Die Millionen fliessen nur bei den Stars – sein Alltag hingegen ist zäh
Seit über einem Jahrzehnt ist Ramadan Hiseni Profiboxer. Allein von seinem Sport leben kann der Volketswiler aber nicht. Jetzt hat er seine Strategie angepasst.
Auf diese Chance hat Ramadan Hiseni rund anderthalb Jahre gewartet. So lange ist es her, seit der Volketswiler letztmals im Ausland kämpfen konnte. Am 11. Dezember ist Hiseni zurück auf der internationalen Bühne. Es sind jene Kämpfe, die ihn weiterbringen und neue Perspektiven eröffnen können.
Wie im Juni 2024 tritt Hiseni erneut in Kanada an, dieses Mal in Gatineau, wo er auf den Einheimischen Alexandre Gaumont trifft. Verpflichtet haben ihn dieselben Leute wie im Vorjahr. Hiseni sagt: «Die machen ihren Job professionell und halten die Verträge ein.»
Es ist keine Selbstverständlichkeit in einer Szene, die viel Potenzial für zwielichte Machenschaften bietet. Und in der Kontakte eine entscheidende Rolle spielen. Hiseni ist schon lange dabei und sagt: «Ich habe einiges gesehen.» Er spricht offen über die Schattenseiten des Boxgeschäfts, wie er sie nennt.
Auch darum, weil er überzeugt ist: «Viele machen sich ein falsches Bild.» Bei den Topstars mögen Millionen fliessen, weiter unten in der Nahrungskette ist der Glamourfaktor viel geringer und der Alltag zäh.
Er steckt im Niemandsland
Der Auftritt im Casino Lac-Leamy ist für Hiseni richtungsweisend. Er hat 21 seiner 25 Profi-Kämpfe gewonnen. In der für ihn relevanten Boxrec-Rangliste liegt der Mittelgewichtler an 111. Stelle. In einer Region also, die man ohne seine Leistungen und Fähigkeiten schmälern zu wollen, als Niemandsland bezeichnen kann.
Mit dem aktuellen Ranking werde er von niemandem in den Top 20 als Herausforderer verpflichtet, sagt Hiseni. «Und ich bin weit davon entfernt, jemanden aus jener Region herausfordern zu können.»
Letzteres wäre für ihn schon aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich. Wer einen Herausforderer engagiert, muss dessen Kosten übernehmen.
Was heisst das umgemünzt auf Hisenis Kanada-Abstecher? Die Veranstalter zahlen Reise, Unterkunft und Verpflegung. Dazu erhält er eine Gage. Hisenis Gesamtpaket hat einen fünfstelligen Wert. Falsche Vorstellungen über dessen Höhe darf man sich trotzdem keine machen, hält der Boxer trocken fest. «Würde man meinen zeitlichen Aufwand korrekt aufdröseln, würde es keinen Sinn machen.»
Hiseni sieht den Kampf im grösseren Kontext. Es ist eine Investition. Vom Durchbruch mag er nicht sprechen, er sagt es lieber so: «Gewinne ich, ist eine Schicht des Eises abgetragen. Dann wäre ich ein Stück weiter.»
Das Bild ist falsch
29 wurde der Volketswiler im Sommer, seit mehr als einem Jahrzehnt ist er Profi. Boxen bestimmt sein Leben. Vom Boxen leben aber kann er nicht. «Ohne Unterstützung meiner Familie würde es nicht gehen.» Seit Kurzem arbeitet er an vier Tagen pro Woche als Trainer im neu eröffneten Gym H3 Boxing seiner Frau. Eine ideale Lösung, findet Hiseni. Und das Boxen? «Kommt nicht zu kurz. Ich bin noch immer zu 100 Prozent dabei.»
Was sich wohl die wenigsten wirklich bewusst sind: Als Profiboxer ist Hiseni selbständiger Unternehmer – mit allen Chancen, Risiken und Sorgen. Eine seiner Hauptaufgaben: «Gelder hereinholen.» Hiseni hat Sponsoren. Man könne einige der Unterstützer ebenso gut als Gönner bezeichnen, sagt er.
«Sie finden es cool, was ich mache, und bewundern meinen Weg.» Verbandsunterstützung erhält er keine. Im Februar organisierte Hiseni ein Boxmeeting in seiner Heimatgemeinde. Nicht in der Erwartung, Geld zu verdienen, «sondern um mir einen Traum zu erfüllen».
Das Risiko wurde insofern belohnt, dass er keinen Verlust schrieb. Gewinn aber auch nicht.
Für den «Bumm» ins Ausland
Lange trieb der Mittelgewichtler die Karriere unter der Prämisse vorwärts: Kämpfen, kämpfen, kämpfen. Sechsmal stand Hiseni 2024 im Ring. «Das war zu viel», sieht er jetzt ein. Hiseni sagt, seine Frau habe ihm die Augen geöffnet. Mit dem Argument, er stehe nicht mehr am Karriereanfang, wo es darum geht, möglichst viel Erfahrung zu sammeln.
Hiseni hat daraufhin realisiert: Kämpft er weiterhin überwiegend in der Schweiz, bleibt er im Hamsterrad gefangen. Der «Bumm», wie er den Durchbruch bezeichnet, lässt sich hierzulande kaum erzwingen. Nun konzentriert er sich auf die internationale Bühne.
Der Kampf in Kanada ist erst Hisenis zweiter dieses Jahr. Auf die richtige Gelegenheit zu warten, brauchte Geduld. Hiseni erhielt in den letzten Monaten nur wenige Anfragen für Kämpfe, interessante Optionen waren keine dabei. Er gibt zu bedenken, für Boxer aus Ländern mit tiefen Lebenskosten sei eine Gage von wenigen tausend Euro lukrativ genug, um anzutreten. «Aber in der Schweiz haben wir einen hohen Standard.»
Das Angebot aus Kanada erfüllte die Erwartungen. Am Ursprung stand eine Anfrage an Patrick Vazquez, der laut Verbandswebsite Hisenis Manager ist. Der Boxer bezeichnet Vazquez indes als Kollegen. «Solange es nicht um das grosse Geld geht, hat ein Manager keine Funktion», stellt Hiseni klar. Er braucht offiziell dennoch einen, um eine Lizenz zu erhalten.
Die wichtigste Rolle im Aufgleisen von Kämpfen haben die Matchmaker. Die Losung ist laut Hiseni simpel: «Je mehr Matchmaker einem kennen, umso grösser ist die Chance, irgendwo kämpfen zu können.»
Auch an Orten, an denen das Publikum den Herausforderer kaum kennt. Wie in Gatineau. Mit einem Sieg da könnte Hiseni in der Weltrangliste wohl bis in die Top 40 vorstossen. Und müsste kaum erneut anderthalb Jahre warten bis zum nächsten Kampf auf internationalem Parkett.