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Wie Dany Brand um seinen Olympia-Traum kämpft

Über 400 m Hürden gibt es an Olympia 40 Startplätze. 39 sind gemeldet. Der Rütner Dany Brand müsste eigentlich nachrücken. Aber das ist eine Hängepartie.

Dany Brand erlebt derzeit ein Wechselbad der Gefühle: Der Rütner Hürdenläufer wartet auf eine Nachricht vom IOC.

Foto: Anina Willi

Wie Dany Brand um seinen Olympia-Traum kämpft

Rütner Hürdenläufer will nach Paris

40 Athleten dürfen über 400 m Hürden an Olympia starten. Nur 39 sind gemeldet – und Dany Brand ist die Nummer 41. Ob er nachrückt, weiss der Rütner aber nicht. Und die Zeit drängt.

Am Montag um 10.05 Uhr beginnen im Stade de France in Paris die Wettkämpfe über 400 m Hürden der Männer. In fünf Vorläufen kämpfen dann 40 Athleten um den Halbfinaleinzug. So wäre es zumindest theoretisch. Denn derzeit scheint es, als würde eine Bahn frei bleiben. Auf der offiziellen Startliste stehen derzeit nämlich lediglich 39 Namen.

Dieser Fakt beschäftigt Dany Brand schon lange. «Es ist nicht im Sinne des Sports und der Athleten, wenn am Schluss ein Platz frei bleibt», sagt der Rütner. «Es fällt mir schwer, damit umzugehen und das zu verarbeiten.»

Der Reihe nach: Brand verpasste die Qualifikation für die Spiele über die Weltrangliste nur ganz knapp. Im Olympia-Ranking belegte er am Stichtag, dem 30. Juni, den 41. Rang. 37 Athleten qualifizierten sich, indem sie die Limite von 48,70 Sekunden unterboten. Aufgefüllt wurden die 40 Startplätze (maximal drei pro Nation) mit den drei am nächstbesten klassierten Athleten in der Weltrangliste.

Brand wäre also der Nächste gewesen. Zwischen ihm und Yeral Nunez aus der Dominikanischen Republik, der als Letzter noch ins Feld rutschte, lautete das Verdikt 1248:1244 – vier Rankingpunkte machten den Unterschied zuungunsten des 28-jährigen Rütners.

Umgerechnet auf Zeiten ging es also um wenige Hundertstel. Nicht nur das ist bitter, sondern auch die Tatsache, dass sich über 400 m Hürden bis zum Stichtag am 4. Juli kein einziger qualifizierter Athlet abgemeldet hatte – im Gegensatz zu anderen Disziplinen.

Der Franzose ohne Leistungsbestätigung

Doch es gibt einen Namen, der ihn damals schon stutzig gemacht hatte: Ludvy Vaillant. Der 29-jährige Franzose liegt auf Rang 11 des Olympia-Rankings, in 47,85 Sekunden hatte er die Limite schon im Juli 2023 als einer der ersten überhaupt unterboten. Wegen einer Oberschenkelverletzung aber bestritt er seit September letzten Jahrs keine Wettkämpfe mehr. Der französische Verband selektionierte ihn zwar für die Spiele, allerdings unter der Bedingung, dass er bis zum 21. Juli eine Leistungsbestätigung erbringen und die 400 m Hürden in einer Zeit von 49,00 Sekunden oder besser laufen müsse.

Vaillant verpasste dieses Ziel bei seinem einzigen Einsatz in diesem Jahr in La-Chaux-de-Fonds am 14. Juli in 51,75 um 2,75 Sekunden überdeutlich – und verlor seine Selektion und damit seinen Olympia-Startplatz. Allerdings erst nach dem Zeitpunkt, als die Quotenplätze neu verteilt worden waren.

Für Brand war das keine Überraschung. Schon am 6. Juli hatte er in Absprache mit Swiss Athletics ein Schreiben an World Athletics geschickt, in dem er unter anderem ausführte, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gebe, dass ein Platz frei werde. Brand erhielt eine Stellungnahme, die er positiv deutete. «Es sah aus, als dass World Athletics unsere Meinung teile und eine Möglichkeit für mich bestehe», sagt er.

Doch seither wartet Brand nun vergeblich auf einen Bescheid. Er fragt sich: «Ist das ein Zeichen, dass es niemanden interessiert? Oder ist es ein Zeichen dafür, dass vielleicht doch noch etwas läuft?» Und er bereitet sich vor, als würde für ihn am 5. August der Traum von der Olympia-Teilnahme in Erfüllung gehen.

«Die Olympischen Spiele liegen mir enorm am Herzen», sagt er. «Als Athlet will ich die offiziellen olympischen Werte Exzellenz, Freundschaft und Respekt transportieren. Ich vertraue darauf, ich vertraue auf ein IOC, dass es sich für die Athleten einsetzt, damit ihr olympischer Traum wahr wird.» Für ihn stirbt die Hoffnung deshalb zuletzt. Und hofft er vergeblich, macht ihn das nicht nur traurig, sondern: «Es würde mein Bild von Olympia kaputtmachen.»

Überall rücken Sportler nach – nur in der Leichtathletik nicht

Brands Gefühlswelt in den letzten Wochen war ziemlich ambivalent. Er macht sich Gedanken, wälzt Regelwerke, sammelt Beispiele. «Ich versuche, aus dem Ganzen einen Sinn herauszuholen und überlege mir, was eine nächste Argumentation sein könnte.» Sinn ergibt vieles allerdings nur beschränkt. Ausserhalb der Leichtathletik rutschen noch immer Sportler für andere nach.

Im Schweizer Rad-Team etwa ersetzt Marc Hirschi den unter Rückenproblemen leidenden Stefan Bissegger. Im Tennis fiel der Italiener Jannik Sinner mit einer Mandelentzündung aus – für ihn rückten gleich zwei Italiener nach, einer im Einzel, der andere im Doppel. Brand weiss vom Fall des litauischen Ringers Mantas Knystautas, der erst vor wenigen Tagen einen ungenutzten Quotenplatz zugesprochen erhielt.

In der Leichtathletik aber gibt es solche positiven Beispiele nicht. Der belgische Mehrkämpfer Jente Hauttekeete glaubte zuerst, er dürfe den Platz des verletzten kanadischen Zehnkampf-Weltmeisters Pierce LePage einnehmen. Daraus wurde aber nichts. Belgische Medien schrieben von einem Zwist zwischen dem IOC und World Athletics um die Gesamtzahl der Leichtathletinnen und Leichtathleten an den Spielen. Die Verbände sollen unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob Athletinnen und Athleten, die sogenannte Universalitäts-Startplätze belegen, in die Rechnung einfliessen.

Ganz ähnlich gelagert ist der Fall der litauischen Weitspringerin Jogaile Petrokaite. Sie glaubte erst, die wegen Dopings gesperrte Rumänin Florentina Iusco ersetzen zu dürfen. Von World Athletics erhielt sie aber eine Absage, die sie über Instagram publik machte. Sinngemäss steht darin, dass in der Leichtathletik mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeldet seien als im Kontingent vorgesehen. Aufgrund der Platzverhältnisse im Olympischen Dorf und «damit verbundenen Kosten» würden keine Athleten mehr ersetzt, die sich «in den Tagen vor den Spielen» zurückziehen.

Brand kennt diese Argumentation, «ich erhielt diese Information in ziemlich ähnlichem Wortlaut auch», sagt er. Das Verständnis dafür fehlt ihm allerdings – weil er ja nicht als zusätzlicher Athlet ins Olympische Dorf reisen würde, sondern einen andern ersetzt, der nicht dort ist. «Es sieht aus, als wolle man der Leichtathletik eins auswischen. Aber es kann nicht sein, dass das auf dem Rücken der Athleten gemacht wird», sagt Brand. Er empfindet das als Ungerechtigkeit, die ihn anstachelt, sich einzusetzen – für die andern Athleten, aber auch für sich selber.

Und er sieht seinen Fall etwas anders gelagert: Das Leistungspotenzial von Ludvy Vaillant sei schon zum Zeitpunkt der Selektion fragwürdig gewesen. Laut Brand widerspricht das der Regel 44 der Olympischen Charta, wo es in Absatz 5 heisst, die nationalen olympischen Komitees sollen nur Athleten entsenden, die «adäquat für Wettkämpfe auf höchster Ebene vorbereitet» seien. Bei Vaillant sei das nicht der Fall gewesen, argumentiert Brand.

Logisch, dass neben all diesen Gedanken die sportliche Vorbereitung leidet. Der Fokus liegt zwar auf Olympia – aber nicht nur auf dem eigenen Formstand. Und doch sagt Brand: «Ich will mich auf meine Aufgabe als Sportler konzentrieren – denn ich fühle mich noch immer sehr gut in Form und habe sehr gute Trainings gemacht.»

So konstant wie noch nie

Dazu muss man wissen: Brands Entwicklung geht in die richtige Richtung. Seine persönliche Bestzeit über 400 m Hürden, 48,96 Sekunden, ist zwar drei Jahre alt. In dieser Saison lief er an der SM in Winterthur Ende Juni in 49,16 aber so nahe an diese Zeit wie erst einmal zuvor: 2017, als er seine Karriere mit U23-EM-Silber in 49,14 so verheissungsvoll begonnen hatte.

Und nun bereitet er sich also auf einen Olympia-Start am Montag vor, von dem er noch nicht weiss, ob er wirklich Tatsache wird. «Es ist sehr belastend. An manchen Tagen fällt es mir leichter, an anderen weniger. Aber manchmal bin ich auch wirklich motiviert und sage mir: Hey, es ist nicht vorbei. Ich weiss, dass mein Name in Paris präsent ist.»

Landet der Fall vor dem CAS?

Es ist nicht irgendwer, der sich für ihn einsetzt. Brand erwähnt Ralph Stöckli, den Chef de Mission von Swiss Olympic, Philipp Bandi, den Leistungssportchef von Swiss Athletics – und Swiss-Athletics-Präsident Christoph Seiler. Derzeit warten alle auf eine Antwort vom IOC, bei dem der Fall Anfang dieser Woche platziert wurde. Auch hier herrscht bisher Funkstille.

Eine Option bleibt Brand: Er kann sein Anliegen vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS bringen, der während der Spiele ein Ad-hoc-Schiedsgericht führt, das innert 24 Stunden nach Einreichung eines Antrags entscheidet.

Die Geschichte wird also in jedem Fall bald ein Ende finden. Im besten Fall für Brand auf der Bahn im Stade de France am Montagvormittag.

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