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Hilfe für die Ukraine

Er bringt Feuerwehrautos von Weisslingen ins Kriegsgebiet

Seit 2022 bringt der Weisslinger Andreas Bärtschi ausgemusterte Feuerwehrautos und Hilfsgüter in die Ukraine. Was als kleine Einzelaktion begann, hat mittlerweile ganz neue Dimensionen angenommen.

Andreas Bärtschi (Mitte) erhält bei der Übergabe der Fahrzeuge in der Ukraine einen Orden für seine Hilfeleistung. Solche Auszeichnungen hängt er normalerweise nicht zu Hause auf, doch diese schon, denn sie hat für ihn einen besonderen emotionalen Wert.

Foto: Verein Hilfe für die Ukraine 8484

Er bringt Feuerwehrautos von Weisslingen ins Kriegsgebiet

Hilfe für die Ukraine

Seit 2022 bringt der Weisslinger Andreas Bärtschi ausgemusterte Feuerwehrautos und Hilfsgüter in die Ukraine. Was als kleine Einzelaktion begann, hat mittlerweile ganz neue Dimensionen angenommen.

Andreas Bärtschi sitzt auf seinem weissen Sofa. Neben ihm knistert das Feuer im Kamin. Die Idylle scheint perfekt, wäre da nicht ein ungewöhnlicher Gegenstand auf dem Couchtisch: eine Granate, umfunktioniert zur Blumenvase. Ein stilles Mahnmal, das daran erinnert, worum es in seinem Engagement geht. «Wenn du in der Ukraine so in deinem Wohnzimmer sitzt, musst du jederzeit damit rechnen, dass plötzlich eine Granate einschlägt», sagt er.

Die Gefahr im Kriegsgebiet sei allgegenwärtig, der Alltag unberechenbar: Erst vor Kurzem habe er ein Foto einer Unterkunft bekommen, in der er noch vor wenigen Monaten übernachtet habe. «Zu sehen war nur noch ein Aschehaufen.»

Andreas Bärtschi hat den Verein Hilfe für die Ukraine 8484 gegründet. Bereits kurz nach der russischen Grossoffensive im Februar 2022 kaufte er erstmals ausgemusterte Feuerwehrfahrzeuge, Geländewagen und Einsatzmaterial und brachte alles in die Ukraine. Den Anstoss gab eine geflüchtete Frau, die er bei sich aufgenommen hatte. Ihr Sohn arbeitet in der Ukraine bei der Feuerwehr und berichtete von einem grossen Mangel an Ausrüstung.

Bärtschi, selbst langjähriger Feuerwehrmann, erkannte sofort, wo er helfen konnte. Anfangs organisierte und finanzierte er alles allein. Doch seither hat sich einiges getan.

«Das ist keine Selbstverständlichkeit»

Am 22. September ist Andreas Bärtschi von seiner neunten – und bisher letzten – Hilfsmission aus der Ukraine zurückgekehrt. Acht Tage war er mit seinem Team unterwegs und überführte insgesamt sechs Fahrzeuge, darunter ein Löschfahrzeug und einen Rettungswagen, ins Kriegsgebiet.

Früher hätte er einen Grossteil der Kosten dafür selbst getragen. Doch diese Mission konnte komplett durch Spendengelder finanziert werden. «Das ist keine Selbstverständlichkeit», sagt Bärtschi. Rund 40’000 Franken hat die Mission insgesamt gekostet. Besonders freut ihn: «Es gibt einen anonymen Spender, der jede Spende verdoppelt.»

Bärtschis Engagement blieb auch in den Medien nicht unbemerkt. So kam ein Videojournalist von Tele Top auf ihn zu, um eine sechsteilige Dokumentarserie über Bärtschis Arbeit zu machen.

45 Stunden Rohmaterial

Als der Videojournalist Marco Wohlgensinger zu einem ersten Gespräch vorbeikam, war für Andreas Bärtschi schnell klar: «Die Chemie stimmt.» Und die musste auch stimmen, schliesslich stand eine achttägige Reise in die Ukraine bevor, auf engstem Raum, mit gemeinsamen Herausforderungen und wenig Privatsphäre.

An das ständige Gefilmtwerden gewöhnten sich Bärtschi und die Fahrer überraschend schnell. «Einen halben Tag war es komisch, aber dann wurde es ganz normal», sagt Bärtschi rückblickend. Besonders beeindruckt zeigte er sich vom Einsatz des Filmemachers: «Er hat alles selbst gemacht: vom Filmen, von den Interviews, dem Schnitt bis zum Ton.»

Während der Mission hatte Wohlgensinger rund 45 Stunden Rohmaterial gesammelt, das er später in weiteren 130 Stunden Sichtung und Schnitt zu einer mehrteiligen Serie verarbeitete, wie Bärtschi erzählt. Die Arbeit sei nicht nur intensiv, sondern vor allem absolut authentisch gewesen, führt er weiter aus: «Wir hatten keine Zeit, eine Szene zweimal zu drehen. Wir waren auf Mission, daher konnten wir mit den Fahrzeugen nicht einfach umkehren und dieselbe Strecke nochmals abfahren.»

Das Dorf engagiert sich fleissig mit

Die Premiere der Doku-Serie fand bereits im Mai in einem Kino in Winterthur statt. Am 25. September wurde sie erstmals auch in Bärtschis Heimatdorf Weisslingen gezeigt – mit grossem Erfolg. «Meine minimale Erwartung wurde schön übertroffen», sagt er. Rund 180 Personen seien gekommen, auch aus den umliegenden Gemeinden. So kamen ausserdem rund 6500 Franken Spendengelder zusammen.

Doch der Film wurde aus einem weiteren Grund in Weisslingen gezeigt: Viele Spenderinnen und Spender sowie Fahrer stammen aus dem Dorf. Was einst als Einzelaktion begann, ist heute eine kleine, aber schlagkräftige Organisation.

Bilder von Andreas Bärtschi von seinen Missionen in die Ukraine
Kurze Rast der Fahrergruppe, im Hintergrund die Kolonne der Fahrzeuge für den Transport in die Ukraine.

Auf das Engagement im Dorf und ausserhalb konnte Bärtschi stets zählen. So wurde ein ehemaliger Schulfreund Mitgründer beim Verein. Heute gehören vier feste Mitglieder dazu, mehr sollen es nicht werden. «Mit mehr Leuten werden Entscheidungsprozesse verlangsamt. Wir aber müssen schnell entscheiden können», erklärt Bärtschi.

Fahrer für die Missionen zu finden, ist selten ein Problem. Über seinen Whatsapp-Status, den über 300 Leute regelmässig sehen, melden sich immer wieder Freiwillige. «In der Beiz sagen sie: ‹Hey, tolle Sache, ich komme mit› – aber zu Hause sagen dann die Frauen oft: ‹Spinnsch, in ein Kriegsland, das ist doch absolut unzumutbar!›», erzählt Bärtschi schmunzelnd.

Das sei nachvollziehbar. Angst habe er selbst trotzdem nie gehabt. «Ich war bei der Feuerwehr, da hatten wir alle paar Jahre einen Toten auf der Strasse. Risiko gibt es überall.» Klar, in der Ukraine sei das Risiko erhöht. Aber mit der richtigen Vorbereitung und guten Kontakten vor Ort, «die heute über das ganze Land verteilt sind», fühle er sich sicher. Wenn etwas schiefläuft, reicht oft ein Anruf. «Meine neuen Bekannten setzen alles in Bewegung, damit geholfen wird.»

Nicht nur Engagement, sondern auch politisches Statement

Der 66-Jährige ist kein Mensch, der still sitzt. Er hat zwei eigene Unternehmen aufgebaut und geführt, zahlreiche Veranstaltungen wie die «Wisliger Dorfete» organisiert und engagiert sich aktiv im Vereinsleben. «Ich hatte immer viele Projekte nebeneinander laufen, das entspricht mir.» Auch privat ist er ständig unterwegs: auf Velotouren von Weisslingen bis etwa nach Marrakesch oder regelmässig beim Klettern.

Sein Engagement für die Ukraine passe zu dieser aktiven Lebensweise, aber gehe auch darüber hinaus. Es sei nicht nur ein individueller Einsatz, sondern auch ein politisches Statement. Was ihn antreibt, ist die Wut über die Gleichgültigkeit, vor allem in der Schweizer Politik. «Die Ukraine ist der Schutzschild Europas», sagt er. Falle sie, werde die Katastrophe auch Westeuropa treffen. Ukrainerinnen und Ukrainer, die er kenne, sagten ihm immer wieder: «Wenn Putin gewinnt, bleibt uns nur die Flucht nach Westeuropa.» Besonders die ablehnende Haltung gegenüber Geflüchteten und Waffenlieferungen in die Ukraine – gerade vonseiten politischer Parteien – macht ihn fassungslos.

Trotz den Gefahren wie Raketenangriffen, Explosionen und zerstörten Infrastrukturen erlebe er die Ukraine auch anders: als lebendiges Land mit offenen Cafés, Musik und Partys. «Die Menschen lassen sich nicht unterkriegen.» Dass sie weitermachen, bewundert er.

Doch bei seinem Engagement geht es ihm längst nicht mehr nur um Politik, sein Einsatz ist persönlich geworden. Wenn Bärtschi über die Grenze in die Ukraine fährt, ist das für ihn mehr als ein geografischer Schritt: «Dann weiss ich, ich bin wieder zu Hause in meinem zweiten Daheim.»

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