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Gesellschaft

Günstiges Essen ist bei ukrainischen Flüchtlingen gefragt

Aus Zürich und Basel heisst es, dass niederschwellige Lebensmittelabgaben von ukrainischen Flüchtlingen überrannt würden. Und wie sieht es im Oberland aus? Etwas ruhiger.

Beat Wagner bedient Hilfesuchende in der Wetziker Tischlein-Deck-Dich-Filiale. , Auch gekühlte Produkte werden abgegeben., Brot und andere Grundnahrungsmittel werden in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Uster abgegeben., Berge von Kaugummis gehören auch ins Angebot., Wer bei Tischlein-Deck-Dich gratis Waren holen will, braucht eine Bezugskarte.

Christian Brändli

Günstiges Essen ist bei ukrainischen Flüchtlingen gefragt

Fein säuberlich sind die Waren nebeneinander aufgereiht: Nach dem Alpenkräutersenf folgen Kaugummipackungen, Kräutermischungen und Balisto-Stengel – und dann bergeweise bayrischer Süsssenf. Nur die Weisswürste fehlen. Rund 40 Produkte stehen zur Auswahl, darunter besonders auch Grundnahrungsmittel wie Brot oder Gemüse.

An diesem Dienstagmorgen werden 61 Familien und Alleinstehende für insgesamt 245 Personen in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Uster Lebensmittel abholen. Aufgetischt worden sind sie von «Tischlein deck dich». Diese Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lebensmittel vor der Vernichtung zu retten und sie an armutsbetroffene Menschen zu verteilen.

Bezugskarte notwendig

«Insgesamt erhalten wir aus der Tischlein-Deck-Dich-Zentrale in Winterthur jeweils Lebensmittel für rund 60 Familien. Damit ist unser Kontingent ausgeschöpft», meint Diakon Rémy Beusch. Allerdings können es auch mal 70 Familien sein – darunter viele sehr grosse mit sechs, sieben oder acht Köpfen.

Diakon Rémy Beusch ordnet die letzten Waren zu einem Häufchen. Diese werden per Los vergeben. (Foto: Christian Brändli)

Eintritt erhält allerdings nur, wer über Sozialfachstellen der Kirchen oder der Sozialhilfe eine Bezugskarte erhalten hat. Und darunter hat es offensichtlich erst wenige Ukrainerinnen und Ukrainer.

«Unsere Kundschaft wird von Menschen aus diversen Nationen besucht – auch aus der Schweiz – und vereinzelt ebenfalls aus der Ukraine», sagt Beusch. «Als nicht ganz niederschwellige Abgabestelle spüren wir noch nicht viel von einer verstärkten Nachfrage durch Ukraine-Flüchtlinge», ergänzt der Diakon. 

Situation für Ukrainer unangenehm

In Wetzikon sieht es ähnlich aus, wie Beat Wagner erklärt. Er führt seit vier Jahren die Abgabestelle in der Evangelischen Freikirche. Am Dienstagnachmittag werden dort an rund 50 Familien und Einzelbezüger mit insgesamt rund 150 Personen Waren abgegeben.

«In den letzten Wochen sind es tendenziell weniger Bezüger gewesen. Dazu gehörte auch eine Ukrainerin», erklärt Wagner. Just in diesem Moment schaut ein Mann in den noch nicht geöffneten Verteilraum hinein. «Kann man hier Essen holen?», fragt er auf Englisch – und fügt an, dass er aus der Ukraine stamme.

Wagner klärt ihn auf, dass er sich dafür eigentlich zuerst bei der Sozialhilfe melden müsse. Doch angesichts der Not des Mannes aus Charkiw, der mit drei Kindern und seiner Frau nach Wetzikon geflohen ist, drückt er ein Auge zu. Nachdem er sich in der Wartekolonne eingereiht hat, kann er rund eine Viertelstunde später die Lebensmittel beziehen. Die Situation ist ihm peinlich und er möchte auch nicht gross darüber sprechen: «Ich bin nicht stolz darauf, hier nun Hilfesuchender zu sein.» Er habe daheim in der Ukraine eine gute Stellung gehabt.

Blick in eine Tasche einer Tischlein-Deck-Dich-Kundin in Uster. (Foto: cb)

Seine Tasche ist nach dem Rundgang um den Tisch gut gefüllt. Gerne hätte er noch mehr als die zwei erhaltenen Peperonis gehabt, da seine Familie diese liebt. Aber es muss ja für alle etwas da sein und das sind an diesem Tag rund 50 Leute, die Nahrungsmittel für 150 Personen mitnehmen dürfen. Immerhin hat der Ukrainer gleich zwei «Hampfeln» voll Kaugummis erhalten, auf die seine Söhne stehen.

Viele Helfer in Uster

Anders als beim «Tischlein-Deck-Dich» sieht es punkto Ukraine-Flüchtlingen bei den niederschwelligen Essenabgabestellen im Oberland aus. Dort kann jedermann ohne Vorbedingungen anklopfen – oder sich sogar selbst gratis bedienen. In der grössten Stadt der Region gibt es gleich mehrere solche unkomplizierten Bezugsorte.

Auf dem Ustermer Zeughausareal steht nicht nur ein Kühlschrank der Organisation «Madame Frigo» , sondern täglich stoppt «Chabis-Chäs»-Foodtruckbetreiber Reto Günthard mit seinem Gefährt auf dem Areal. In den letzten Wochen ist der Zulauf laut sein Angaben schon stark angestiegen, weshalb er auf seinem Facebookkanal auch zu mehr Spenden aufgerufen hat.

Jüngst ist es sogar zu einem förmlichen Ansturm gekommen, so dass er zur Kanalisierung Absperrgitter mit Sichtschutz aufstellen will. Der Besucheraufmarsch erklärt sich aber auch mit dem breiten Angebot, das Günthard anzubieten hat. So ist es gut möglich, dass es dort auch mal Würste, Fisch, Käse, Gemüse, Brot, Sandwiches oder sogar Patisserie gibt.

Grosse Nachfrage bei re-serviert

Viermal pro Woche verteilt der erst im vergangenen September gegründete Verein «re-serviert» an der Ustermer Rännenfeldstrasse Nahrungsmittel und weitere Produkte. «Wir sind wie ein kleiner Laden», meint Andrea Weder. Unter der Woche kommen dort jeweils 20 bis 25 Personen vorbei, samstags auch schnell mal 40. Und unter diesen sind seit einigen Wochen auch ein halbes Dutzend Ukrainerinnen, «vor allem Mütter mit Kindern», wie Weder erklärt.

Während sich die Flüchtlinge in Uster auf die verschiedenen Hilfsangebote zu verteilen scheinen, ist «re-serviert» an seiner zweiten Abgabestelle in Pfäffikon förmlich überrannt worden. «Zum einen, weil wir hier das einzige niederschwellige Angebot sind, zum anderen, weil dieses im örtlichen Ukrainer-Treff schnell die Runde gemacht hat», sagt Conny Calderone, die den Verein ins Leben gerufen hat.

Das breite Informationsangebot für Ukraine-Flüchtlinge auf der Homepage der Gemeinde habe das Ihre dazu beigetragen. «Rund 80 Prozent der etwa 40 Hilfesuchenden seien Ukrainerinnen mit ihren Kindern», schätzt Calderone.

Ustermer Verein setzt sich gegen Food Waste ein

25.11.2021

Stand als Begegnungsort

Viermal pro Woche verteilt der Verein re-Serviert in Uster Lebensmittel. Beitrag in Merkliste speichern «Vor unserem Lokal haben sich ganz lange Schlangen gebildet», meint die Initiantin. Zuerst hätten auch einige ihre Plätze in der Kolonne eine Stunde vorher mit ihren Einkaufstaschen markiert. Nachdem ein Übersetzer die gut 30 ukrainischen Flüchtlinge darüber informiert hatte, wie es hier läuft – genommen werden soll nur so viel, dass es auch für die anderen hinten in der Reihe noch reicht – und dass «re-serviert» ein privater Verein sei, funktioniere alles nun gut.

Um die Sprachbarrieren zu überwinden, hilft auch schon mal ein 16-jähriger Ukrainer, der deutsch spricht. Und Calderone freut sich, dass hier dank der Zusammenarbeit mit Lidl und Apodro Drogerien auch mal Sachen abgegeben werden könnten, die «dem Seelenheil» dienten, etwa Blumen, Duschmittel oder Schminke.  

Engpässe in Pfäffikon

Das Problem: «Mit dem grossen Zustrom gibt es Versorgungsengpässe. Wir mussten auch schon Leute mit leeren Händen wieder wegschicken.» Deshalb ist sie zusammen mit ihren 25 Helfern nicht nur auf Spendersuche zur Deckung der Unkosten, sondern möchte auch weitere Läden und Firmen dafür gewinnen, ihnen Waren kostenlos zur Weitergabe zu überlassen.

«Wenn es uns gelingt, dass wir auch in der Wetziker Lidl-Filiale überschüssige Lebensmittel abholen können, könnten wir unsere Pfäffiker Abgabestelle künftig an drei statt bisher an zwei Tagen pro Woche öffnen. Als ‹ sälber glismete ›  Verein können wir da schnell reagieren.»      

Lebensmittelabgaben in der Region

Im Zürcher Oberland gibt es eine ganze Reihe von Hilfsorganisationen, die Lebensmittel an Bedürftige abgeben. Die einen sind ganz niederschwellige, es braucht keine Anmeldung. Andere werden über die Sozialhilfe zugewiesen. Hier eine Übersicht, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Tischlein Deck Dich

Abgabestellen in Effretikon (Ref. Zentrum); Hinwil (Chrischona Gemeinde); Pfäffikon (kath. Pfarrei Benignus); Schwerzenbach (Zivilschutzanlage); Uster (evang.-meth. Kirche); Wald (Chrischona Gemeinde); Wetzikon (evang. Freikirche). Geöffnet je einmal pro Woche. An diesen Stellen werden pro Woche durchschnittlich rund 300 Familien beziehungsweise 1070 Personen mit Lebensmitteln unterstützt. Genaue Lage und Öffnungszeiten auf www.tischlein.ch/lebensmittel-beziehen/abgabestellen-suchen

Für Menschen, die über eine kirchliche Sozialfachstelle oder die Sozialhilfe zugewiesen worden sind. Es wird eine Berechtigungskarte ausgestellt.

Hilfskette/Remar

Abgabestellen in Oetwil (FMG), Hombrechtikon (Kostbar), Hinwil kath. Kirche), Uster (Remar), Russikon (ref. Kirche), Grüningen (Fam. Latzer), Wetzikon (Freie Christen Gemeinde). Geöffnet je einmal pro Woche. Aktuell erreicht die Organisation rund 2000 Menschen im Zürcher Oberland. Genaue Lage und Öffnungszeiten der Abgabestellen auf  www.hilfskette.ch/hilfe

Für Menschen am und unter dem Existenzminimum, Sozialhilfe- oder Ergänzungsleistungsbezüger, in einer Schuldensanierung. Es wird eine Berechtigungskarte ausgestellt.

Aufgetischt statt weggeworfen

Standorte in Dübendorf, Wetzikon, Bauma, Fällanden. Mehr Informationen unter www.aufgetischt-statt-weggeworfen.ch

Für Menschen, die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beziehen, Asylsuchende, von den Kirchen bezeichnete Menschen in Not oder Ähnliche.

re-serviert

Abgabestellen in Uster (Rännenfeldstrasse 1-3) dienstags, mittwochs, freitags, samstags sowie in Pfäffikon (Hochstrasse 7) mittwochs und freitags. Mehr Informationen und genaue Öffnungszeiten auf www.re-serviert.ch/oeffnungszeiten

Für jedermann. Finanziell besser gestellte Personen, die aus ideellen Gründen Food Waste minimieren oder caritativ tätig sein möchten, unterstützen mit freiwilligem Beitrag diejenigen, die auf eine Gratisabgabe angewiesen sind.

Chabis Chäs

Foodwaste-Imbissstand auf dem Zeughausareal in Uster, montags bis freitags jeweils von 16.30 bis 17 Uhr und samstags 11 bis 11.30 Uhr. Mehr Informationen auf www.facebook.com/chabischaes.ch

Für jedermann.

Schweizertafel

Die Schweizer Tafel sammelt täglich schweizweit rund 16 Tonnen einwandfreie, überschüssige Lebensmittel im Detailhandel ein und verteilt sie kostenlos an 500 soziale Institutionen, wie Obdachlosenheime, Gassenküchen, Notunterkünfte oder Frauenhäuser.

Für soziale Institutionen.

Madame Frigo

Lebensmittel in einem Kühlschrank als Tauschplattform in Selbstbedienung mit Standorten in Uster (Zeughausareal), Hinwil (Gemeindeschopf), Tann (Kirchgemeindehaus Nauen), Hombrechtikon (altes Bahnhöfli). Mehr Informationen auf www.madamefrigo.ch/de/

Für jedermann und jederzeit.

Heilsarmee

Korps Zürich-Oberland mit Standort Uster bietet einen Mittagstisch an. Dieser pausiert zurzeit. 

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