Pilotversuch: Ab heute müssen Katzen drinnen bleiben
Die Biodiversität schützen
Erst Hausarrest, dann Leinenpflicht für Hauskatzen. Der Kanton startet im Oberland einen Pilotversuch, um Jungvögel zu schützen. Das Thema ist kontrovers.
Sie heissen Schnurrli, Mörli oder Tigerli und sind die beliebtesten Haustiere der Schweiz. Rund 2 Millionen Exemplare der Gattung «Felix catus» leben mit und neben uns. Doch die Hauskatze wird zunehmend zum Problem für die Biodiversität.
Denn Schnurrli, Mörli und Tigerli sind nicht nur flauschige Begleiter des Menschen, sondern auch kleine Raubtiere. Gemäss Schätzungen fressen die Hauskatzen in der Schweiz jedes Jahr 30 Millionen Vögel, aber auch Hunderttausende Libellen, Schmetterlinge, Blindschleichen und Eidechsen. Die Baudirektion des Kantons Zürich will dieser «ökologischen Katastrophe» nun entgegentreten, wie Mediensprecher Sascha Rhyner auf Anfrage bestätigt.
Haben wir Sie erwischt?
Natürlich dürfen Katzen in den Bezirken Uster, Pfäffikon und Hinwil auch ab dem 1. April nach draussen. Die Leinenpflicht entsprang ebenso der redaktionellen Fantasie wie der Hausarrest. Die vielen Reaktionen auf den Beitrag – negativ-verständnislose bis positiv-belustigte – lassen immerhin den Schluss zu, dass wir mit unserem Beitrag über jagende Stubentiger einen Nerv getroffen haben.
Das Amt für Landschaft und Natur (ALN) ist in der Baudirektion angesiedelt und für den Schutz der Natur und der Wildtiere im Kanton zuständig. Deshalb lanciert das ALN in Absprache mit den Gemeindeexekutiven und den Bezirksräten von Hinwil, Pfäffikon und Uster einen Pilotversuch zum Schutz der heimischen Fauna.
Während der Vogelbrutzeit wird der Bewegungsradius der schätzungsweise 60’000 Hauskatzen im Oberland drastisch eingeschränkt. Geplant ist ein sogenanntes reziprokes Kaskadenmodell mit drei Stufen:
- 1. April bis 30. Mai: Hauskatzen dürfen nicht mehr nach draussen. Sie müssen in geschlossenen Räumen gehalten werden. Zuwiderhandlungen können während der Testphase nicht gebüsst werden, aber die Halter und ihre Katzen werden im Falle der Missachtung zur Rede gestellt.
- 1. Juni bis 14. Juli: Das Ausgangsverbot wird gelockert. Katzen dürfen sich zwischen 8 und 20.30 Uhr draussen aufhalten. Allerdings gilt in dieser Zeit Leinenzwang.
- 15. Juli: Auch der Leinenzwang wird nun aufgehoben. Katzen dürfen wieder ungehindert im Freien herumstreunen.

Gemäss der Organisation Birdlife Schweiz (vormals Schweizer Vogelschutz SVS) leben im Schweizer Mittelland rund 50 bis 60 Katzen pro Quadratkilometer. Bei den von den Katzen erbeuteten Vögeln handelt es sich vorwiegend um häufige Arten wie Amseln, Rotkehlchen, Meisen, Finken und Sperlinge.
ZHAW und Birdlife arbeiten zusammen
Die Leitung des Pilotversuchs obliegt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), eng begleitet von den Experten von Birdlife. Deren Sprecher Stefan Bachmann verweist auf eine Studie von 2019 aus Belgien und Frankreich. Diese kommt zum Ergebnis, dass die Katzen in Gärten und Parks für 12,8 bis 26,3 Prozent der Vogelmortalität verantwortlich sind. Studien zeigen aber auch, dass Katzen überproportional kranke, unterernährte und unerfahrene junge Tiere erbeuten.
«Wir sind sehr gespannt auf die Resultate des Pilotversuchs im Zürcher Oberland», sagt Bachmann. «Denn der Einfluss der Katzen auf die Vogelpopulation ist nicht abschliessend geklärt.» Man erhoffe sich durch den Pilotversuch eine verlässliche Datengrundlage.
Deshalb ist das Ziel des mehrmonatigen Tests in den Bezirken Uster, Pfäffikon und Hinwil erst in zweiter Linie der Schutz der Vogelwelt. Es geht zunächst darum, Daten zu generieren. Eine Studiengruppe der ZHAW, genauer des Instituts für Umwelt und natürliche Ressourcen um Professor Reto Rupf, wird die Auswirkungen des Ausgehverbots respektive Leinenzwangs für Hauskatzen erheben. «Dank des reziproken Kaskadenmodells werden wir in der Lage sein, Kausalitäten der Mortalität von Singvögeln während der Brutzeit zu eruieren», erklärt Reto Rupf.
Die Resultate aus dem Oberland werden anschliessend mit gleichzeitig laufenden Untersuchungen aus dem Zürcher Unterland verglichen. Die Katzen aus den Bezirken Dielsdorf und Bülach dürfen in derselben Periode ohne Restriktionen herumstreifen und fungieren so als Vergleichsgruppe. Professor Rupf: «Von ihrem ‹Jagderfolg› wird auch abhängen, welche Empfehlungen wir dem Kanton Zürich aussprechen werden.»

Egal ob nun 30 Millionen oder 30 Prozent tote Singvögel – klar ist, dass Hauskatzen eine Belastung für die Biodiversität (nicht nur) in unserer Region darstellen. Mediensprecher Rhyner verweist auf jüngste Diskussionen wegen eines gänzlich anderen Projekts aus der Baudirektion: «Wenn es um Windenergie geht, hören wir immer wieder das Argument des Vogelschutzes. Bei Katzen scheinen solche Bedenken eine weit geringere Priorität zu haben.»
Fragen über mögliche Massnahmen aufgrund der Untersuchungsresultate – Kastrationspflicht, Leinenpflicht, Verbot von Freigängern – laufen beim Kanton ins Leere. Dafür sei es zu früh, heisst es aus der Baudirektion.
Keine Rekursmöglichkeit
Obwohl nur ein Pilot, rechnet man beim Kanton offensichtlich mit Widerstand aus der Bevölkerung. Um Rekursmöglichkeiten auszuschliessen, hat das ALN daher bereits die Bezirksräte der Region über den Pilotversuch informiert. «Da es sich um eine zeitlich beschränkte Massnahme im Rahmen eines auf rund vier Monate angelegten Pilotprojekts handelt und ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, sieht die aktuelle Rechtslage keine Möglichkeit für einen formellen Rekurs durch Gemeinden oder Privatpersonen vor», erklärt Erkan Metschli-Roth (GLP), Statthalter des Bezirks Pfäffikon.
Nach Abschluss des Pilotversuchs wird das Vorhaben umfassend evaluiert. Allfällige Folgeprojekte oder eine definitive Einführung entsprechender Regelungen würden regulär dem ordentlichen Verfahren unterstehen, in dessen Rahmen auch eine Rekursmöglichkeit besteht, so Metschli-Roth.
Katzenhalterinnen und -halter bleibt also vorderhand nur eines: Bestellen Sie eine Leine für Schnurrli, Mörli oder Tigerli.