein Schnippchen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 3. Oktober 2024.
30 Jahre ist er zu diesem Zeitpunkt schon alt. Und hat bei 542 Starts noch kein einziges Profirennen gewonnen. Der Nuller nagt durchaus an ihm. Auch wenn Oliver Zaugg die Rolle, sich für seine jeweiligen Teamleader aufzuopfern, gerne ausführt. Und dazu sagt: «Ein Helfer zu sein, entspricht meinem Charakter.»
Den Glauben an einen Sieg? Den hat der Pfäffiker im Herbst seiner Karriere schon fast verloren. Aber dann kommt dieser sonnige Oktobertag 2011, an dem der loyale Arbeiter für die Geduld, die Strapazen abseits des Rampenlichts und die Enttäuschungen belohnt wird. Und wie.
Der 1,67 Meter kleine und 67 Kilogramm leichte Fahrer düpiert im letzten wichtigen Rennen der Saison alle und gewinnt überraschend die 105. Lombardei-Rundfahrt. Zaugg schreibt mit dem Sieg an einem der fünf grossen Radsport-Klassiker einen Oberländer Sportmoment, der kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.
Zuvor der breiten Öffentlichkeit unbekannt, reiht sich Zaugg als erst vierter Schweizer in die prominente Siegerliste des Eintagesrennens ein. Zusammen mit so klangvollen Namen wie dem italienischen Rekordsieger Fausto Coppi (er gewann fünfmal), Belgiens Radsport-Ikone Eddy Merckx oder dem slowenischen Superstar Tadej Pogačar.
Der mittlerweile dreifache Tour-de-France-Gewinner triumphierte im Rennen der fallenden Blätter, wie der Klassiker ebenfalls genannt wird, ab 2021 dreimal in Serie.
Vollgas geben und hoffen
Zauggs Sternstunde 2011 kommt für Aussenstehende völlig aus dem Nichts. Allenfalls eine Spur weniger überrascht könnten die Verantwortlichen seines damaligen Teams Leopard-Trek gewesen sein. Denn für einmal nominieren sie Zaugg nicht in seiner üblichen Helferrolle, sondern schicken ihn zusammen mit dem Dänen Jacob Fuglsang als Co-Leader auf die 241 Kilometer lange Strecke von Mailand nach Lecco.
Die Entscheidungsträger um Sportdirektor Luca Guercilena haben durchaus Gründe für ihre Wahl. Einer davon ist Zauggs gute Form, die er zuvor in drei kleinen Eintagesrennen in Italien unter Beweis gestellt hat.
Der Pfäffiker weiss natürlich um seine erfreuliche Verfassung. Und legt sich nach der Besichtigung der Strecke zurecht, wo er angreifen will. Zaugg sucht sich die steilste Passage in der letzten Steigung dafür aus. Tags darauf lacht dem Oberländer das Rennglück tatsächlich. Zusammen mit rund 20 anderen Fahrern packt er die letzte Steigung des Tages nach Villa Vergano in der vordersten Gruppe an.
Zaugg greift zehn Kilometer vor dem Ziel wie geplant an. Den höchsten Punkt auf rund 500 Metern erreicht er mit 20 Sekunden Vorsprung. Nun liegen noch eine Abfahrt sowie das flache Reststück vor ihm – es sind beides keine Paradedisziplinen des leichten Fahrers, der seine Stärken am Berg hat. Dazu hat Zaugg Pech. Der Funkkontakt zu seinem Team fällt aus. «Ich hatte keine Ahnung, wie gross die Lücke war», sagt er hinterher. «Alles, was ich tun konnte, war Vollgas geben und hoffen.»
Zaugg kämpft. Und er leidet. Tief über den Lenker gebeugt, jagt er dem Ziel entgegen, drückt das Letzte aus sich heraus. Der Vorsprung schmilzt, aber es reicht. Rund 30 Meter vor dem Ziel lässt seine Anspannung nach. Er weiss – es ist vollbracht. Zaugg richtet sich auf, streicht das Trikot glatt, reisst die Arme kurz hoch und applaudiert sich selber. Endlich darf er jubeln. Was der Überraschungssieger in diesem Moment nicht ahnt – es wird sein einziger Triumph bleiben.
Die entscheidenden Momente der Lombardei-Rundfahrt 2011. Quelle: www.youtube.com
Zweimal schnuppert Zaugg nach seinem Coup an der Lombardei-Rundfahrt neuerlich an einem Erfolg – beide Male 2014. Auf der 1. Etappe der Österreich-Rundfahrt trifft er als Zweiter elf Sekunden hinter Sieger Peter Kennaugh ein. Es ist wenig überraschend eine Bergankunft.
Knapp zwei Monate später ist Zaugg in der Vuelta ebenfalls nahe dran. Rund zwei Kilometer verbleiben noch, als er am Führenden Ryder Hesjedal vorbeistürmt. 200 Meter vor dem Ziel aber muss sich der Pfäffiker vom Kanadier wieder überholen lassen.
Mit 35 ist Schluss
2016 tritt Zaugg im Alter von 35 zurück. 13 Jahre war er Profi. Achtmal bestritt er die Tour de Suisse, siebenmal die Vuelta und fünfmal den Giro. Und hatte als Edelhelfer seinen Anteil an grossen Siegen von Vincenzo Nibali und Alberto Contador.
Was ihm haften blieb? Nicht das, was wohl viele annehmen. «Eigentlich finde ich in jedem Jahr Dinge, an die ich gerne zurückdenke. Es gibt nicht den einen Moment – auch wenn es von aussen so aussieht, als würde es sich nur um die Lombardei-Rundfahrt drehen.»
Oberländer Sportmomente
Denkwürdiges, Erheiterndes und Historisches aus dem Oberländer Sportgeschehen: In loser Reihenfolge blicken wir zurück auf besondere Sportmomente. Bisher erschienen:
(1) Der grösste Triumph: Wie die Silberpfeile Sauber-Geschichte schrieben
