Sauber wird in England sesshaft: Droht nun der Wegzug aus Hinwil?
Formel-1-Rennstall expandiert
Der Hinwiler Rennstall wächst und weitet sich aus. In diesem Sommer eröffnet Sauber eine Niederlassung in England. Was hat es damit auf sich?
Das Hinwiler Sauber-Team expandiert. Und zwar gleich bis nach England. Letzte Woche informierte der Rennstall darüber, dass er ein «Sauber Motorsport Technology Centre UK» eröffnen werde, um Präsenz zu markieren und vor allem Personal anzulocken. Designer und Ingenieure werden dort arbeiten – schon ab diesem Sommer.
In England haben sieben von zehn Formel-1-Teams ihren Hauptsitz, und entsprechend viel Fachpersonal stammt von dort. Motorsport Valley nennt man die Gegend. Wirklich um ein Valley, also ein Tal, handelt es sich nicht. Aber der Motorsport hat in diesem Teil Grossbritanniens viel Tradition. Nicht nur, was die Formel 1 angeht: Über 4000 Firmen sind dort ansässig, sie stammen aus allen möglichen Sparten und beschäftigen insgesamt über 40’000 Menschen, wovon laut der Sauber-Medienmitteilung rund 25’000 der Formel 1 zuzuordnen sind.
Die Hinwiler evaluieren mögliche Standorte. Darunter beispielsweise nicht nur Milton Keynes, wo Red Bull daheim ist, sondern auch Silverstone, wo der GP von Grossbritannien stattfindet.
Wird Silverstone also das neue Heimrennen – und ist das der Anfang vom Ende der Fabrik in Hinwil? Nein, einen Wegzug muss man nicht befürchten. Das Gegenteil ist der Fall. Sauber-Chef Mattia Binotto bezeichnet Hinwil in der Mitteilung als Hauptstandort, der das grösste Wachstum erfahren werde.
Den Standortnachteil abfedern
Wachsen muss Sauber im Zug der Transformation des Rennstalls. Ab 2026 sind die Hinwiler als Audi-Werksteam am Start. Die Ansprüche des deutschen Herstellers sind hoch. Um dereinst auf Augenhöhe mit den Topteams zu sein und um Siege und Titel mitzufahren, braucht es auch die entsprechende Manpower. Gut 600 Mitarbeiter sind es heute in Hinwil, rund 350 weitere sollen hinzukommen. «Doch wie können wir 350 Formel-1-Spezialisten aus anderen Ländern engagieren? Das ist beinahe unmöglich», sagte Binotto im vergangenen Dezember in einem Interview.
Ein Teil des Plans: Sauber will nicht auf arriviertes Personal setzen, sondern auf talentierte junge Menschen, die eben erst die Ausbildung hinter sich gebracht haben. Und ein anderer Teil des Plans ist nun eben der Standort in England. Wie viele Arbeitsplätze sind dort vorgesehen? Auf Anfrage schreibt die Sauber-Medienstelle, es gebe keine fixe Zahl, es würden aber «nicht viele» sein. Das hängt auch damit zusammen, dass am neuen Standort keine Teile produziert werden. Die Büros sind gedacht für Ingenieure und Designer, die nicht in die Schweiz ziehen wollen.
Sauber kann damit den Standortnachteil etwas abfedern. Man untersteht zwar derselben Budgetobergrenze wie die Konkurrenz, hat aber die deutlich höheren Lohnkosten. Und hoch qualifiziertes Personal aus der Branche zu rekrutieren, ist schwierig, wenn man nicht in England ansässig ist. Zumal die Lebenshaltungskosten in der Schweiz für potenzielle neue Mitarbeiter womöglich auch abschreckend sein können.
In England sind alle – ausser Ferrari
Sauber ist nicht das erste Team, das auf mehrere Standorte setzt. Haas ist gleich auf zwei Kontinenten präsent: Der Firmensitz ist in den USA, die Formel-1-Fabrik in England, und in Italien in der Nähe des Hauptsitzes von Technikpartner Ferrari gibt es ein Designbüro. Auch Racing Bulls – das Schwesterteam von Red Bull – ist nicht mehr allein im italienischen Faenza daheim, sondern ebenso im Motorsport Valley. Als Audi-Werksteam wird auch Sauber quasi dreigleisig unterwegs sein. Den Motor baut Audi in Neuburg an der Donau, rund 300 Menschen arbeiten dort in der Formel-1-Fabrik.
Mit der Expansion über den Ärmelkanal leistet Sauber also nicht Pionierarbeit, sondern tut nur das, was fast alle anderen auch schon getan haben. Mit einer Ausnahme: Ferrari. Die Scuderia hatte zwar in den 1980er Jahren einen England-Standort, als man McLaren den Technikchef abgeworben hatte mit dem Zugeständnis, nicht nach Italien umziehen zu müssen. Die Erfahrungen damit waren aber nicht nur gut. Seither verzichten die Italiener auf einen Standort in England. Sie dürften es auch nicht nötig haben, anderswo Personal anzuwerben. Schliesslich ist Ferrari nicht nur eine Ikone des Sports, sondern auch einfach ein Topteam.
Letzteres will auch Sauber werden, wenn die Transformation zum Audi-Werksteam abgeschlossen ist. Die Fabrik an der Hinwiler Wildbachstrasse ist jetzt schon zu klein, das Team hat Büros in der Umgebung angemietet. Ein Ausbau soll in Planung sein, konkrete Angaben hat der Rennstall auf Anfrage für den Frühling angekündigt.