Ustermer Rapper Freezy: «Geheilt? Das wäre gelogen!»
Lange Zeit war der Ustermer Rapper und 20-Minuten-Radiomoderator Freezy von der Bildfläche verschwunden. Seine letzte Musikproduktion wurde im Dezember 2021 veröffentlicht, sein letzter Eintrag auf einem Social-Media-Kanal stammt von letztem September. Bekannt war einzig, dass der Rapper am Samstag am H2U-Festival in Uster auftritt.
Das änderte sich dann vor kurzem. Der Rapper veröffentlichte einen Post auf Instagram und Facebook, in dem er seine Abwesenheit thematisiert.
Einige Tage nach dem Post treffen wir den Rapper und Radiomoderator im Vorgarten seines Wohnblocks. Die Sonnenbrille sitzt, ebenso die Mütze auf dem Kopf – und das Lachen im Gesicht. Remo Hunziker, wie Freezy bürgerlich heisst, wirkt entspannt. Er zündet sich eine Zigarette an und beginnt zu erzählen:
«Eines Morgens wachte ich auf und fühlte mich direkt einfach nur beschissen. Dennoch zwang ich mich zum Aufstehen: Eine Radioshow kann ich nicht einfach auf später verschieben. Ich wusste, jetzt muss ich funktionieren. Also kämpfte ich mich durch die Sendung, immer in stetiger Angst, jeden Moment eine Panikattacke zu erleiden. Am nächsten Tag dann noch einmal, in einem noch schlechteren Zustand. Und zum Feierabend wusste ich: Ich brauche Hilfe. Also informierte ich meinen Chef, ging nach Hause – und brach zusammen.»
Du warst also an deinem Nullpunkt angekommen.
Freezy: Ich habe schon seit über zehn Jahren mit Angstzuständen und leicht depressiven Phasen zu kämpfen. Letzten Herbst verschlechterte sich mein Zustand aber ziemlich rasant – bis ich dann an meinem Tiefpunkt angekommen war. Die beiden darauffolgenden Wochen verbrachte ich in meinem Zimmer und starrte die Wände an. Irgendwo lief zwar der Fernseher, ich konzentrierte mich aber nicht darauf. Ich konzentrierte mich auf überhaupt nichts – ich war einfach dort, quälte mich mit negativen Gedanken und habe mich katastrophal gefühlt. Selbst Schlafen hat nicht geholfen; kaum aufgewacht, fühlte ich mich jeweils noch schlechter als zuvor.
Hast du dir dann Hilfe geholt?
Ich wusste, dass ich auf Hilfe angewiesen war und mich schnellstmöglich in Therapie begeben sollte. Eine Notfallklinik war aber nicht das richtige. Ich wandte mich an einen Therapeuten, sendete einen Hilferuf und hatte grosses Glück: Ich erhielt kurz darauf einen Platz.

Freezy macht eine kurze Pause, die Sonne geht langsam unter. Der Rapper hebt seine Red-Bull-Dose hoch, die bereits leer ist. Dann erzählt er weiter:
«Die ersten zwei Monate tat ich praktisch gar nichts. Ich ging zu meinen Therapiesitzungen, brachte sonst aber nicht wirklich etwas auf die Reihe. Das kannte ich so nicht, da ich immer eine sehr aktive Person war. Irgendwann kamen wir in einer Therapiesitzung auf meine Hobbies zu sprechen, darunter auch Modellflugzeuge. Ich kaufte mir mir einen riesigen Vogel mit super filigranen Teilen. Normalerweise würde ich ein solches Projekt in wenigen Tagen erledigen. In meinem damaligen Zustand sass ich teilweise aber über eine Stunde vor dem Flugzeug, wissend, wo ich welches Teil anleimen müsste – und brachte es nicht auf die Reihe. Ich starrte ihn an und starrte ihn an und starrte ihn an – schaffte es aber einfach nicht, den nächsten Schritt zu machen. Irgendwann fragte ich mich, ob ich jetzt völlig verblödet bin.»
Ein lakonisches Lachen entfährt dem Rapper, bevor er weiterspricht. Er zündet sich eine weitere Zigarette an.
«Das Zusammenbauen des Fliegers war eine enorm wichtige Beschäftigungstherapie für mich. Ich habe gesehen, dass ich etwas erschaffen kann und Fortschritte in dem erziele, was ich gerade tue. Auch wenn es nur ein Kackflieger war – es ging darum, dass ich am Abend das Gefühl hatte, etwas getan zu haben. Im Laufe dieser Zeit fand ich dann wieder meinen Weg zur Musik. Ein Produzent startete einen Aufruf, worauf ich mich mit einem Sample bei ihm meldete. Einen Tag später erhielt ich einen Beat zurück, der einfach geil war. Er strahlte positive Vibes aus – und das war der erste Moment seit langem, in dem ich wieder einen Songtext schreiben konnte. Darin spreche ich über eine sehr dunkle Zeit, was in einem Kontrast zum positiven Beat steht, der irgendwie Hoffnung macht. Und das war es, was ich gebraucht hatte: etwas Hoffnungsvolles, eine Art Ausweg. Daraus entstand dann der Song Nullpunkt, der das Outro auf dem neuen Album ist.»
Welche Rollen spielen schwierige Momente für deine Musik?
Nehme ich mir bewusst Zeit für die Musik oder das Texten, klappt es nicht. Ich schreibe dann, wenn viel los ist. Wenn ich mich lange mit etwas beschäftige, findet das irgendwann den Weg in meine Musik. So war es auch hier – als ich begann, mich meinen Problemen zu stellen und mich mit diesen auseinanderzusetzen, fand das den Weg in meine Kunst. Ich machte mir keinen Druck, sondern arbeitete einfach vor mich hin – und irgendwann war klar, daraus wird ein Album.
Mit «Antiheld» ist die erste Single des neuen Albums ist bereits erschienen.
Hattest du Angst davor, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Null. Ich wusste schon vor drei Monaten, dass ich das tun möchte – damals war einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür gekommen. Mir wurde klar, dass ich eine Stimme habe und Menschen um mich herum, die mir zuhören – warum das also nicht nutzen, um über meine Situation und meinen Weg zu sprechen? Damit habe ich mir selbst den Auftrag gegeben, anderen Mut zu machen, denselben Schritt zu wagen und sich zu öffnen. Das muss nicht heissen, das jetzt jeder und jede ein Album oder einen umfassenden Instagrampost veröffentlichen muss – aber reden hilft. Ich erhielt auf meinen Post viele Rückmeldungen, die mir zeigten, dass sehr viele Personen von ähnlichen Problemen betroffen sind. Ich will diesen Menschen helfen und aufzeigen, wie und wo sie sich Hilfe holen können und dass sie nicht alleine sind. Das von jemandem wie mir zu hören, macht vielleicht – oder hoffentlich – Mut.
«Ich passe nicht unbedingt in das stereotypische Bild einer depressiven Person.»
Jemanden wie dir – was meinst du damit?
Ich bin extrovertiert, arbeite als Moderator, rede viel und stehe als Künstler auf der Bühne. Ich passe nicht unbedingt in das stereotypische Bild einer depressiven Person, das in unserer Gesellschaft verbreitet ist: Ruhig, zurückhaltend, introvertiert. Das ist natürlich Bullshit, kann aber durchaus dazu führen, dass sich Betroffene ihre Probleme nicht eingestehen oder diese unterdrücken. Das tat ich auch; in meinen frühen 20ern liessen sich meine Angstzustände nicht mit der damaligen Vorstellung meiner Person vereinbaren. Rap und Musik standen im Vordergrund – ich hatte keine Zeit für «sowas». Die Therapie tat ich als Hokuspokus ab, sah den Sinn dahinter nicht und war einfach scharf auf die Medikamente – völlig falsch und dumm natürlich.
Wie blickst du jetzt darauf zurück?
Es war wie so oft in meinem Leben: Ich muss auf die Fresse fliegen, bevor es in meinem Kopf Klick macht. In diesem Falle war das der Moment als ich nach der Morgenshow Feierabend hatte. Ich zwang mich selbst, mich zu öffnen und mir Hilfe zu suchen, weil ich in diesem Moment keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe. Erst als ich mir das selbst eingestanden hatte, dass das so ist, war der restliche Weg einfacher zu beschreiten. Ich entschied, etwas zu ändern – und ziehe es dieses Mal durch.
Heisst, du bist bei dir selbst angekommen.
Im Gegensatz zu meinem ersten Therapieversuch bin ich mir meiner Situation bewusst und habe mich damit auseinandergesetzt. Klar, nicht immer habe ich Bock auf die Sitzung – manchmal würde ich lieber zu Hause bleiben oder mit Freunden chillen. Aber ich weiss, dass die Stunden mit dem Therapeuten Teil des Prozesses sind, den ich durchmache. Genau wie die Medikamente. Entgegen anderer Erfahrungen fühle ich mich durch diese aber überhaupt nicht gebremst oder emotionslos; ich bin immer noch der gleiche lustige, unlustige, Trottel wie früher, klopfe meine Sprüche und singe auf der Redaktion.
Es geht dir also gut.
Zu sagen, ich bin geheilt, wäre gelogen. Also doch, von den Depressionen. Aber die Angstzustände, welche seit bald zehn Jahren ein Teil von mir, sind es nach wie vor. Aber meine Einstellung dazu hat sich verändert. Ich bin im Kopf um Meilen weiter als noch vor einigen Monaten oder Jahren, arbeite seit einigen Monaten wieder hundert Prozent und habe keine Panikattacken mehr. Daher ja: Ich fühle mich besser denn je – und freue mich auf meinen Auftritt am H2U.
Das neue Album «Balkon für zwei» von Freezy erscheint am 11. November. Der erste Song «Antiheld» wurde am 19. August veröffentlicht und ist auf allen gängigen Streaming-Plattformen zu finden. Der Ustermer Rapper tritt am Samstag, 20. August um 15.30 Uhr am H2U-Festival in Uster auf.