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Kakerlakenrennen, Lanzenduell und Mäuseroulette

Obwohl es die vermeintliche Dernière sein könnte, tummeln sich auf dem Areal in Obererlosen wieder zahlreiche Mittelalterfans. Besonders im Fokus stehen tierische Wetten.

Christian Merz

Kakerlakenrennen, Lanzenduell und Mäuseroulette

Es ist kurz vor Mittag. Vor dem Eingang zum Mittelalterspektakel in Hinwil hat sich eine Menschentraube gebildet. Familien mit Kindern warten gespannt darauf, dass ihnen Einlass gewährt wird und sie auf der fünf Hektaren grossen Wiese in Obererlosen in eine mittelalterliche Kulisse eintauchen können. Das sei zum letzten Mal in dieser Form möglich, liess OK-Präsident Martin Suter im Vorfeld verlauten.  Ob dem wirklich so ist, wird sich noch zeigen.   

«Öffnet das Tor» rufen die Kinder einstimmig. Dann halten sie sich die Ohren zu, weil um Punkt 12 Uhr drei Kanonenschüsse ertönen. Das Spektakel ist eröffnet und die Besucher werden gleich beim Eingang von Koenix empfangen. Die Schweizer Band spielt mit alten Instrumenten wie Sackpfeifen, Laute und Pauke vom Mittelalter inspirierte Musik. Die ersten Mutigen beginnen zu tanzen, die restliche Menschenmenge schlendert in Richtung Marktstände weiter, von welchen es insgesamt 120 gibt.

Pelz ist kein Tabu

Die sogenannte Marktgasse ist hufeisenförmig um die Heerlager und den Turnierplatz angeordnet. Jedes Zelt ist dekoriert und trägt einen eigenen Namen: So gibt es beispielsweise den Drachenhändler oder den Eisenformer. Überall werden handgefertigte Waren angeboten. Handwerker schleifen vor Ort Messer, fertigen Lederscheiden für ihre Schwerter an, verkaufen Ritterrüstungen und Feuerschalen.

«Wir sind nicht gekommen, um über die Stränge zu schlagen.»

Besucherin am Mittelalterspektakel

Auffallend häufig werden auch tierische Produkte angeboten. Nebst Lederwaren gibt es Hörner und Pelze zu erwerben. Waren, die sonst in der Bevölkerung jeweils scharf kritisiert werden, stören hier offenbar nicht. Auch viele der anwesenden Gäste haben sich dem Anlass entsprechend gekleidet und sich teils mit Pelzen ausgestattet. Diese tragen sie als Kleidungsstück oder Accessoire zu ihren Gewändern – und das trotz der sommerlich warmen Temperaturen.

Eine Besucherin hat einen ganzen Fuchs auf dem Kopf. Kritisch findet sie das nicht. «Natürlich habe ich von einzelnen deswegen schon negative Rückmeldung bekommen. Aber im Mittelalter waren Pelze die einzige Möglichkeit, um sich warm zu halten.» Ihren Pelz habe sie von einem Jäger aus der Region erworben. Den Vorwurf der Tierquälerei weist die junge Frau von sich. «Das hat damit gar nichts zu tun», kommentiert sie. Es gehe darum, bewusst nur solche Waren einzukaufen, die von nicht bedrohten Tieren stammen würden. «Bären- oder Wolfspelz geht für mich deshalb zu weit.»

Unter den Gästen sind auch Wikinger, Ritter, Mägde und Bettler. Gaukler und Spielleute mischen sich ebenfalls unters Publikum. Viele haben ihr Kostüm selbst gemacht. Aufwendige Arbeit stecke dahinter. «Dreissig bis vierzig Stunden habe ich schon investiert», meint ein Mann im Rittergewand. Mit Fasnacht habe dies wenig zu tun, sagt eine Wikingerin. «Wir sind nicht gekommen, um über die Stränge zu schlagen. Wir identifizieren uns einfach mit unserer Figur.»

Kakerlakenrennen und Mäuseroulette

Das Mittelalter scheint man in Hinwil zu leben und zu erleben. Die Besucher werden zum Seilziehen, Bogenbauen, Axt- oder Speerwerfen eingeladen, oder können sich von der Wahrsagerin die Zukunft lesen lassen. Am späteren Nachmittag werden auch Ritterkämpfe, Lanzenduelle, Schwertkämpfe und Feuershows geboten. Abends gibt es zudem Konzerte auf der Bühne. Auch jede Menge Wetten werden abgeschlossen, zum Beispiel beim Kakerlakenrennen oder dem Mäuseroulette. Bei diesem Zelt bleiben ein paar Neugierige stehen.

Das Spektakel mit echten Nagetieren findet in einer selbstgebauten Arena in Kleinformat statt. Rundum die Wettkampfstätte sind kleine Häuser aus Pappe angebracht, die unterschiedlich beschriftet sind. So gibt es etwa den Bäcker, den Weber, den Sattler oder den Schmied. Ihre Eingangstore führen in die Arena, in deren Zentrum ein Behälter steht. Dort wird die Maus bei Spielbeginn platziert. Eifrig raten die Wettteilnehmer, in welches Haus sie sich als erstes zurückziehen wird. Es ist eine grosse Spannung für ein kleines Spektakel. Nach wenigen Sekunden ist ein Jubeln zu hören. Der Sieger wird mit einem Präsent belohnt. Alle anderen Teilnehmer dürfen einen Glücksstein nach Hause nehmen. 

«Die Hoffnung stirbt zuletzt»

Dass es dieses Jahr das letzte Mittelalterspektakel in Hinwil sein soll, will hier keiner so recht glauben. Betrübt ist die Stimmung vor Ort jedenfalls nicht. «Das wäre sehr schade», meint zwar eine junge Magd. Sie gehe aber fest davon aus, dass es nächstes Jahr wieder einen solchen Anlass geben werde. «Die Hoffnung stirbt zuletzt.» Sie ist nicht die einzige Besucherin, die an diesem Glauben festhalten will. Ein anderer Besucher, der mit seiner Familie von weiter her anreiste, meint: «Wir kommen jedes Jahr hierher. Die Musik und die Ritterturniere sind einmalig. Ich hoffe deshalb schwer, dass es nicht der letzte Anlass sein wird.»

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