Das umgängliche Boxtalent mit dem grimmigen Blick
Er wird einen grimmigen Blick aufsetzen. Dem Gegner tief in die Augen schauen. Und kein Wort mit ihm wechseln. Wenn am Vortag beide Boxer auf die Waage müssen und sich dabei begegnen, wird Ramadan Hiseni längst eingetaucht sein in eine andere Welt und jede unnötige Ablenkung vermeiden.
Der 10. Juni naht, der Abend, an dem der Volketswiler zu seinem 16. Kampf als Profi antritt und den 16. Sieg anstrebt. Die Bühne ist der Stadthofsaal in Uster, in dem rund 700 Zuschauer für einen würdigen Rahmen sorgen.
Hiseni steht vor seiner bislang wohl grössten Herausforderung. Der Mittelgewichtler trifft auf den Franzosen Nizar Trimech, der als Brocken in dieser Klasse gilt und Qualitäten mitbringt wie nicht mancher Konkurrent zuvor. Aber der 25-Jährige platziert eine Ansage, die keinen Zweifel offenlassen: «Ich habe den Anspruch, diesen Kampf zu gewinnen.»
Fasziniert von Ali und Tyson
Ramadan Hiseni sitzt an einem sonnigen Tag im Mai in Andelfingen vor einem Kaffee und erzählt aus seinem Leben. Der Schweizer mit kosovarischen Wurzeln wächst in Volketswil auf, er ist der jüngste von drei Buben der Familie, kickt als Junior im Fussballclub, aber etwas interessiert ihn viel mehr als alles andere: das Boxen.
Auf youtube findet er Filme mit Kämpfen von Grössen, er ist fasziniert von Muhammad Ali und Mike Tyson, und als sich ihm mit 13 die Möglichkeit bietet, zum ersten Mal in einem Ring zu stehen, weiss er: Das ist mein Sport.
«Das hat mich seit je fasziniert, die Verantwortung abschieben, das geht nicht»
Er bringt Talent mit. Und eine enorme Leidenschaft. Das Training ist für ihn nie eine lästige Pflicht, im Gegenteil. Er realisiert sehr schnell, dass er nicht mit dem Finger auf andere zeigen kann, wenn es nicht läuft. Dass nur einer verantwortlich ist für eine Niederlage: er selber. «Das hat mich seit je fasziniert», sagt er, «die Verantwortung abschieben, das geht nicht.»
Nach der Schulzeit fängt Hiseni eine Ausbildung als Logistiker an, aber er bricht die Lehre zu Beginn des zweiten Jahres ab. Weil er überzeugt ist, dass er es als Boxer weit bringen wird. Und weil er den Aufwand noch einmal erhöhen möchte. Das heisst: Er wird Profi. Mit 18. Bloss: Was ist, wenn ihm der Durchbruch verwehrt bleibt? Was ist mit dem beruflichen Standbein? «Es geht immer wieder eine Tür auf», antwortet er, «ich mache mir da keine Sorgen.»
Lob von Jeff Mayweather
Seine Tage füllt er nun also mit Trainings aus, mit intensiver Vorbereitung auf Kämpfe, wobei weit mehr dazugehört als nur der sportliche Teil. Hiseni organisiert vieles in Eigenregie, wer vor einem Kampf ein Ticket benötigt, kann sich bei ihm melden. Er wirbelt auch neben dem Ring. Das grosse Geld lässt sich zwar noch nicht machen, aber das ist Hiseni in dieser Phase nicht wichtig. Um über die Runden zu kommen, nimmt er auch Gelegenheitsjobs an.
2019 holte sich der Volketswiler den WBC-Jugend-Weltmeister-Titel.
Seine sportlichen Träume lässt er sich nicht nehmen. Hiseni will nach oben, an die Weltspitze, er will die grosse Bühne betreten, am liebsten in Las Vegas. 2019 sorgt er schon einmal für ein dickes Ausrufezeichen, als er WBC-Jugend-Weltmeister wird – der World Boxing Council ist einer von vier Box-Weltverbänden.
Und 2019 reist er auch ein erstes Mal nach Las Vegas. Dort verbringt er ein paar Trainingstage im Mayweather Boxing Club und lernt Jeff Mayweather kennen. Der frühere Profi-Boxer und Onkel von Weltmeister Floyd ist offensichtlich angetan von den Fähigkeiten des Gastes aus der Schweiz. «Das Lob von ihm am Ende war ehrlich, das spürte ich», sagt Hiseni.
Sein Talent spricht sich herum, aber in Sachen Professionalität lässt sich noch einiges verbessern. Und an diesem Punkt kommt der Schaffhauser Unternehmer David Togni ins Spiel, Besitzer des Modelabels «Love Your Neighbour».
Zu Beginn dieses Jahres steigt er ein und peilt ein erstes Ziel an: Er möchte Strukturen schaffen, die Ramadan Hiseni ermöglichen, sich ausschliesslich auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren, also auf das Boxen.
Fortan kümmern sich drei Trainer um ihn: Einer ist für das Boxtechnische zuständig (Bryan Svensson de Souza), einer für Krafteinheiten (John Hendren), ein dritter für den Bereich Ausdauer (Colin Ritzmann). Und: Inzwischen ist auch ein Ernährungsberater hinzugekommen. Togni sagt: «Wir wollen Ramadan den Rücken komplett freihalten.»
Die besondere Einlaufmusik
Kreiert wird von Togni in Zusammenarbeit mit dem Athleten auch ein Slogan. «Humble. Hungry. Hiseni.» – dieser Schriftzug prangt nun auch auf Textilien. Demütig sei Ramadan, sagt Togni, und natürlich hungrig auf Erfolg. Und hinter Hiseni steckt ein liebenswerter Kerl mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Respekt.
Eine kleine Episode dazu: Als er seinen letzten Kampf bestritt, entschloss er sich spontan, einen Strassenmusiker zu engagieren, zu dessen Cello-Klängen er in die Halle lief. Den jungen Mann hatte er zufällig in Basel gesehen, ihn angesprochen und für einen Abend verpflichtet.
Bis zu sechs Stunden investiert Ramadan Hiseni täglich, um sich in jedem Bereich zu verbessern. Der Körper ist sein Kapital, also muss er ihn auch pflegen und ihm Ruhe gönnen. Mit Kollegen um die Häuser ziehen, das gibt es praktisch nicht. Zudem achtet er auf eine ausgewogene Ernährung – das Essen bereitet er sich am liebsten selber zu.
Er steht nun an einem entscheidenden Punkt: Wenn er an diesem Freitag in Uster triumphiert, dürften sich neue Perspektiven ergeben. Konkret: Hiseni könnte Angebote für sehr gut dotierte Kämpfe im Ausland erhalten.
Sein Boxtrainer Bryan Svensson de Souza traut ihm den nächsten Schritt jedenfalls zu: «Ramadan ist ein sehr disziplinierter Boxer, der mit Druck umgehen kann und lernwillig ist.» Svensson, der früher als Thaiboxer in Thailand lebte und seit vier Jahren als Trainer arbeitet, ist ein enger Vertrauter von Hiseni wie David Togni, der Manager. Hiseni sagt: «Auf sie und das ganze Team, das hinter mir steht, kann ich mich verlassen.»
Fast acht Kilo verloren
Er hat Monate hinter sich, in denen er alles diesem Duell mit Nizar Trimech unterordnete. Und er hat Tage hinter sich, in denen er viel schwitzte, um sein Wettkampfgewicht zu erreichen. Im Mittelgewicht darf er maximal 72,5 Kilo auf die Waage bringen. Was wiederum bedeutet: Hiseni musste fast acht Kilo verlieren. Unter anderem geschah das mit gezieltem Entwässern des Körpers. In Zukunft soll sich sein Normalgewicht aber bei 77 Kilo einpendeln.
Der Kampf im Stadthofsaal ist auf zehn Runden à drei Minuten angesetzt. Hiseni will nicht kopflos agieren, sondern geduldig vorgehen, das Risiko dosieren, den Gegner in den ersten Minuten studieren und daraus Lösungsansätze ableiten, um diese knifflige Aufgabe zu lösen.
Hat er ein Ritual? Ist er abergläubisch? «Nein, nein», sagt er, «es ist auch besser so. Ich will völlig flexibel bleiben und im Ring nicht das Gefühl haben, dass ich ein allfälliges Ritual nicht durchgezogen habe wie immer.»
Den grimmigen Blick aber, den wird er nicht nur beim offiziellen Wiegen am Vortag, sondern auch im Ring aufsetzen. Und danach, wenn alles vorbei ist, wird er wieder der umgängliche, zuvorkommende Ramadan Hiseni sein. (Peter M. Birrer)