Wie das Sauber-Team sein einziges Formel-1-Rennen gewann
Nur einmal stand der Hinwiler Rennstall in der Königsklasse zuoberst auf dem Podest. Doch der GP von Kanada 2008 blieb nicht nur wegen des Sauber-Doppelsiegs in Erinnerung.
Er sticht noch immer heraus, und jedes Jahr, wenn der GP von Kanada ansteht, dürfte sich so manch ein Sauber-Fan an den 8. Juni 2008 zurückerinnern. Da bescherte Robert Kubica dem Hinwiler Formel-1-Rennstall den ersten und bislang einzigen Sieg in der Königsklasse des Motorsports.
Was heute eine riesige Sensation wäre, war damals quasi geplant. Sauber hatte schon zwei Saisons als BMW-Werksteam hinter sich, in denen es kontinuierlich nach oben gegangen war. 2006 gabs die ersten beiden Podestplätze, 2007 kamen zwei weitere dazu, und das Team wurde WM-Zweiter. Und 2008 setzte man sich den ersten Rennsieg zum Ziel. Alles schien aufzugehen, alle Vorhaben setzte die Equipe unter der Leitung von BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen in die Realität um.
Aber wo und wann dieser erste Sieg genau kommen würde, das kann auch das beste Team nicht planen – und so passierte es denn auch ausgerechnet in einem Rennen, das überhaupt nicht nach Plan verlief, wenn man so will.
Eigentlich war gegen Hamilton kein Kraut gewachsen
Anfänglich schien zwar alles wie üblich. Lewis Hamilton im McLaren – damals in seiner zweiten Formel-1-Saison und noch ohne Weltmeistertitel im Palmarès – hatte zwei Wochen zuvor mit dem Sieg in Monaco die WM-Führung übernommen und schien in Kanada daran anzuknüpfen. Von der Poleposition aus liess er dem neben ihm startenden Robert Kubica im BMW-Sauber keine Chance und baute seinen Vorsprung kontinuierlich aus.
Sieben Sekunden betrug die Differenz, als nach 17 Runden das Safety-Car auf die Strecke fuhr, weil Adrian Sutil seinen Force India mit kaputtem Getriebe abstellen musste. Hamiltons Vorsprung war dahin – und die Chance für Kubica da. Die beiden steuerten die Box an, und Kubica fuhr als Erster wieder hinaus.
Und dann: Slapstick in der Boxengasse
Was dann geschah, mutet wie eine Slapstick-Nummer an: Kubica hielt am Ende der Boxengasse an, weil die Ampel dort rot war. Kimi Räikkönen stellte seinen Ferrari neben ihn. Dann fuhr Hamilton heran, sah das rote Licht nicht, krachte in Räikkönens Heck – und wurde seinerseits von Nico Rosberg im Williams abgeschossen. Kubica blieb unbehelligt von alledem. «Ich muss Lewis dankbar sein, dass er Kimis Auto auswählte und nicht meins», sagte er später.
Sekunden nach dieser Szene schaltete die Ampel auf Grün. Kubica fuhr auf die Strecke zurück, Hamilton und Räikkönen mussten ihre Autos abstellen.
In Führung lag zu diesem Zeitpunkt Kubicas Teamkollege Nick Heidfeld, der auf einen Boxenstopp verzichtet hatte. Damals waren Tankstopps noch erlaubt und die Benzinmenge damit eine taktische Variable. Der Deutsche war nur von Platz 8 aus gestartet und im Gegensatz zu Kubica auf einer Ein-Stopp-Strategie unterwegs. Die brachte ihm zwar am Ende den zweiten Rang ein und ermöglichte den Hinwilern den Doppelsieg – aber gegen Kubica blieb Heidfeld chancenlos. Der Deutsche musste den Reifen stärker Sorge tragen, und sein Auto war schwerer als jenes von Kubica.
Der Pole überholte seinen Teamkollegen und fuhr ihm knapp 20 Runden lang so davon, dass er nach seinem zweiten Boxenstopp vor Heidfeld blieb – und ihm erneut davonfuhr. 16,5 Sekunden lag Heidfeld im Ziel zurück, weitere sieben Sekunden hinter ihm folgte David Coulthard im Red Bull.
Schlimme Bilder ein Jahr zuvor
Speziell macht den Sieg die Tatsache, dass Kubica ein Jahr zuvor am selben Ort fürchterlich verunfallt war. In einem Zweikampf kam er von der Strecke ab und prallte mit 230 km/h in die Mauer. Unfassbare Kräfte von 75 g wirkten zum Zeitpunkt des Aufpralls auf das Auto, das auf die Strecke zurückprallte, sich mehrfach überschlug und schliesslich völlig zerstört und kopfüber zum Stehen kam.
Die Angst ging um, nicht nur in der BMW-Sauber-Box, doch noch am selben Tag kam aus dem Spital die Entwarnung: Mehr als eine leichte Gehirnerschütterung und einen verstauchten Fuss hatte sich Kubica nicht zugezogen. Ein Rennen musste er pausieren – und verhalf damit einem gewissen Sebastian Vettel zum Debüt. Ein Jahr später also bescherte Kubica dem Team erneut heftige Emotionen – diesmal positive.
Er wollte mehr – das Team nicht
Für Kubica hatte der Erfolg durchaus Signalwirkung. Nach der Zieldurchfahrt sagte ihm sein Renningenieur am Funk, er habe nun die WM-Führung übernommen. «Das war ein komisches, aber gleichzeitig sehr positives Gefühl», erinnert sich der Pole. Und klar für ihn war: Er wollte nun mehr.
Kubica sah die Chance auf den Weltmeistertitel. Auf grosse Feierlichkeiten verzichtete er und reiste nach Hause, weil er den Fokus gleich auf die anstehenden Testfahrten legen wollte. «Im Nachhinein betrachtet hätte ich den Moment mit den Jungs geniessen sollen», sagte Kubica, als er für die Formel-1-Website auf seinen Triumph zurückblickte. «Ich war jung und motiviert und wollte das Momentum nutzen.»

Doch in diesem Punkt waren das Team und er nicht einer Meinung. Für BMW-Sauber war nämlich klar: Der angepeilte Sieg ist Tatsache – also werden nun die Kräfte gebündelt für das Auto der nächsten Saison. 2009 gab es grosse Regeländerungen, unter anderem wurde das Energie-Rückgewinnungssystem KERS eingeführt, und BMW wollte das eigentlich nutzen, um endgültig WM-Titelkandidat zu sein. Doch das misslang gründlich – und BMW beerdigte sein Formel-1-Projekt nur anderthalb Jahre nach Kubicas Triumph. Der beendete die Saison 2008 übrigens letztlich als WM-Vierter. Und es blieb der einzige Sieg in seiner Karriere.
Der Teamgründer war nicht dabei
Peter Sauber übrigens war bei Kubicas Siegfahrt nicht live mit dabei, sondern fieberte vor dem TV mit, weil er am Abend zuvor in Basel am Eröffnungsspiel der Fussball-EM weilte (und eine Schweizer Niederlage sah).
Vielleicht nennt der Teamgründer deshalb auch nicht den Sieg in Kanada als einen der prägendsten Momente seiner langen Motorsportkarriere, sondern den Doppelsieg in der Sportwagen-WM in Le Mans fast 20 Jahre vorher. Vielleicht aber auch, weil der 8. Juni 2008 für BMW-Sauber Triumphtag und Anfang vom Ende gleichermassen darstellt.
Oberländer Sportmomente
Denkwürdiges, Erheiterndes und Historisches aus dem Oberländer Sportgeschehen: In loser Reihenfolge blicken wir zurück auf besondere Sportmomente. Bisher erschienen:
(1) Der grösste Triumph: «Wie die Silberpfeile Sauber-Geschichte schrieben»
(2) Oliver Zaugg: «Wie der Edelhelfer aus Pfäffikon die Radwelt verblüffte»
(3) Sensation im Cup: «Wie der EHC Dübendorf den Schweizer Meister übertölpelte»
(4) Der einzige Meistertitel: «Wie die Frauen des FC Schwerzenbach ihren grossen Coup landeten»
(5) Die Radquer-WM in Wetzikon: «Als ausgerechnet an der Heim-WM die Titelserie von Albert Zweifel endete»
(6) Das Schoch-Duell: «Wie zwei Tösstaler Brüder Olympia-Gold unter sich ausmachten»
(7) Glattaler Höhenflug: «Wie sich der EHC Dübendorf neun Jahre lang in der Nationalliga B hielt»
(8) Brigitte Oertli: «Sie war die Schnellste – und wurde doch wieder nur Zweite»
(9) Cup-Sieg der KZO: «Wie die Wetziker Basketballerinnen ihren einzigen Titel gewannen»
