Imam lässt sich freiwillig filmen
Das Wichtigste in Kürze
- Der Syrer Kaser Alasaad hat als Imam die Situation um die Volketswiler Moschee beruhigt
- In der Schweiz bildete er sich als Imam weiter
- Die Moschee wird von einer durchmischten Gemeinde besucht
An einem Freitag vor der Moschee in Volketswil. Um die tausend Muslime finden ihren Weg ins Industriequartier. Zwischen einer Kran- und einer Autozulieferfirma steht der Sakralbau mit den ornamentalen Fenstern. Parklotsen weisen die Besucher in eine zweite Reihe hinter die stehenden Autos, nachdem alle offiziell eingezeichneten Parkplätze vergeben sind. Der Gebetsraum füllt sich unten mit Männern und im ersten Stock mit Frauen. Imam Kaser Alasaad ist bereit. Er steigt auf die dritte Treppe seiner Kanzel und richtet sich an seine Zuhörer.
«Schweizkonform»
Vor sechs Jahren flüchtete der Syrer mit seiner Frau und seinen drei Kindern in die Schweiz. Schon in seinem Heimatsland arbeitete Alasaad als Imam. Schnell integrierte er sich und lernte Deutsch. Und auch mit seinen religiösen Überzeugungen setze er sich in der Schweiz weiter auseinander. Am «Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft» (SZIG) der Universität Fribourg absolvierte er den Lehrgang «Muslimische Seelsorge und Beratung im interreligiösen Kontext». Dort werden Seelsorger in öffentlichen Institutionen, beispielsweise Spitäler, ausgebildet (siehe Box).
Muris Begović, Geschäftstellenleiter der «Vereinigung Islamischer Organisationen im Kanton Zürich» (VIOZ) begrüsst diese Ausbildung. «Es ist sehr wichtig, dass sich Muslime hier schweizkonform theologisch ausbilden können», sagt er.
«Hier in der Schweiz habe ich meine Arbeit als Imam angepasst.»
Kaser Alasaad, Imam der Moschee in Volketswil
«Mit dem Wissen aus Fribourg habe ich meine Tätigkeit in Volketswil optimieren können», sagt auch Alasaad: «Hier in der Schweiz habe ich meine Arbeit als Imam angepasst.» Ein Beispiel dafür sei der Blickkontakt. In Syrien sei direkter Blickkontakt mit Autoritätspersonen nicht gern gesehen. Hier in der Schweiz hingegen gehöre genau das zu einem respektvollen Umgang.

Aufruhr um den alten Imam
Aus Politischem hält sich Alasaad bewusst raus. Während er zu Beginn seiner Amtszeit einmal eine Predigt gegen den IS hielt, umgeht er heute sämtliche politische Stellungnahmen. «Nach dieser Predigt sagten mir meine Freunde, dass ich das besser lassen soll. Es sei gefährlich und nicht meine Aufgabe als Imam», sagt Alasaad.
Mit der Vermischung von Religion und Politik hat man in Volketswil in den vergangenen Jahren ungute Erfahrungen gemacht: «Fatwa-Rat-Mitglied predigt in Hegnau». Und: «Islamischer Kindergarten ist in Volketswil unerwünscht». So lauteten die Schlagzeilen vor Jahren, wenn es um die Moschee in Volketswil ging. Zur Eröffnung des besagten islamischen Kindergartens ist es nie gekommen.
Hauptverantwortlich für den Medienrummel war der damalige Imam der Volketswil Moschee, Youssef Ibram. Der gebürtige Marokkaner gehörte als einziger islamischer Gelehrter aus der Schweiz dem europäischen Fatwa-Rat an, der eine konservative Lesart des Islams in Europa durchsetzen will. Ibram, der die Todesstrafe für Abtrünnige befürwortet, zählte sich zu den in Saudi-Arabien vorherrschenden Wahhabiten (siehe Box). Als Ibram erkrankte und sein Amt Ende 2016 niederlegen musste, trat im Januar 2017 der neue Imam Alasaad seine Funktion an.
«Ich lehne jegliche Form von Radikalismus und Extremismus ab und bin offen für alle Muslime.»
Kaser Alasaad, Imam der Moschee in Volketswil
Von der Haltung seines Vorgängers hält Alasaad wenig. Er sei moderater. «Ich lehne jegliche Form von Radikalismus und Extremismus ab und bin offen für alle Muslime», sagt er. Selbst fühle er sich keiner spezifischen islamischen Strömung zugehörig und sieht sich als «Brückenbauer» zwischen verschiedenen Muslimen untereinander sowie zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. «Ich bin im ständigen Kontakt zu den Mitgliedern und zu anderen Besuchern. So bemerke ich rasch, wer welche Einstellung hat», sagt Alasaad.
Zur Moschee in Volketswil ist Alasaad aus Zufall gekommen. «Weil er krank war, habe ich meinen Vorgänger zweimal vertreten und als er dann aufhörte, war für die muslimische Gemeinde klar, dass sie mich als neuen Imam wollte», sagt er. Da der Islam bis heute weder kantonal noch national als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt ist, sind die einzelnen Moscheen selbst für die Wahl ihres Imams zuständig.
Lob für den neuen Imam
«Allah, zeige uns den richtigen Weg zum Paradies», spricht der Imam von der Kanzel zu seiner Gemeinde. Er ruft zu Barmherzigkeit, Gnädigkeit und Respekt gegenüber allen Menschen, Tieren und der Umwelt auf. Die Gläubigen werfen sich nieder und legen ihren Kopf zwischen die Hände auf den Teppich des Gebetsraums.

Von seinem bisherigen Wirken zieht Alasaad eine positive Bilanz: «Seit ich vor drei Jahren hier angefangen habe, hat es noch nie Probleme gegeben. Ich habe viele positive Feedbacks von den Nachbarn, den Behörden und den Brückenbauerpolizisten (siehe Box) bekommen.» Weiter sagt er, dass er sich in Volketswil von Anfang an willkommen gefühlt hat.
«Mit dem jetzigen Imam ist der Austausch viel intensiver.»
Muris Begović, Geschäftstellenleiter der VIOZ
Jean-Philippe Pinto, Gemeindepräsident von Volketswil, bestätigt: «Wir haben kaum Reklamationen.» Auch Begović von der VIOZ berichtet von einer positiven Veränderung. «Mit dem jetzigen Imam ist der Austausch viel intensiver», sagt er.
Gegen Radikalisierung
Alasaads Predigten scheinen beliebt zu sein. Damit alle Gläubigen der Predigt beiwohnen können, findet sie einmal um 12.15 Uhr und ein zweites Mal um 13.30 Uhr statt. Gepredigt wird zuerst auf Arabisch und dann auf Deutsch. «So können mich alle verstehen», sagt Kaser Alasaad. Die Verständlichkeit der Predigt sei ihm wichtig. Denn: «Die Zuhörer lernen den Islam durch mich und folgen meiner Meinung.»

Alasaads Predigt richtet sich an eine durchmischte Gemeinde. Die Besucherinnen und Besucher tragen neben Alltagskleidung vereinzelt auch traditionelle muslimische Gewänder. Alle Altersgruppen sind vertreten. Die Frauen im zweiten Stock tragen alle Kopftuch und einige Kinder tollen herum. Es wird Arabisch, Schweizerdeutsch sowie auch Türkisch gesprochen. Die Besucher seien gemäss Alasaad zur einen Hälfte Araber, zur anderen stammen sie aus Osteuropa, der Türkei und weiteren Nationen.
Vorauseilender Gehorsam
Trotz seiner klaren Haltung gegen radikale Tendenzen kommt Alasaad als Imam einer der grössten Moscheen der Schweiz nicht um aktuelle Debatten herum. Er entschied sich deshalb, seine Predigten freiwillig aufzuzeichnen. Das Thema Videoaufzeichnung von Predigten kam unlängst auf, nachdem ein Imam in Luzern während seiner Freitagspredigt angeblich gegen Frauen gehetzt habe.
Innerhalb der muslimischen Gemeinden kam es zu einer Diskussion über die freiwillige Aufzeichnung der Predigten. Muris Begović von der VIOZ ärgert das: «Das ist wieder einmal ein Paradebeispiel dafür, wie Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Ein Vorfall in Luzern hat Auswirkung auf sämtliche Muslime in der Schweiz.» Begović meint, es soll jedem Imam und jeder Moschee selbst überlassen sein, die Predigt aufzuzeichnen oder es sein zu lassen. Alasaad machte diesen Schritt bereits lange vor der aktuellen Debatte. Sicherheitskameras finden sich auch ausserhalb des Gebetsraumes auf dem Gelände der Moschee.
Kamera im Vorraum
Nach dem abschliessenden Gebet erheben sich die Einen gemächlich und ziehen sich wieder ihre Schuhe an. Andere verharren noch einen Moment und sprechen mit ausgebreiteten Händen geräuschlos ihr Gebet zu Ende. Die Moschee leert sich langsam. Im Vorraum zeigt ein junger Mann auf eine kleine runde Überwachungsamera an der Decke. «Mir ist die noch nie aufgefallen», sagt er zu seiner Frau.
Woche der Religionen
Im Rahmen der Woche der Religionen vom 2. bis 10. November öffnet die Moschee in Volketswil am Samstag, 9. November von 14 bis 18 Uhr ihre Türen. Veranstaltet wird diese Woche vom «Zürcher Forum der Religionen». Das Forum ist ein Zusammenschluss religiöser Gemeinschaften und staatlicher Stellen in Stadt und Kanton Zürich. Der Anlass richtet sich explizit an Nicht-Muslime.
Glossar:
Iman Zentrum
Die Moschee in Volketswil trägt den Namen «Iman Zentrum» und wurde vom Verein «Islamische Gemeinschaft Volketswil Zürich» (IGVZ) im Jahr 2013 eröffnet. Das vierstöckige Gebäude ohne Minarett ist die grösste Moschee im Kanton und gehört zu den grössten der Schweiz. Neben einem Gebetsraum auf zwei Stöcken, einen für die Männer und einen für die Frauen, befinden sich zuoberst mehrere Klassenzimmer. Seit drei Jahren ist der Syrer Kaser Alasaad Imam der Moschee.
Fatwa-Rat
Der Fatwa-Rat – «European Council for Fatwa and Research» (ECFR) – ist eine Organisation bestehend aus islamischen Gelehrten. Der Rat wurde im 1997 in London gegründet und hat heute 34 Mitglieder. Das Gremium will das Erlassen von Rechtsgutachten (Fatwas) durch einen islamischen Rechtsgelehrten (Mufti) in Europa fördern und befürwortet die Todesstrafe für Abtrünnige.
Wahhabiten
Die Wahhabiten sind eine Gruppierung im Islam und leben diesen puristisch-traditionalistisch aus. Sie nehmen für sich in Anspruch, als Einzige die islamische Lehre «authentisch» zu vertreten. Die meisten Wahhabiten leben in Saudi-Arabien.
Brückenbauer Polizei
Seit 2008 gibt es bei der Kantonspolizei Zürich die Fachstelle der Brückenbauer. Diese setzt sich aus Polizisten zusammen, die als Verbindungspersonen zwischen der Polizei und Personen mit Migrationshintergrund oder Ausländervereinigungen tätig sind.
Ausbildung Schweiz
Am «Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft» (SZIG) an der Universität Fribourg gibt es seit 2016 den Weiterbildungslehrgang «Muslimische Seelsorge und Beratung im interreligiösen Kontext». Das SZIG widmet sich dem akademischen islamischen-theologischen Studium in der Schweiz.