Dank diesen beiden «Lokalhelden» wurde Hinwils Sammlung berühmt
Das Ortsmuseum Hinwil feiert sein 100-Jahr-Jubiläum mit einem Wochenende voller Feierlichkeiten. Zwei Männer haben massgeblich dazu beigetragen, dass das kleine Museum überregionale Anerkennung geniesst.
Beim Betreten des Hinwiler Ortsmuseums verraten die Vertiefungen im Holzboden, dass hier schon eine Menge Leute ein- und ausgegangen sind. Was dieses Riegelhaus aus dem 18. Jahrhundert wohl schon alles erlebt hat?
«Dieses Museum ist wohl eines der ältesten seiner Art in der Schweiz», sagt Markus Brühlmeier. Der freischaffende Zürcher Historiker und Autor muss es wissen. Denn er schrieb zahlreiche Bücher und kreierte Ausstellungen zur Kulturgeschichte der Schweiz – beispielsweise über ein Zürcher Zunfthaus oder über die Gemeinden Grüningen, Seuzach oder Sternenberg.
Zu seinen Werken gehören auch zwei Bücher über die Gemeinde Hinwil. Immer wieder ist ihm in seiner 35-jährigen Laufbahn aufgefallen, dass es die Hinwiler «einfach draufhaben» mit ihrem 100-jährigen Museum. «Es wurde in Fachkreisen oft als Beispiel genannt, und Fachleute aus der ganzen Schweiz kamen hierher, um die Sammlung zu begutachten.»

Zu verdanken haben das die Einwohner vor allem einer Person: Henri Feurer. Der Bauer aus dem Hinwiler Loch war der Gründer des Ortsmuseums. Der leidenschaftliche Sammler vermachte der Nachwelt allerlei Dinge, die seiner Meinung nach den Alltag in Hinwil geprägt hatten.
Das waren einerseits Gegenstände, die in der bäuerlichen Welt gebraucht wurden. Aber auch Dinge, welche vom Fortschritt in der ländlichen Gegend erzählten. «Feurer war einer der Ersten, die sich einen Radioapparat angeschafft haben», erzählt Brühlmeier.
Stolz zeigt uns Aktuar Mark Plüss das historische Stück im Untergeschoss des Museums. «Henri Feurer half sogar anderen Hinwilern, die sich auch ein Radio angeschafft hatten, bei der Installation», ergänzt er schmunzelnd.

Und woher weiss man solche Dinge in der heutigen Zeit noch? Vom Weitersagen? Die beiden Experten winken ab. «Dank Menschen wie Feurer können solche Informationen nachgelesen werden», erklärt Brühlmeier.
Denn Henri Feurer schrieb damals jährlich die jeweils prägendsten Ereignisse in einer Gemeindechronik auf. Und stellte damit sicher, dass diese Informationen für die Nachwelt erhalten bleiben.
Und weil der «Tausendsassa» auch noch ein guter Hobbyfotograf war – notabene war er zugleich eine der ersten Privatpersonen im Oberland, die eine eigene Kamera besassen –, hielt er die Geschehnisse in Hinwil ausserdem in Bildern fest.

Für Markus Brühlmeier sind solche «Trouvaillen» sehr wertvoll. «Akkurat geführte Chroniken sind ein Segen für jeden Historiker, um möglichst tief in die Geschichte einer Gemeinde eintauchen zu können.» Viele Geschichtswissenschaftler seien sich der wichtigen Ressourcen von Ortsmuseen zu wenig bewusst.
Für seine Recherchearbeit durchforstet Brühlmeier ausserdem tagelang das Material in verschiedenen Archiven und Bibliotheken. Um historische Schriftdokumente lesen zu können, eignete er sich das Lesen von alten Schriften an. Für Übungszwecke musste seine Grossmutter herhalten: «Zu ihrer Freude schickte ich ihr Ansichtskarten in alter Schrift.»
Weitere wichtige Einblicke erhält der Historiker in Gerichtsakten. «Die Grundherrschaftsbesitztümer zu analysieren, gleicht einem Puzzle.» Nicht jedes Puzzlestück lasse sich jeweils auffinden. Die Teile trotzdem zu einem grossen Ganzen zusammenzubringen, sei die reizvolle Herausforderung dabei.
Anekdoten am Rande halten Geschichte lebendig
In vielen Gemeinden war es früher gang und gäbe, dass der Pfarrer eine «Bestandesliste» über alle Einwohner führte. «In Wila beispielsweise besuchte der Pfarrer regelmässig jedes einzelne Wohnhaus, um die Namen der Hausbewohner zu aktualisieren.»
Ebenfalls wurde in solchen Listen vermerkt, wie viele Bibeln pro Haushalt vorhanden und ob die Bewohner konfirmiert worden waren. «Er notierte auch, wenn ihn etwas gestört hat», erzählt der Wissenschaftler schmunzelnd. Und damit ist auch klar, wie Historiker zu manch erheiternder oder pikanter Anekdote gelangen.
Auch in Hinwil gibt es solche. Museumsaktuar Mark Plüss erzählt eine Episode über den mächtigen schwarzen Regenschirm in der Ausstellung. «Der Schirm gehörte einer jungen Frau», erzählt er. «Henri Feurer kommentierte bei einer Führung durch das Museum, dass die Dame hoffentlich bald einen Ehemann gefunden habe, der diesen schweren Schirm für sie tragen möge.»

Seit Februar allerdings schlägt sich Markus Brühlmeier nicht mehr mit Daten und Listen herum, denn er geniesst seinen wohlverdienten Ruhestand. Doch ganz loslassen kann er nicht: Für Herzensprojekte wie die Geschichte des Hauses aus Wila im Museum Ballenberg – das Buch wird demnächst erscheinen – engagiert er sich weiterhin. An der bevorstehenden Jubiläumsfeier wird er aber auch vor Ort sein. Denn er hat eine besondere Verbindung zu Hinwil. «Hier startete meine Karriere als Buchautor.»
Legasthenie konnte ihn nicht aufhalten
Ursprünglich Maschinenmechaniker, entschied sich Brühlmeier auf dem zweiten Bildungsweg für ein Studium der Geschichte und Kunstgeschichte. Er studierte gerade im zweiten Semester, als er zufällig auf das kleine Museum Hinwil aufmerksam wurde. «Sie suchten einen Historiker, der die Geschichte der Landwirtschaft in Hinwil aufarbeitet – ich hatte grosse Lust dazu.»
Vier Semester später bekam Brühlmeier dank der Arbeit im Museum auch den Auftrag, die Ortsgeschichte zu verfassen. Dass er seinen Abschluss noch nicht in der Tasche hatte, fiel niemandem auf. Dass er Legastheniker ist, auch nicht. «Das Schreiben der ersten Kapitel war ein echter Krampf für mich», erinnert er sich an seine Anfänge zurück.
Eine erste Feedback-Runde von den Auftraggebern sei entsprechend vernichtend ausgefallen. «Dass sie dennoch an mich glaubten und mir Unterstützung beim Schreiben anboten, spornte mich an.»
Auch der Computer, den Brühlmeier sich schon früh im Studium angeschafft hatte, half beim Schreiben und beim Sammeln von Informationen. Er programmierte eine eigene Datenbank, um die Daten abrufbar zu haben. Unzählige Bücher und Berufsjahre später sei ihm das Schreiben Stück für Stück leichter gefallen. «Ich brauche aber immer noch länger für einen Text als viele andere Menschen.»
Helden von damals und heute
An der Jubiläumsfeier wird des Museumsgründers Henri Feurer mit einem Theater gedacht. Regie führt kein Geringerer als Erich Feurer, ein Enkel des einstigen «Lokalhelden».
Für den Historiker Markus Brühlmeier ist die Geschichte der «einfachen Leute» besonders interessant. In ihren Freuden und Sorgen spiegelt sich oft die grosse Weltgeschichte. Mit seinen Büchern haucht er der Vergangenheit neues Leben ein und macht sie auch über die Gemeindegrenzen hinaus greifbar. Das macht ihn zu einem echten «Lokalhelden» von heute.
Feier «100 Jahre Ortsmuseum» am 6. und 7. September
Nach dem Festakt für geladene Gäste am Freitag sind die einzelnen Programmpunkte der Feierlichkeiten am Samstag und Sonntag auch für die Öffentlichkeit zugänglich.
– Samstag ab 16.30 Uhr: Auftritt des Männerchors und öffentliche Aufführung des Jubiläumstheaters.
– Sonntag ab 12 Uhr: Festwirtschaft, Konzert mit Los Billtones, Buick-Fahrten und offizieller Start Hinwilpedia.