Vom Vogelparadies zur Kornkammer
Auch in Gossau und Mönchaltorf kam es im Zweiten Weltkrieg zur Anbauschlacht. Mit welchen Auswirkungen, das zeigen aktuelle Ausstellungen im Ortsarchiv Mönchaltorf und im Gossauer Ortsmuseum Dürstelerhaus.
«Vom Vogelparadies zur Kornkammer». Was hinter diesem griffigen Titel steckt, erklärte Heinz Girschweiler vergangene Woche im gut besuchten Mönchhof. Er ist ehemaliger Journalist und freier Mitarbeiter beim Gossauer Ortsmuseum Dürstelerhaus. Dort hat er zusammen mit einer Arbeitsgruppe eine Ausstellung zum Thema Melioration zusammengestellt, welche die beiden Gemeinden Gossau und Mönchaltorf betrifft.
Deshalb findet nun gleichzeitig im Ortsarchiv von Mönchaltorf eine Ausstellung zur Melioration statt. Das Ortsarchiv wird vom Mönchaltorfer Forum betreut. Diese Ausstellung haben Paul Boschung, der als Vizepräsident des Mönchaltorfer Forums für das Ortsarchiv zuständig ist, und die Archivarin
Sina Lampinen organisiert.
Als der Zweite Weltkrieg tobte, lancierte der damalige Bundesrat Traugott Wahlen die Idee, sich von Nahrungsmittelimporten unabhängig zu machen und stattdessen vor allem Kartoffeln und Getreide vermehrt selber anzubauen. Dazu wurden zusätzliche fruchtbare Ackerflächen geschaffen – diese Bodenverbesserung wird Melioration genannt.
Die Gesamtmelioration Gossau-Mönchaltorf betraf das ganze Gemeindegebiet in Gossau und Mönchaltorf. Im Rahmen dieser Anbauschlacht verschwand das Gossauerriet zwischen Unterottikon in Gossau und Mönchaltorf, das entwässert wurde. «Rund 750 Hektaren wurden in den Gemeinden Gossau und Mönchaltorf entwässert, 650 Hektaren entfielen auf das Gossauerriet», ist im aktuellen «Heimatspiegel», einer illustrierten Beilage des «Zürcher Oberländers» und des «Anzeigers von Uster», zu lesen, den Heinz Girschweiler zur Ausstellung «Vom Vogelparadies zur Kornkammer» verfasst hat. Es war damals das grösste Entwässerungsprojekt im Kanton Zürich.
Aabach tiefergelegt
In Handarbeit gruben Arbeitslose, Wanderarbeiter aus der Innerschweiz und internierte Polen zahlreiche Gräben, in denen Drainage-Röhren verlegt wurden. Aus dem sumpfigen Riedland, wo die Bauern vorher vor allem Stroh für ihre Tiere ernten konnten, wurde fruchtbares Ackerland. Im Rahmen der Melioration wurde auch der Aabach, der früher Mönchaltorf öfters überschwemmte, um rund zwei Meter tiefergelegt.
Naturschutz spielte damals keine Rolle, nur ein paar Naturschützer und Vogelkundler wehrten sich gegen das Projekt, das im Mai 1941 von den 540 betroffenen Grundeigentümern zu 73,6 Prozent angenommen wurde. Das Vogelparadies verschwand, stattdessen entstand eine Kornkammer. Das war der Startschuss für die Gründung der Meliorationsgenossenschaft Gossau-Mönchaltorf.
Die Melioration sorgte für eine umfassende Güterzusammenlegung. Vorher gab es über 100 kleine Parzellen, die nun neu aufgeteilt wurden. Die Bauern erhielten neu ein grosses, zusammengefasstes Landstück. Das zur Freude der Bauern, die jetzt nicht mehr mühsam viele kleine Flächen bearbeiten mussten, sondern nur noch eine grosse Fläche. «Vor dem Krieg bearbeiteten vier Männer 8,6 Hektaren Riedland. Nach der Melioration reichten dreieinhalb Vollstellen für die Bewirtschaftung von 16,2 Hektaren Kulturland aus», ist im «Heimatspiegel» zu lesen.
1945 wurde die ehemalige Riedfläche erstmals mit Kartoffeläckern und Getreidefeldern belegt. «1945 wurden in Gossau von 265 Hektaren 110 Tonnen Getreide abgeliefert, vor dem Krieg waren es von 200 Hektaren noch 70 Tonnen», entnimmt man dem «Heimatspiegel».
Am Anlass im Mönchhof von vergangener Woche kamen auch Zeitzeugen der Melioration, alle in den 1930er Jahren geboren, in Tonaufnahmen zu Wort. Zu hören waren aus Mönchaltorf Peter Hofmann, Karl Suremann, Adolf Steuri und Leni Vögeli-Walder – aus Gossau war Göpf Lehmann vor Ort.
Kiesmaterial für neue Feldwege und als Unterlage für die Drainage im Ried wurde von der Gossauer Sandgrube in der Langfuhr per Bähnchen mit kleinen Wagen bis nach Mönchaltorf transportiert. «Am Abend standen die Wägelchen still. Als Buben sind wir in diese hineingestiegen und sind damit herumgefahren», erinnert sich ein Zeitzeuge. Und eine Zeitzeugin sagt: «Als Mädchen durften wir nicht mitfahren, das hat mich geärgert.» Ein anderer Mann erinnert sich: «Früher wurde das Wasser im Ried gestaut. Es ergab sich so eine Eisfläche, auf der wir Schlittschuh gelaufen sind.» Und eine weitere Zeitzeugin berichtet: «Durch die Landzusammenlegung lag unser Kulturland plötzlich direkt um unseren Hof herum und war nicht mehr so zerstückelt. Das war eine Sensation für uns.» Mit der Neuordnung des Lands entstanden auch sieben neue Bauernhöfe.
Gossauer Dorfarzt schoss viele Schwarz-Weiss-Fotos
Wie kam es jetzt überhaupt zu dieser Ausstellung? Ab 2025 schrieb Heinz Girschweiler eine Biografie über seinen ehemaligen Primarlehrer Jakob Zollinger, der über 70 «Heimatspiegel» verfasst hatte. «In der Recherche fiel mir auf, dass er nie über die Melioration schrieb», so Girschweiler. Das wohl, um einen Familienkonflikt zu vermeiden: Denn er war als Naturschützer gegen die Melioration des Rieds, sein Vater als Bauer dafür.
Und ausserdem lagerten im Dürstelerhaus über 100 Schwarz-Weiss-Fotos zur Melioration, die Gossau und Mönchaltorf betreffen. Geschossen hat sie der ehemalige Gossauer Dorfarzt Willy Rey. «Statt diese im Archiv verstauben zu lassen – zudem jährt sich die Melioration von 1945 heute zum 80. Mal. Das war Anlass genug für eine Ausstellung», verrät Heinz Girschweiler.
Übrigens könnte sich die Geschichte in der Landschaft zwischen Gossau und Mönchaltorf, die sich seit 80 Jahren nicht gross verändert hat, wiederholen. Diesmal nur in umgekehrter Form. «Gebüsche und naturnahe Flächen sind fast inexistent», heisst es im «Heimatspiegel». Viele Tier- und Pflanzenarten sind bis heute verschwunden. Der Kanton plant nun, rund zehn Prozent der Fläche wieder zum Ried zu machen. 2023 hat er in Gossau schon über die Pläne informiert. Das führte gemäss dem «Heimatspiegel» bei den Bauern zu Unmut, die ihr Produktionsland nicht wieder vernässen und den Fröschen und Vögeln überlassen wollen.