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Was nicht archiviert wird, verschwindet für immer

Privatarchive im Tösstal und Zürcher Oberland erhalten nicht immer die Aufmerksamkeit, die sie verdienen würden. Das Projekt Zukunft Archive und Museen bietet Unterstützung bei der Sichtung und Erfassung privater Archivbestände.

Verschimmelte Archivbände in einem geschlossenen Schrank.

Wolfgang Wahl

Was nicht archiviert wird, verschwindet für immer

In Turbenthal erhält das Ortsmuseum den Nachlass des bekannten Sekundarlehrers Arthur Wynistorf, in Wila feiert die Landi Wila-Turbenthal 150 Jahre und sucht ihre Geschichte, in Bäretswil warten 10‘000 ortsgeschichtliche Dias des verstorbenen Jörg Albrecht auf ihre Digitalisierung, in Bauma will die Wolfensberger Beteiligungen AG den Nachlass des Giesserei-Pioniers Jakob Wolfensberger erforschen lassen: Nichts davon geht ohne gut geführte Privatarchive.

Seit 2010 bemühen sich Kulturerbe-Engagierte im Zürcher Oberland und in angrenzenden Gemeinden um mehr Bewusstsein für die eigene Region: Ortsmuseen vernetzen sich und stellen Innovatives aus, Chronikstuben machen ihre Bestände besser zugänglich, historische Publikationen erhellen lokale Zusammenhänge, Kulturwege werden eingerichtet, Kulturkonferenzen und Weiterbildungen helfen auf professionellere Wege und die Kulturkommission Zürcher Oberland (eine Kommission des Zweckverbandes Region Zürcher Oberland RZO) vernetzt und fördert kulturelle Projekte.

Vergangenheit von Gewerbe und Vereinen bewahren

Eines davon ist das Projekt Zukunft Archive und Museen, welches auch die Privatarchive der Region unterstützt oder aufzubauen hilft. So entstehen seit 2016 in Gemeinden Privatbestandsarchive, welche das sammeln, konservieren, erschliessen und verfügbar machen, was eben das Leben in den Gemeinden ausmacht: Vereine, Gewerbe, Nachlässe von Privatpersonen. In der ethischen Verantwortung stehen dabei die politischen Gemeinden, welche laut kantonalem Archivgesetz Paragraph 16 Privatbestände archivieren können, aber nicht müssen.

Die erwähnten vier Beispiele aus Gemeinden zeigen, dass beispielsweise das Tösstal darin aktiv ist. Viele Eigenschaften des Zürcher Oberlands zeigen sich hier exemplarisch: die Hügellandschaft, die Industriebauten, die religiöse Vielfalt, das unverwechselbare Naherholungsgebiet, die Flusslandschaft, das teilweise noch wie früher aktive Kulturleben der Vereine, der Gedanke, zusammen gemeinsame Ziele besser erreichen und Probleme gemeinsam besser lösen zu können, die Liebe zur kleinräumigen Unabhängigkeit oder die noch oft familiäre Verbindlichkeit.

Engagierte Laien leisten Grossteil der Arbeit

Die moderne Mobilität hat aber auch hier « Teil-Schlafdörfer » nicht ganz verhindern können. Umso wichtiger ist es, dass die hier Lebenden erfahren können, was diese Region denn lebenswert machte und macht. Jede Gemeinde entscheidet hier für sich und geht jeweils eigene Wege, von denen dann die andern lernen können.

Gemeinsam ist allen, dass die historische Arbeit meist von engagierten Laien geleistet wird und die entsprechenden Budgets gering sind. Fischenthal hat neben einem auch archivisch aktiven Ortsmuseum eine öffentlich zugängliche Datenbank eingerichtet, wo die Fischenthal betreffenden Artikel des « Zürcher Oberländers » und seiner Vorgänger im Volltext abrufbar sind und schreibt schrittweise die Ortsgeschichte weiter.

Vorbildliches Chronikarchiv in Bauma

Bauma glänzt mit seinem Chronikarchiv, einem neuen Dorfrundgang mit Häusertafeln und Online-Zusatzinformationen. Sein Ortsteil Sternenberg hat – von einer Stiftung organisiert – seine Geschichte bis zur Fusion mit Bauma in einem von Geschitsforschenden verfassten Buch 2019 veröffentlicht. 2020 erhält Bauma ein Archiv Wolfensberger, in welchem der Nachlass von Jakob Wolfensberger und die frühe Giessereigeschichte des Tösstaler Traditionsbetriebs professionell archiviert werden.

Bäretswil liess 2016 seine Geschichte in einem umfangreichen Buch neu schreiben und startete dieses Jahr mit einem von der Fachhochschule Graubünden begleiteten Digitalisierungsprojekt sowie einer neu gegründeten Chronikkommission, da es 10‘000 ortsgeschichtlich wichtige Dias geerbt hat. Diese Dias sollen in digitalisierter Form bald öffentlich zugänglich sein. Als Weiterführung soll ein Archiv für Privatbestände eingerichtet werden.

Ortsmuseum Wila hat einen Wikipedia-Eintrag

In Wila ist 2016 das erste gemeindliche Privatbestandsarchiv entstanden, aus welchem die Ortsmuseumskommission seit Jahren für ihre Ausstellungen und Publikationen schöpft und welches dauernd erweitert wird – nun hoffentlich erweitert um Akten aus der Tätigkeit der früheren landwirtschaftlichen Vereine Wila und Turbenthal, heute bekannt als Landi Wila-Turbenthal.

Der gemeinsame Ein- und Weiterverkauf von Dünger, Landmaschinen und allem Bauernbedarf war und ist für diese landwirtschaftlich geprägte Region sehr wichtig, die Entwicklung zum Detailhandel (Volg) bis hin zu Tankstellen spannend. Das Ortsmuseum Wila ist als eines von wenigen regionalen Ortsmuseen auf Wikipedia, wo auch die intensive regionalgeschichtliche Publikation ersichtlich ist, zum Beispiel mit einer eigenen Schriftenreihe.

Gemeinsame Wanderausstellungen in Turbenthal und Wila

In Turbenthal ringt seit 30 Jahren ein aktiver Ortsmuseumsverein um ein geeignetes Gebäude, das er nun endlich erhalten wird. Ein immer reichhaltiges und treffpunktorientiertes Programm lockt von Frühling bis Sommer zahlreiche Interessierte zu Nachmittagsveranstaltungen an. Seit 2014 ermöglicht die Zusammenarbeit der Kulturkommission Turbenthal und des Ortsmuseumsvereins mit der Ortsmuseumskommission Wila thematische Wanderausstellungen, welche die Ortsgeschichte von Turbenthal und Wila gleichermassen weiterschreiben.

2017 hat die Gemeinde ein Privatbestandsarchiv eingerichtet, das betreut wird. Besonders attraktiv macht Turbenthal ein regionales Lager für Museumsgegenstände in der ehemaligen Zivilschutzanlage Risi, welches mit der Zeit immer professioneller geführt wird. Wildberg erkundet seine Geschichte bisher eher in Zeitungsartikeln oder Jubiläumsevents. Archive sind in privater Hand. Wohin die archivische Reise geht, wird sich weisen. Weisslingen kann mit seinem historischen Verein Weisslingen im « Sprützehüsli » schon seit vielen Jahren Ausstellungen organisieren und hütet auch ein ortsgeschichtliches Archiv. Die Einbindung der politischen Gemeinde in die Kulturaktivitäten ist in Arbeit.

Zell empfiehlt das Sozialarchiv

In der Gemeinde Zell hat 2019 der Bürgerliche Gemeindeverein Zell seine Geschichte schreiben lassen und der Nachlass von Paul Burkhard wird weiterhin privat betreut. Bis jetzt hat die Gemeinde die historisch-archivische Arbeit nicht als ihre Aufgabe betrachtet und das Sozialarchiv empfohlen. Dieses übernimmt aber nur bereits bearbeitete Bestände. Weitere private Zeller Archivalien werden also ohne aktive Pflege in der Gemeinde verschwinden.

Gesamthaft gesehen ist es erfreulich wie man sich im Tösstal für die Erhaltung des gemeindlichen Gedächtnisses einsetzt. (Wolfgang Wahl)

Projekt Kulturarchive

Seit zwei Jahren verfolgt die Kulturkommission Zürcher Oberland das Projekt «kulturarchive.zh». Bis 2024 soll der folgende Zustand erreicht sein: « Die Kulturarchive (Privatbestandsarchive) sind im Kanton Zürich eng untereinander und darüber hinaus mit anderen – vorab mit Museen – vernetzt. Sie archivieren nachhaltig nach klaren Sammelkonzepten und neustem Stand des Wissens. Sie packen gemeinsam die digitalen Chancen. Ihre Schätze werden der Öffentlichkeit nähergebracht und fördern das Geschichtsbewusstsein. Gemeinden und Kanton unterstützen die Kulturarchive fachlich und finanziell. Die gesetzlichen Grundlagen sind geschaffen. »

Eine Spurgruppe unter der Leitung von Wolfgang Wahl wird ab dem Winter 2019/20 in Zürcher Oberländer Gemeinden die Kulturarchive besuchen und helfen, Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen und anzupacken. Am Archiv- und Museumsforum vom 6. Mai 2020 in Bauma werden erste Ergebnisse vorgestellt und gemeinsam reflektiert.

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