Abo

Politik

Paul Steinmann über Gott und Theater

Er hat über hundert Theaterstücke geschrieben. Heute ist Paul Steinmann der meistgespielte Autor der Schweiz. Eigentlich wollte er aber Pfarrer werden.

Mit fünf Schreibtischen steht Paul Steinmanns Zuhause im Zeichen des Schreiberlings.

Eva Kurz

Paul Steinmann über Gott und Theater

Da denkt man, im Tösstal gehe die Kultur flöten. Die Kulturvereine sind am Kämpfen, Veranstalter suchen verzweifelt nach freiwilligen Helfern. Die Jungen interessiert nur noch, was in der Stadt abgeht.

Und dann spricht man mit Paul Steinmann. Er ist der meistgespielte Theaterautor der Schweiz und lebt seit 20 Jahren im Tösstal. Hier hat man ihn zwar noch nie als Autor beauftragt, aber das stört ihn nicht. Das Tösstal sei halt keine Theaterhochburg, sagt er, dafür habe es andere kulturelle Themen. Ist Kultur am Ende Ansichtssache?

Paul Steinmann schrieb über 100 Theaterstücke. Seine Geschichten haben meist historische Hintergründe oder basieren auf Geschichten regionaler Autorinnen und Autoren. Bei 265 Projekten wirkte er als Regisseur, Autor oder Schauspieler mit. Auf SRF 1 erzählt er regelmässig «Morgengeschichten».

 

Paul Steinmann öffnet die Tür zu seinem Apartment. «Paul», sagt er und reicht die Hand. In der alten Spinnerei in Kollbrunn hat er eine doppelstöckige Dachwohnung. Seine alte Hundedame Lola beschnuppert den Gast, lässt sich kurz kraulen, geht zurück in ihren Korb und schläft weiter.

«Vielleicht möchten die Tösstaler mehr Schwingfeste und Bergchilbis.»

Hinter «Paul» öffnet sich der Raum mit offener Küche und Wohnzimmer. Kochinsel, Polstergruppe, Klavier, randvolle Bücher- und CD-Regale und drei Tische. Insgesamt hat er fünf Tische. Schreibtische. Er schreibt viel. In der Regel auf Anfrage. Theaterstücke, Songtexte, Geschichten. Paul Steinmann macht Kaffee, serviert ihn mit ein paar Petit Beurre und setzt sich zu seinem Besuch.

Wie würden Sie das Kulturleben im Tösstal ankurbeln?

Paul Steinmann: Grundsätzlich hat alles mit den Bedürfnissen der Leute zu tun. Wichtig ist zu wissen, was es hier für ein Publikum gibt und was es will. Vielleicht möchten die Tösstaler mehr Schwingfeste und Bergchilbis. Wer ein Theaterstück sehen will, geht dafür auch gern nach Winterthur. Das Tösstal muss jedenfalls nicht dasselbe machen, wie die Stadt.

Was macht die Stadt?                                                               

Ein Schauspielhaus, die Tonhalle oder das Casinotheater. Hier braucht es etwas anderes.

Wie ist die hiesige Kultur?

Sie ist vielseitig und sehr lebendig. Märkte, Sport und das Chorwesen stehen hier mehr im Zentrum als Theater. Mit der Ausnahme des Zeller Chortheaters. Spezielles im Tösstal ist die Erinnerungskultur für die Industrie. Die Verbindung zwischen den Bauern, der Landschaft, dem Gewerbe und den Fabriken ist einmalig. Auch das ist Kultur.

«Wenn ein Theater mit den Leuten des Orts zu tun hat, ist es noch lebendiger.»

Würden Sie gern etwas fürs Tösstal schreiben?

Ja, sicher. Vielleicht über Zell. Hier kenn ich mich am besten aus und es gibt die starke Tradition von Paul Burkhard und seinen Zeller-Geschichten ausgehend. Im Sternenberg könnte man etwas im Zusammenhang mit dem Film «Sternenberg» von 2004 machen, oder über den Wiederaufbau vom abgebrannten «Sternen». Die Kindergeschichten «Sabinli» und «Anneli» von Olga Meyer, die in Wila und Turbenthal spielen, gäben auch schönen Stoff für eine Aufführung.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten?

Das Geschichtenerzählen, glaube ich. Das ist etwas Kommunikatives, es kommt immer etwas zurück. Mir gefällt es, wenn ich merke, dass ich das Publikum mit meinen Geschichten erreiche.

Für Paul Steinmann ist es das Schönste, wenn dank seinen Theaterproduktionen Leute zusammenkommen, um miteinander etwas auf die Beine zu stellen. Es geht ihm um die Gemeinschaft. Seine Bühne ist die Provinz, seine Geschichten drehen sich um die Orte, an denen sie aufgeführt werden. Er arbeitet mit Laiendarstellern. Es spielen jene Leute, von denen die Geschichten handeln. «Wenn ein Theater mit den Leuten des Orts zu tun hat, ist es noch lebendiger», sagt Paul Steinmann.

«Als Kind dachte ich: Der Pfarrer, der steht dort vorne und alle müssen ihm zuhören. Ich fand, er hat einfach einen interessanten Job.»

Auf den Schreibtischen liegen stapelweise Papiere. Wie Dünen wanderten die Haufen von Tisch zu Tisch, je nach dem, an welchem er gerade arbeite, sagt Paul Steinmann. Der Raum ist gemütlich. Holzstreben geben der Loft etwas Heimeliges. Paul Steinmanns Stimme ist angenehm. Er ist ein geübter Sprecher.

Paul Steinmann (*1956) wuchs in Villmergen (AG) auf. Seit 2000 lebt er im Tösstal, erst in Rikon, seit 2015 in Kollbrunn. Von 2007 bis 2014 war er Mitglied der Kulturkommission Zell. Dank theaterbegeisterter Eltern fand er schon als Kind Zugang zum Theater und begann auf der Schulbühne des Gymnasiums selber zu spielen. Da seine Kindheit und das Dorfleben weitgehend von der katholischen Kirche beeinflusst waren, entschied er sich früh, Pfarrer zu werden. Theologie studierte Paul Steinmann in Luzern, weil er bei der Amateurtheatergruppe «Luzerner Spielleute» mitmachen wollte. Während des Studiums entschied er sich, den Berufsweg in der katholischen Kirche zu Gunsten des Theaters zu verlassen. Heute ist er ein Schweizweit vielgespielter Theaterautor.

 

Ein Fenster ist mit orangenen, pinken, blauen und anderen farbigen Folienstücken beklebt. Die verschieden grossen Farbvierecke sind so unregelmässig verteilt, als hätte hier ein Kind sein schöpferisches Talent ausgelebt. Trotzdem erinnert es sofort an ein Kirchenfenster. Eigentlich wollte Paul Steinmann Pfarrer werden. Erst im Theologiestudium kam er von diesem Plan ab, seither widmet er sich dem Theater.

 

Wollten Sie deshalb Pfarrer werden, um Geschichten zu erzählen?

Auch. Als Kind dachte ich: Der Pfarrer, der steht dort vorne und alle müssen ihm zuhören. Und der weiss alles. Ich fand, er hat einfach einen interessanten Job.

«Die Kirche hat viel Theatrales.»

Da hätten Sie auch Lehrer werden können…

Der Pfarrer kann Lehrer sein, hat aber auch all die sinnlichen Teile des Gottesdienstes: Das Zusammensein, das Feiern der Messe, das Predigen und all die symbolischen Handlungen.

Kirche hat wohl auch etwas von einem Theater.

Die Kirche hat viel Theatrales, ja. Tatsächlich war meine Diplomarbeit im Theologiestudium über Liturgie und Theater. Darin ging es um die Frage, wo beides zusammen kommt und wo man theatrale Elemente im Gottesdienst miteinbeziehen könnte.

«Eine gut gelungene Theatervorstellung hat für mich fast mehr religiöse Züge als ein Gottesdienst.»

Wie sehen Sie Religion heute?

Es sind Geschichten. Dadurch, dass ich Theologie studiert habe, habe ich einen Bezug zu ihnen. Ich muss sie ja nicht glauben. Ich will nicht sagen, dass es Märchen sind aber für mich sind sie so real wie das Rotkäppchen. Gute Geschichten überleben, wie «Adam und Eva», die «Sintflut», die Gleichnisgeschichten von Jesus. Die erzählt man sich immer und immer wieder. Denn sie unterhalten. Meistens erzählen sie etwas Wahres und von der Beziehung zu Gott. Man sollte sie einfach zeitgenössisch interpretieren, um einen Zugang zu ihnen zu finden, sie irgendwie zu unseren zu machen.

Gehen Sie noch in die Kirche?

Wenig. Eine gut gelungene Theatervorstellung hat für mich fast mehr religiöse Züge als ein Gottesdienst. Die Leute kommen rein, das Ritual mit dem Absitzen, die ganzen Vorbereitungen hinter der Bühne…

Also sind Theater und Kirche gar nicht so verschieden?

Genau. Die auf der Bühne erzählen eine Geschichte. Wenn sie gut ist und gut umgesetzt wird, haben die Zuschauer etwas davon. Vielleicht können sie einen Schluss zum eigenen Leben daraus ziehen. Mehr ist da nicht drin, aber das ist auch schon gut.

«Mehr nicht» klingt untertrieben.

Stimmt. Dafür hat man Zeit in angenehmer Gesellschaft verbracht, ist unterhalten, angeregt, macht sich vielleicht ein paar Gedanken. So ist es im Theater und so sollte es meiner Meinung nach auch in der Kirche sein.

Als sich der Besuch verabschiedet, liegt Lola noch immer in ihrem Korb. Sie schläft. Die Nachmittagssonne wirft ihre Strahlen durch das farbige Fenster. Durch das warme Licht bekommt die Bücherwand etwas Sakrales. Paul Steinmanns Radiostimme klingt noch immer nach. Gerne möchte man ihn als Pfarrer erleben, der die Geschichte vom Rotkäppchen predigt und dafür von den Kirchenbesuchern eine Standing Ovation erntet.

Mit der Schauspielerin Sabina Deutsch inszenierte er 2016 «Desperado», die Geschichte vom Tösstaler Turi Winter, der von der Prärie träumt. Im Theaterprojekt «Klärli und der belgische Pilot – Eine Liebe im 20. Jahrhundert» führte er Regie. Die Aufführung im Gemeindesaal Engelburg in Rikon ist am Freitag, 15. Mai 2020.

Abo

Möchten Sie weiterlesen?

Liebe Leserin, lieber Leser

Nichts ist gratis im Leben, auch nicht Qualitätsjournalismus aus der Region. Wir liefern Ihnen Tag für Tag relevante Informationen aus Ihrer Region, wir wollen Ihnen die vielen Facetten des Alltagslebens zeigen und wir versuchen, Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme zu beleuchten. Sie können unsere Arbeit unterstützen mit einem Kauf unserer Abos. Vielen Dank!

Ihr Michael Kaspar, Chefredaktor

Sie sind bereits Abonnent? Dann melden Sie sich hier an

Digital-Abo

Mit dem Digital-Abo profitieren Sie von vielen Vorteilen und können die Inhalte auf zueriost.ch uneingeschränkt nutzen.

Sind Sie bereits angemeldet und sehen trotzdem nicht den gesamten Artikel?

Dann lösen Sie hier ein aktuelles Abo.

Fehler gefunden?

Jetzt melden.