Sie kreiert in Hinwil Träume aus Stoff
Aus Nadel und Faden wird Kunst
Marianne Decurtins lädt in der Galerie Koch in Hinwil dazu ein, ihre handgenähten Bilder zu bestaunen – und ihr bei der Arbeit über die Schulter zu schauen.
Es ist ein sonniger Dienstagmorgen in Hinwil, unter dem strahlend blauen Himmel duften die Blumen auf den Wiesen, zwitschern die Vögel in den Bäumen – die Wärme des Frühlings naht. Ebenso warm ist der Empfang, als die Tür zur Galerie Koch sich öffnet. Mit einem herzlichen Lächeln und sanfter Stimme lädt Marianne Decurtins dazu ein, in die faszinierenden und bewegenden Bildwelten ihrer Kunstausstellung einzutauchen.
Bereits durch die Fensterscheiben des überschaubaren und doch erhabenen Salons an der Zürichstrasse lässt sich ein Blick auf einige der Bilder erhaschen: idyllische Landschaften, Tiere, Blumen überall, surreal und doch so greifbar muten sie an.
Faden und Nadel statt Farbe und Pinsel
Erst durch das Betrachten aus der Nähe wird jedoch klar, dass es sich keineswegs um herkömmliche Gemälde handelt. Decurtins, deren Bündner Wurzeln sich im Namen widerspiegeln, verwendet weder Öl- oder Acrylfarbe noch Gouache. Ihre Werke entstehen aus alten Stoffen, denen sie in sorgfältigster Handarbeit neues Leben, neue Schönheit, neue Geschichten einhaucht.
«Gemalt» mit Nadel und Faden
Während zweier Wochen stellt Marianne Decurtins in der Galerie Koch in Hinwil ihre Werke aus. Das Besondere: Ihre Bilder entspringen nicht etwa der Malerei. Die Künstlerin verarbeitet alte Stoffe und haucht ihnen sogleich neues Leben ein.
Seit dem 2. bis zum 13. März, jeweils von 14 bis 17 Uhr, ist ein Besuch in der Galerie möglich. Vor Ort kann man der Künstlerin auch gleich bei der Entstehung neuer Werke über die Schulter blicken. (zo)
«Schon als Kind war ich fasziniert vom Nähen», erzählt die gelernte Schneiderin und Krankenschwester, die nun schon seit gut 50 Jahren handgenähte Bilder dieser Art anfertigt. Die Betonung liegt auf «handgenäht»: Für die Collage-artigen Schöpfungen verwendet die Künstlerin abgesehen von ihren Händen ausschliesslich Faden und Nadel, auf eine Nähmaschine verzichtet sie.
Das Material bietet einerseits die Möglichkeit, kleinere Fehlschritte rückgängig zu machen, Knöpfe wieder zu lösen, in eine andere Richtung zu gehen, ohne von Neuem beginnen zu müssen. «Ein anderer Vorteil daran ist, dass ich arbeiten kann, wo immer ich will. Alles, was ich brauche, sind mein Nähmaterial und Stoff. Ein Tisch als Unterlage schadet natürlich auch nicht», sagt Decurtins lachend.
Ihrer Leidenschaft gehe sie meist zu Hause nach, sei es im Wohnzimmer oder auf der Gartenbank, doch auch unterwegs im Zug habe sie schon an ihrer Kunst gearbeitet.
Von Eindrücken zu Kunstwerken
Für Decurtins ist das Nähen mehr als ein Hobby, sie schätzt die Ruhe dabei – den «meditativen Aspekt». Es sind Momente, in denen sie ganz bei sich selbst sein kann.
Tatsächlich lässt sich beim Betrachten der handgemachten Werke ein persönlicher Charme herausspüren. Eine Ästhetik, durch und durch geprägt von der hingebungsvollen Schöpferin. Inspiriert wird sie meist von visuellen Eindrücken, Fotos, die ihr gefallen, Postkarten, aber auch von ihren eigenen Reisen. So nähte sie mitunter ein Bild von New York City, wohin sie kürzlich mit Sohn und Enkelkindern gereist war.
Rote Vögel und Blumenwolken
Betrachtet man ein anderes ihrer Werke, das ebenfalls in der Galerie Koch ausgestellt wird, etwas näher, so entdeckt man einen roten Specht in einer herbstlichen kanadischen Waldlandschaft. «Die roten Vögel sind gewissermassen mein Markenzeichen», erklärt Decurtins. Sie verweist auf zahlreiche weitere Bilder, aus denen – mal mehr, mal weniger prominent – weiss-rote Schmuckperlenaugen in leuchtend rotem Gefieder auf die Betrachtenden zurückblicken.


Auch neben jenem buchstäblich roten Faden, der sich als geheimnisvoll-verspieltes Motiv durch die Ausstellung zieht, scheint die Naturthematik für Decurtins’ Kunst von grosser Bedeutung. Auf vielen ihrer Bilder sind Pflanzen aller Art zu sehen, allen voran Blumen. Sie bewundert die «Farbenpracht der Natur», wofür gerade die Blume das Sinnbild schlechthin darstellt.





Sie verweist auf eine weitere Leinwand, auf der ein blauer Himmel mit vereinzelten Wolken zu sehen ist, doch bei genauerem Betrachten zeigt sich: Das sind keine einfachen Wolken, sondern weisse Stoffrosen! «Diese stammen aus einem alten Bettlaken.»
Erzählstoff
Für die Künstlerin ist es entscheidend, keine neuen Stoffe einzukaufen, sondern ausschliesslich mit ausgemusterten Materialien zu arbeiten. «Den Stoff beziehe ich meistens im Brocki, manchmal bringen Leute auch alte Kleidung, Vorhänge oder Bettwäsche direkt zu mir.»
Zum einen verleiht Decurtins damit allerlei Textilien eine nachhaltige zweite Chance, ein zweites Leben. Andererseits trägt jedes Bild auch Spuren einer Vergangenheit in sich. Vergessene Geschichten, eingeflochten ins Stoffgewebe, das nun zur Schaffung neuer Erzählungen dient. Meisterhaft vernäht Decurtins unterschiedlichste Farben und Muster zu Kompositionen, die vor Lebendigkeit, Tiefe und Persönlichkeit strotzen.
Während die märchenhaften, beinahe unwirklichen Werke zum Bestaunen und zur Reflexion einladen, ist Decurtins selbst für die Dauer der gesamten Ausstellung vor Ort. Besuchende wird sie über die Werke und ihren Arbeitsprozess aufklären, ihnen Fragen beantworten und – natürlich – an weiteren Kreationen nähen.