«Ich glaube an die Kraft des aufgeklärten Bürgertums»
Als Hauptrednerin am vergangenen Ustertag sprach Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP), Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Kantonsrat Domenik Ledergerber (SVP) wurde mit der Rolle des Vorredners betraut.
«Keine Angst, ich werde Ihnen keine Predigt halten», eröffnete Karin Keller-Sutter ihre Rede. Am Ustertag referieren die Rednerinnen und Redner traditionsgemäss von der Kanzel, das Predigen überlasse sie gerne anderen.
«Ich glaube an die Kraft des aufgeklärten Bürgertums», so lautete die wohl zentrale Aussage der Bundesrätin. Sie appellierte an die Gesellschaft, nicht nur ihre Rechte einzufordern, sondern auch Gebrauch zu machen von der Freiheit, um Verantwortung zu übernehmen und das Land mitzugestalten. Nur so könne gemeinsam eine starke Gemeinschaft gebildet werden.
Politischer Vorreiter
«Anfang der 1990er Jahre sorgte Politikwissenschaftler Francis Fukuyamas Aussagen zum ‹Ende der Geschichte› für Aufsehen», führte die Bundesrätin aus. So hätten die Zeiten des grossen Umbruchs wie der Berliner Mauerfall und der Zusammenbruch der Sowjetunion die Schlussphase der politischen Systementwicklung eingeläutet und den Weg für eine liberale Demokratie geebnet.
Der Steig von der Kanzel
21.11.2022

Randgeschichten vom Ustertag
Am Ustertag werden nicht nur politische Fragen intensiv behandelt, sondern auch technische. Beitrag in Merkliste speichern «Seine Thesen sind sehr umstritten und gelten für die heutige Zeit überholt», so Karin Keller-Sutter, «spätestens seit Russland im Februar 2022 die Ukraine angegriffen hat, ist Fukuyama wieder in aller Munde.» Dann sei für wohl alle ersichtlich geworden, dass das Ende der Geschichte auch jetzt noch nicht erreicht sei.
«Als Liberale steht für mich ausser Frage, dass sich die liberale Demokratie durchsetzen muss», bringt es Keller-Sutter auf den Punkt, «doch was braucht es dazu?» Der Ustertag liefere einen ersten Hinweis: Vor 192 Jahren sind rund 10000 Menschen Richtung Uster geströmt, wie es auch ein Augenzeuge in einem historischen Stiftstück beschreibt.
Auf dem Zimikerhügel hätten die Anwesenden friedlich für die gerechte politische Mitsprache der Landschaft demonstriert: «Die Bürger lehnten sich auf gegen den Machtanspruch der städtischen Patrizier», beschreibt die Bundesrätin, «die Juli-Revolution in Frankreich hatte die liberalen Geister auch in der Schweiz beflügelt.»

Die Kapitulation der Städte sei dann bemerkenswert schnell erfolgt. Bereits im Dezember wären der Landschaft neu zwei Drittel im Grossrat zugestanden worden. «Es gab eine neue Verfassung, und auch in anderen Schweizer Städten wurden sogenannte ‹Volkstage› gefeiert, die jedoch nicht alle so friedlich verliefen wie der Ustertag.»
Selbstverständlich hätte es auch Rückschläge zu verzeichnen gegeben, doch der Wandel sei nicht aufzuhalten gewesen. 1848 hätte er in der Gründung des modernen Bundesstaats gemündet. Keller-Sutter zog Parallelen zu den Tausenden Männern und Frauen, die im Iran unter widrigsten Umständen für Frauenrechte und gegen das Regime protestieren.
«Die Situationen sind nicht vergleichbar und dennoch – die Männer von Uster und die Frauen im Iran sind für mich beide Ausdruck von Bürgerlichkeit. Sie beruht auf dem Willen zur Freiheit und damit zur Verantwortung für sich und die Gemeinschaft.»
Symbiose Stadt und Land
Bei der Ansprache von Kantonsrat Domenik Ledergerber (SVP) stach die Tatsache heraus, dass der Ustertag der Landbevölkerung Freiheit, Mitbestimmung und später auch Wohlstand gebracht hatte: «Das sind Werte und Errungenschaften, die heute noch zentral sind für unser Leben in der Schweiz.»

Von grosser Bedeutung sieht er die Tatsache, dass Stadt und Land voneinander abhängig seien. «Die Landregionen übernehmen in verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel Lebensmittel- und Energieversorgung oder Tourismus, eine wichtige Funktion», machte sich Ledergerber stark.
Umgekehrt würden die Städte wichtige Zentrumsfunktionen erfüllen und Kultur-, Sport- oder Freizeiteinrichtungen zur Verfügung stellen. Uster sei ein Ort, der die Vorzüge von Stadt und Land vereine, was auch hin und wieder zu Spannungen führen könne: «Zum Beispiel wenn es um Parkplätze oder Kultur geht, wie ich mir sagen liess», resümierte ein schmunzelnder Kantonsrat und erntete prompt Lacher unter den Anwesenden.

Christoph Keller übernahm 2022 die Funktion des Obmanns für das Ustertag-Komitee und löste damit seinen Vorgänger Werner Egli ab. Also war es sein erster Auftritt «auf der Kanzel».
Einen speziellen Dank schickte er an die Partnergemeinden Stäfa und Küsnacht: «25 Behördenmitglieder dieser beiden Gemeinden marschierten heute Vormittag zu Fuss nach Uster», anerkannte er lobend.

Musikalisch wurde der Anlass passend durch die Kantorei Stäfa sowie die Stadtmusik Uster untermalt. Vor der Kirche durften auch die Ehrensalut-Schüsse sowie das Ständchen der Artilleriemusik Alte Garde Zürich nicht fehlen.
«Der Ustertag ist eine gute Gelegenheit, uns daran zu erinnern, dass unsere Freiheit, die für viele so selbstverständlich scheint, einmal hart erkämpft werden musste», wie es Karin Keller-Sutter abschliessend sagte.