«Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei»
Abstimmungsarena der SVP Bezirk Hinwil
Das ist gelebte Demokratie. Im FBW-Museum in Wetzikon kreuzten vier Politiker unterschiedlichster Couleur die Klingen. Zweimal SVP, je einmal SP und Grüne debattierten über Erben und Tempo 30.
Darf man den Bericht über eine Podiumsdiskussion, organisiert von der SVP Bezirk Hinwil, mit einem Zitat von Karl Marx beginnen? «Es ist das gesellschaftliche Sein, das das Bewusstsein bestimmt», schrieb Marx im Vorwort seiner Schrift «Zur Kritik der politischen Ökonomie» im Jahr 1859.
Die These kann man guten Gewissens als Überschrift über den ersten Teil des spannenden Podiums im FBW-Museum in Wetzikon setzen, der sich der Juso-Erbschaftsinitiative widmete: Hier Mandy Abou Shoak, in Wetzikon aufgewachsen, mittlerweile in der Stadt Zürich wohnhaft, Sozialarbeiterin und SP-Kantonsrätin, dort Martin Hübscher, Ingenieur der Agronomie, seit 1998 selbständiger Landwirt aus Bertschikon bei Wiesendangen und SVP-Nationalrat.
Darum geht es bei der Erbschaftsinitiative
Die «Initiative für eine Zukunft» wurde von der Juso Schweiz lanciert und fordert die Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer auf Bundesebene. Die Einnahmen sollen in die Klimapolitik fliessen.
Erbschaften und Schenkungen bis 50 Millionen Franken sollen nicht besteuert werden. Auf Beträge, die diese 50 Millionen übersteigen, wird ein Steuersatz von 50 Prozent erhoben. Die Volksabstimmung über die Initiative findet am 30. November statt.
Grüne und SP haben die Ja-Parole beschlossen, SVP, FDP, die Mitte, GLP, EVP und EDU lehnen die Initiative ab.
«Lediglich 0,03 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind von der Erbschaftssteuer betroffen», argumentierte Abou Shoak. «Ein Prozent der Steuerpflichtigen bezahlen 40 Prozent der Steuern», konterte Hübscher. Zu den besten Milchkühen im Stall müsse man schauen, meinte der Landwirt.
Damit waren die argumentativen Pflöcke eingeschlagen. Der Grünen-Kantonsrat Benjamin Walder aus Wetzikon bezeichnete die Erbschaftssteuer als «genial» («Leute, die erben, hatten einfach Glück»), der Gossauer SVP-Kantonsrat Daniel Wäfler nannte sie «willkürlich». Vermögen seien mobil, und die Schweiz riskiere, gute Steuerzahlende zu verlieren.
«Die Superreichen werden die Schweiz verlassen»
Hübscher führte die von der eidgenössischen Steuerverwaltung geschätzten jährlichen Steuerausfälle von bis zu 3,6 Milliarden Franken ins Feld. Zudem ziele die Initiative auf die Falschen: «Standortgebundene Unternehmen, oft Familienunternehmen, können nicht gehen. Aber die mobilen Superreichen werden die Schweiz verlassen.»
Abou Shoak lenkte die Diskussion derweil immer wieder auf die Klimafrage. Die Reichen würden durch ihren Lebensstil übermässig viele CO2-Emissionen verursachen, deshalb müsse man sie mit der Erbschaftssteuer zur Verantwortung ziehen. Die SP-Kantonsrätin schlug damit grundsätzliche, fast klassenkämpferische Töne an.
Auch SVP-Nationalrat Hübscher wurde grundsätzlich, wenn auch auf einer anderen Ebene: «Die Initiative hat einen groben Konstruktionsfehler. Erbschaftssteuern sind kantonal geregelt. Wenn sie jetzt eine Erbschaftssteuer auf Bundesebene fordert, greift sie in den Föderalismus ein. Es wäre ausserdem die erste Steuer, die zweckgebunden erhoben würde.» Was Abou Shoak zur leicht konsternierten Aussage hinriss: «Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei.»
Moderiert wurde der Anlass von René Schweizer. Der Unternehmer, Gemeindepräsident von Fischenthal und Präsident der SVP Bezirk Hinwil führte souverän durch den Abend, liess alle Ausreden und grätschte in der abschliessenden Diskussion auch bei kontroversen Voten aus dem Publikum nicht dazwischen.

Das zweite Thema des Abends war die kantonale Mobilitätsinitiative. Hier waren Daniel Wäfler und Benjamin Walder die Protagonisten.
Darum geht es bei der Mobilitätsinitiative
Die kantonale Initiative «Gemeinsam vorwärtskommen auf Hauptverkehrsachsen – Ruhe im Quartier» will die Kompetenz für Geschwindigkeitsbeschränkungen von den Städten Zürich und Winterthur auf den Kanton übertragen. Sie will damit grossräumige Tempo-30-Zonen auf Hauptverkehrsachsen verhindern.
Der Regierungsrat befürwortet die Änderung des kantonalen Strassengesetzes. Der Kantonsrat hat sie mit einer hauchdünnen Mehrheit von 88 zu 87 Stimmen angenommen.
SVP, FDP, Mitte-Partei und EDU und die Verbände TCS und ACS unterstützen die Vorlage. SP, Grüne, GLP, EVP und AL lehnen sie ab. Auch darüber wird am 30. November abgestimmt.
Walder sieht in der Initiative einen Eingriff in die Gemeindeautonomie: «Die Gemeinden wissen am besten, wo Tempo 50, Tempo 30 oder Tempo 20 sinnvoll ist.» Wäfler verwies darauf, dass der Kanton auf Staatsstrassen von sich aus schon Tempo-30-Zonen einrichtet und das auch weiterhin dürfe, beispielsweise in der Nähe von Schulhäusern. «Die Initiative stellt das Gleichgewicht zwischen Kanton und Städten wieder her.»
Der Kanton habe seinerzeit einen Fehler begangen, als er die Entscheidungsgewalt über Kantonsstrassen an Zürich und Winterthur übertragen habe, ergänzte Hübscher: «Diesen Fehler korrigiert die Initiative.» Kantonsstrassen seien nun mal Kantonsstrassen, auch in den Städten, also soll auch der Kanton entscheiden, wie schnell darauf gefahren werde.
Das sah Walder dezidiert anders: «Natürlich sind es Kantonsstrassen. Aber sie führen durch Gemeinden.» Die Diskussion drehte sich um Sicherheit von spielenden Kindern und langsamen Rentnern, um Strassenlärm, um Ausweichverkehr in die Quartiere und um Blaulichtorganisationen, die ausgebremst würden.
«Der Verkehr soll auf den Hauptverkehrsadern fliessen und dort beruhigt werden, wo Risiken bestehen», sagte Wäfler. Den links-grün regierten Städten ging es um etwas viel Grundsätzlicheres, fügte Hübscher bei: «Es geht bei Tempo 30 nicht um die Sicherheit. Man will einfach die Autos aus der Stadt haben.»
Er wünsche sich ein Miteinander der verschiedenen Verkehrsträger, meinte Walder abschliessend: «Dazu gehört im Strassenverkehr mehr Gelassenheit und mehr gegenseitiger Respekt.» Der Grüne erhielt von den rund 70 interessierten, grossmehrheitlich SVP-Mitgliedern für dieses Statement spontanen Applaus. So geht Demokratie.
Bachtelpreis geht an drei Jungpolitiker
Seit 2016 vergibt die SVP Bezirk Hinwil den Bachtelpreis für ehrenamtliches Engagement. Dieses Mal gab es nicht einen, sondern drei Preisträger. Alt Bundesrat Ueli Maurer überreichte den Preis an Seraina Billeter aus Bubikon, Samuel Dobmann aus Wetzikon und Benjamin Stricker aus Dürnten. Sie stehen stellvertretend für die jungen Menschen, die sich in der SVP engagieren.

Maurer erklärte in seiner Laudatio die Bedeutung des Milizsystems für die Schweiz. Armee, Feuerwehr oder auch Samariter seien allesamt Teil dieses Systems – wie auch die politischen Parteien. Im Frühjahr finden im Kanton Zürich die Gemeindewahlen statt, und den Parteien falle es immer schwerer, Kandidaten zu finden. «Aber die Schweiz funktioniert nur, wenn unser Milizsystem funktioniert.»
Es sei deshalb Aufgabe aller Parteien, Leute zu motivieren, sich für das Gemeinwesen einzusetzen, sagte Maurer und lobte die drei Ausgezeichneten: «Sie tun mehr als andere. Denn was wir nicht selbst machen, das macht der Staat.»