Gesellschaft

Was die Gärtnerei-Dynastie Mötteli mit dem Töss-Hochwasser zu tun hat

Die Familie Mötteli ist nicht nur für ihr Bluemehuus bekannt, aus ihr stammte auch Chronist Jean Mötteli. Im Fokus seiner Erzählungen: Turbenthal.

Unscheinbar, aber wichtig für die Dorfgeschichte: das Bluemehuus Mötteli mit seiner jüngsten Neuerung, dem Selbstbedienungsladen.

Foto: Marco De Luca

Was die Gärtnerei-Dynastie Mötteli mit dem Töss-Hochwasser zu tun hat

Tösstaler Häuser erzählen Geschichten

Das Wohn- und Geschäftsgebäude der Gärtnerei Mötteli ist imposant, aber derart vertraut, dass man es oft gar nicht mehr bewusst wahrnimmt. Dabei kann es eine stattliche Anzahl an Geschichten erzählen.

Renate Gutknecht

Im Jahr 2018 feierte die Gärtnerei Mötteli ihr 150-jähriges Bestehen. Anlass genug für die Familie, vom Historiker Wolfgang Wahl die Firmengeschichte aufarbeiten zu lassen. Dabei flossen familiäre Begebenheiten und eine Fülle an Ortsgeschichte wie von selbst in die Zusammenfassung ein.

Das voluminöse Haus war anfänglich das Doktorhaus Meyer, bevor es 1920 an die Familie Mötteli überging und sich danach zum Standort eines erfolgreichen Unternehmens mauserte.

In der Gegenwart sieht man den 1964 geborenen Hansruedi Mötteli, der 1990 die Betriebsleitung von Vater Heinrich übernahm und zwei Jahre später der Firma den offiziellen Namen Bluemehuus Mötteli + Co gab. Seit Januar 1997 teilt er sich die Betriebsleitung mit seiner Frau Helen.

In der lose erscheinenden Serie «Tösstaler Häuser erzählen Geschichten» stellt Korrespondentin Renate Gutknecht markante Tösstaler Gebäude und deren bewegte Historie vor.

Aus der Mötteli-Dynastie stammt Johannes «Jean» Mötteli (1866–1920), der 1904 das im Verlag des Männervereins erschienene Büchlein «Bilder aus Turbenthals Vergangenheit» veröffentlichte. Er war als Geschichtenforscher tätig, und es entstanden wertvolle Beiträge zur Ortsgeschichte, die auch Einzug hielten in die Turbenthaler Chronik.

Der Chronist Jean Mötteli

Spannend sind seine Lebensbeschreibungen, die zurückgehen auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er erzählt von den Anfangsjahren des jungen Ehepaars Rudolf und Anna Barbara Mötteli-Stahel. Der 1829 geborene Schuster verdiente für den Lebensunterhalt der Familie zu wenig und erkrankte aufgrund der Belastung schwer.

«Man glaubte schon, dass er sicher dem Tod verfallen sei, als es nebst Gottes Hülfe der Geschicklichkeit eines Arztes gelang, seine zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen», schreibt der Chronist. Die beiden Brüder seiner Frau rieten ihm, es ihnen gleichzutun und bei ihnen in der Gärtnerei einzusteigen.

Das war 1859. Wolfgang Wahl hält in der Zusammenfassung die Folgen dieser Änderung in der heutigen rationalen Sprache fest: «Er konnte nach neun Jahren Mitarbeit 1868 gegenüber dem heutigen Mötteli-Haus eine Gärtnerei übernehmen, welche die zwei Brüder seiner Frau wegen Umzug nach Flawil aufgegeben hatten.»

Aufwärts ging es aber vor allem, weil Anna Barbara in einer Baumwollspinnerei eine Stelle fand und mit diesem Verdienst die Familie durchbringen konnte.   

Anfänge im Mötteli-Haus

Tatsächlich war es dem Vater trotz allen widrigen Umständen möglich geworden, das Arzthaus zu erstehen. «Freilich sah dasselbe damals etwas anders aus als jetzt. Da und dort blies der Wind durch Fugen & Ritzen in die Kammern und nur mit Mühe bahnte sich das Tageslicht einen Weg durch die in allen Farben schimmernden Kammerfenster» – so schildert er die Anfangsjahre im Haus.

Weil Wies- und Ackerland dazugehörten, konnte die Familie eine Ziege kaufen. Dank deren Milch wurden die Kinder stetig kräftiger. Da beide Eltern berufstätig waren, nahmen sie eine alte Frau, genannt Züribäsi, zu sich. Sie führte den Haushalt mit Strenge.

Wie fürsorglich sie aber war, zeigt eine weitere Erzählung von Jean Mötteli: «Als einmal mitten in der Nacht in unserer Nachbarschaft Feuer ausbrach, das etliche Häuser in Asche legte und unser Haus ernstlich bedrohte, so trug sie mich mitsamt der Wiege, in der ich lag, in ein vom Brandplatz weit entferntes Haus.»

Die Gärtnerei florierte bald und wurde um ein ansehnliches Gewächshaus vergrössert. Zwei seiner inzwischen aus der Schule entlassenen Söhne halfen im Betrieb mit. Umsichtig erstand Mötteli da und dort Land, das erlaubte denn auch, eine Kuh zu kaufen.

Die Töss kommt – und wie

In den Erzählungen findet man auch Beschreibungen des Hochwassers von 1876, die vor Augen führen, wie viel Kraft und welch zerstörerisches Potenzial die Wassermassen der Töss haben: «Es war anfangs Juni, als an einem Samstagnachmittag ein heftiges Gewitter die Gewässer heftig anschwellen liess.»

Ab Sonntagnachmittag wurden im Tösstal ganze Dörfer unter Wasser gesetzt. Die grösste Sorge bereitete die Eisenbahnbrücke zwischen Wila und Turbenthal, man befürchtete, sie stürze ein. Im Originalton von Jean Mötteli klingt das so: «Heldenmutige Männer liessen sich an Seilen ins Wasser hinab, um den sich an der Brücke angehängten Tannen Durchgang zu verschaffen.»

Jeder machte sich auf das Schlimmste gefasst, so schlimm aber glaubte keiner, dass es sei, wie es nun wirklich war.

Jean Mötteli über das Töss-Hochwasser von 1876

Weiter schreibt er: «Es war fürchterlich! Zu dem Rauschen der wilden Wogen mischte sich das Geheul der Sturmglocken, die dumpfen Töne des Feuerhorns, der Hülferuf der bedrohten Bewohner und das Brüllen des Viehes. Als die Gefahr bei der Brücke ihren Höhepunkt erreicht hatte und schon Wasser in unsere Küche und Stube drang, kam mein Vater mit meinen Brüdern heim und befahl uns, unser Heim zu verlassen.»

Die Familie fand während mehrerer Tage Unterschlupf bei einer befreundeten Familie. Erst am Mittwoch zeigte sich die Sonne wieder. Die Schäden waren verheerend: «Jeder machte sich auf das Schlimmste gefasst, so schlimm aber glaubte keiner, dass es sei, wie es nun wirklich war.»

Die Überschwemmungen wiederholten sich, und hätte man dies gewusst, so «mancher hätte mit trübem Blick in die Zukunft geschaut». Die Ereignisse führten dazu, dass die Töss «Korrekturen» erhielt, die in der Folge grössere Schäden verhinderten.

Gärtnerei geht mit der Zeit

1882 entschied die Familie Mötteli, ob der Kapriolen der Töss in Wald eine Gärtnerei zu kaufen. Rudolf blieb mit der Familie im Zürcher Oberland, in Turbenthal begann mit Heinrich (1859–1945) eine neue Ära.

Dessen Söhne Heinrich (1887–1948) und Robert stiegen ins Geschäft ein. Als Robert nach Effretikon dislozierte, trat Ende 1923 Heinrichs Frau Martha Mötteli-Eberhard in den Betrieb ein. Die Gärtnerei wurde um einen Landwirtschaftsbetrieb erweitert, insgesamt zehn Mitarbeitende halfen, alle erhielten Kost und Logis.

1948 wurde Heinrich nachts von einem betrunkenen Töfffahrer angefahren und erlag darauf seinen Verletzungen. Die Söhne Heinrich (1921–2005) und Robert führten das Geschäft weiter. Letzterer verunglückte jedoch 1957 bei Holzarbeiten tödlich. Davor waren die Brüder Mitte der 1950er Jahre der Blumenbörse Zürich beigetreten und konnten sie in der Folge beliefern.

Dies wird seither ununterbrochen weitergeführt. Produktionen und Investitionen passten sich in den Folgejahren stets den Gegebenheiten an, ab 1965 leitete Heinrich Mötteli die Geschicke des Betriebs. Die Familie hat in all den Jahren immer Wege gefunden, mit interessanten Ideen das Blumengeschäft erfolgreich zu führen, erhielt die eine oder andere Auszeichnung und kann zudem Arbeitsplätze anbieten und erhalten.

Seit 2008 gibt es eine Filiale in Bauma, dazu gesellt sich nun das jüngste Kind, der kleine Selbstbedienungsladen, damit die Kundinnen und Kunden auch ausserhalb der Öffnungszeiten ein blumiges Geschenk kaufen können.

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