Spionage, die russische Mafia, ein Oligarch und verschwundene Millionen
Wirtschaftskrimi in Pfäffikon
Nach mehr als sechs Jahren hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen den Pfäffiker Unternehmer Martin Stucki eingestellt. Ein Oberländer Wirtschaftskrimi.
Die Anzeige der Bundesanwaltschaft lese sich wie ein Kriminalroman, sagt Martin Stucki an diesem Aprilmorgen in seinem Büro in Pfäffikon und nimmt einen Schluck Kaffee: «Sehr spannend zu lesen. Wenn man nicht selbst drin vorkommt …»
Martin Stucki ist die Hauptfigur in einer Geschichte mit allen Ingredienzen für einen Wirtschaftskrimi: Spionage und Verrat, viele Millionen Franken, ein russischer Oligarch und sogar die Russenmafia kommen im Drehbuch vor.
Der Grund, warum der Maschinenbau-Ingenieur und Unternehmer am Sitz seiner Marenco AG in Pfäffikon Kaffee trinken und seine Geschichte erzählen kann, ist ein weiteres, aktuelleres Dokument der Bundesanwaltschaft: die Einstellungsverfügung.
Wirtschaftsspionage und Verrat
Auf 43 Seiten und untermalt mit 227 Fussnoten listet die Bundesanwaltschaft (BA) darin eine eindrückliche Zahl an schweren Delikten auf, für die Martin Stucki und ein Geschäftspartner angezeigt worden waren. Darunter wirtschaftlichen Nachrichtendienst, unlautere Werbe- und Verkaufsmethoden, Nötigung und Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses. Wirtschaftsspionage und Verrat, um es einfacher auszudrücken. Starker Tobak.
Sechs Jahre hatte die Bundesanwaltschaft ermittelt. Die Resultate sind für Martin Stucki eine Genugtuung. «Eine Widerhandlung (…) liegt demnach nicht vor» respektive «Das Verfahren (…) ist einzustellen» stehen unter jedem der insgesamt sieben Anklagepunkte. Die Anzeigen der Kopter Group AG in Mollis GL und einer Finanzierungsgesellschaft namens Lynwood AG aus Zürich sind in sich zusammengefallen wie ein missratenes Soufflé.
Hausdurchsuchung in Pfäffikon
Höhepunkt der Ermittlungen war eine Hausdurchsuchung bei Martin Stucki in Pfäffikon am 15. Mai 2018 frühmorgens. Der Unternehmer selbst war an besagtem Tag gar nicht in Pfäffikon, sondern weilte geschäftlich in Stuttgart. Sein Sohn rief ihn damals auf dem Schulweg an und erzählte, was im Wohn- und Geschäftshaus an der Dorfstrasse vor sich ging. Stuckis Frau durfte weder die Wohnung verlassen noch telefonieren, während die Kriminalbeamten Dokumente und Computer sicherstellten.
Um den Grund für die Hausdurchsuchung und die sechsjährigen Ermittlungen zu erfahren, muss man noch ein paar Jahre weiter zurückblenden: Im Jahr 2007 gründete Stucki die Marenco Swisshelicopter (MSH) in Mollis GL als Tochtergesellschaft seiner Marenco Swissengineering (MSE).
Die Marenco Swissengineering existiert seit 1997 und betätigt sich in der Konstruktion von Produkten und Systemen in den Bereichen Industrie, Maschinenbau, Aviatik und Medizinaltechnik.
Zweck der Tochtergesellschaft MSH war, ein von Grund auf neues Helikoptermodell zu entwerfen und zu bauen. «Helikopter sind in der Entwicklung in den 1970er Jahren stehen geblieben. Es gibt keine Innovation mehr», erklärt der Maschinenbau-Ingenieur.
Der «Bankier des Kremls»
Als Geldgeber gewann er 2009 den Russen Alexander Mamut. Der heute 64-Jährige ist nicht irgendwer, sondern steht im zweifelhaften Ruf, der «Bankier des Kremls» und ein «Putin-Propagandist» zu sein. Dieses Etikett verlieh ihm der «Tages-Anzeiger» im November 2023. Mamut besass bis 2020 eine russische Onlinenews-Plattform, brachte diese mittels Entlassungen von Journalisten auf Kreml-Linie und machte sie zum Propaganda-Kanal. Ausserdem soll er an der Finanzierung von Wahlkämpfen von Boris Jelzin und Wladimir Putin beteiligt gewesen sein.
Als Stellvertreterin und CEO installierte der Oligarch die gebürtige Russin Marina Grönberg, die heute einen Schweizer Pass hat. Sie nahm auch Einsitz im Verwaltungsrat der MSH. Als Finanzierungsvehikel wurde eine Firma ins Leben gerufen, die mehrmals den Namen und die Anschrift änderte. Zum Zeitpunkt der Anzeige hiess sie Lynwood AG.
Zwischen dem Erfinder Stucki und der Statthalterin Grönberg kam es bald zu Reibereien. «Sie wollte die MSH und damit das Helikopterprojekt verkaufen und sprach von einem ‹Crazy Price›», erinnert sich Stucki. Als Ingenieur interessierte ihn aber nicht das schnelle Geld, er wollte den einmotorigen Helikopter mit 7-Mann-Kabine zur Marktreife entwickeln.
2016 eskalierte der Streit. Stucki verkaufte seine verbliebenen Aktienanteile an die Lynwood AG von Mamut und Grönberg und zog sich aus der MSH zurück. 5,5 Millionen Franken betrug der Verkaufspreis, auf 3 Millionen Franken wartet er bis heute.
Vier Jahre später wurde die MSH, die zwischenzeitlich in Kopter Group AG umgetauft worden war, an den italienischen Rüstungskonzern Leonardo veräussert. Nicht zu einem «Crazy Price», aber laut NZZ für immerhin 180 Millionen Franken. Alexander Mamut soll über all die Jahre rund 380 Millionen investiert haben … «Auch aus dem Verkauf an Leonardo stehen mir noch vertraglich zugesicherte 9 Millionen Franken zu», sagt Martin Stucki.

Er hatte sich nach dem Austritt aus der MSH/Kopter neuen Projekten zugewandt. Dabei ging es in erster Linie um das Design und die Konstruktion eines Rotorkopfs, den Stucki mit seiner Firma MSE für das israelische Rüstungsunternehmen Elbit entwickelte.
Geheime Daten verraten und verkauft?
Dabei sollten Stucki und sein Geschäftspartner geheime Daten an die Israelis verkauft und verraten haben, beschuldigten die Kläger Kopter und Lynwood den Pfäffiker Unternehmer. Stucki tippt auf seine Stirn: «Natürlich ist hier drin Know-how, das ich auch für die Entwicklung des Helikopters brauchte. Aber das ist mein Wissen.» Ausserdem sei der Rotorkopf für die israelische Drohne eine komplett andere Konstruktion.
Das sieht auch die Bundesanwaltschaft so und beurteilt diese Vorwürfe heute als haltlos. In der Einstellungsverfügung hält die BA fest: «Alle Komponenten wurden von Grund auf neu entwickelt.» In diese Neuentwicklung sei «auch das enorme Erfahrungswissen von Martin Stucki geflossen, welches er aufgrund seiner Ausbildung und seiner langjährigen Tätigkeit in diesem Bereich ausbauen konnte». Zudem war das Drohnengeschäft mit Israel Teil eines Gegengeschäfts, wie sie in der Rüstungsindustrie häufig vorkommen. Laut Einstellungsverfügung war die geplante Zusammenarbeit mit Elbit «im Interesse der Eidgenossenschaft».
«Abkommen mit der russischen Mafia»
Mit wie harten Bandagen der russische Oligarch respektive seine Statthalterin vorgingen, steht ebenfalls in der Einstellungsverfügung: So wurde Stuckis damaliger und mitangeklagter Geschäftspartner auf absurde 75 Millionen Franken betrieben. Er sei dadurch gezwungen worden, «mit der russischen Mafia ein Abkommen abzuschliessen», damit diese Betreibung zurückgezogen würde, gab er zu Protokoll.
In gleicher Höhe wurden laut Stucki auch seine Firma Marenco, die Firma seines Bruders, sein Bruder selbst, Mitarbeitende der MSE und verschiedene weitere Personen und Firmen im Umfeld betrieben. Welches Abkommen der frühere Stucki-Vertraute mit der russischen Mafia schloss, geht aus der Einstellungsverfügung nicht hervor.
Fakt ist, dass Martin Stucki strafrechtlich nichts vorzuwerfen ist und die Strafuntersuchung in sämtlichen Punkten eingestellt wurde. Den Gesamtschaden, den ihm die sechs Jahre Verfahren zugefügt haben, beziffert der Pfäffiker dennoch auf 2,2 Millionen Franken.
Stucki verzichtete auf einen Anwalt, verteidigte sich selbst und begründet seine Forderung mit fünf Jahresbruttolöhnen für einen Rechtsanwalt. Damit zielte er für die Bundesanwaltschaft aber zu hoch: Sie sprach ihm eine Entschädigung von rund 40'000 Franken und eine Genugtuung von 2000 Franken zu.
Und der Helikopter?
Der Helikopter, den Stucki einst als SH09 entwickeln wollte und der nun im italienischen Rüstungskonzern Leonardo entstehen soll, ist noch immer nicht serienreif. Testflüge mit Prototypen wurden absolviert, aber noch fehlt die Zertifizierung der europäischen Flugsicherheitsbehörde (EASA). «Es wäre ein guter Heli geworden», sagt Stucki. «Aber die Italiener haben ihn grösser und schwerer gemacht. Dazu kam noch ein Motorwechsel, sie haben die Maschine zu Tode entwickelt.»
Er würde mit seinem Know-how gerne helfen. «Aber Leonardo spricht nicht mit mir …»