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Gesellschaft

Ex-Kommandant fährt alte Feuerwehrautos in die Ukraine

Für Andreas Bärtschi ist klar: «Wenn Putin gewinnt, hat die Schweiz ein Problem – was das heisst, haben wir bisher erst im Kleinen erlebt.»

Andreas Bärtschi hat bereits vier Feuerwehrfahrzeuge in die Ukraine gefahren. Mit dem ausgemusterten Tanklöschfahrzeug der Wisliger Feuerwehr will er in den nächsten Tagen los.

Foto: Moritz Hager

Ex-Kommandant fährt alte Feuerwehrautos in die Ukraine

Hilfe aus Weisslingen

Andreas Bärtschi unterstützt die Feuerwehr von Luzk mit ausgemustertem Material aus der Schweiz. Der Wisliger will mit seiner Aktion ein Zeichen gegen Putin setzen.

Almut Berger

«Jetzt noch ein Stromaggregat organisieren, dann kann es nächste Woche losgehen.» Mit Schwung wirft Andreas Bärtschi die Fahrertür des Feuerwehrautos zu. «Feuerwehr Weisslingen» steht prominent auf dem Tanklöschfahrzeug.

Künftig wird dieses nicht mehr Brände im Zürcher Oberland, sondern in der Westukraine löschen. Genauer gesagt in Luzk, einer Stadt, die etwa doppelt so gross wie Winterthur ist.

Andreas Bärtschi kauft ausgemusterte Feuerwehrautos, rüstet diese aus und fährt sie anschliessend über Österreich und Ungarn an ihren neuen Bestimmungsort. Seine neueste Errungenschaft – Jahrgang 1996, 42’000 Kilometer – kennt der 65-Jährige noch aus seiner Zeit als Kommandant der Wisliger Feuerwehr.

11’500 Franken hat er für das Tanklöschfahrzeug bezahlt. «Der Lieferant des neuen Fahrzeugs hatte es mir zuerst vor der Nase weggeschnappt», erzählt er, «dann aber zum gleichen Preis überlassen, als er hörte, was ich damit vorhatte.»

Flüchtlinge in Weisslingen als Auslöser

Vier Feuerwehrautos hat Andreas Bärtschi bisher ins 1650 Kilometer entfernte Luzk überführt, das erste Mal kurz nach der russischen Grossoffensive im Februar 2022. Damals suchten zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz in der Schweiz.

Der Weisslinger zögerte nicht lange und nahm zwei geflüchtete Personen bei sich auf. «Die Frau erzählte mir, dass ihr Sohn bei der Feuerwehr in Luzk arbeitet und dort ein akuter Mangel an Fahrzeugen und Ausrüstung herrscht.» Das sei die Initialzündung für sein Projekt «Feuerwehrautos für die Ukraine» gewesen.

Rettungsfahrzeug vor Autobahnschild.
Das ehemalige Sanitätsfahrzeug der Wisliger Feuerwehr war das erste Auto, das Andreas Bärtschi im Frühling 2022 in die Ukraine überstellte.

Den Auftakt machte ein Sanitätsfahrzeug der Wisliger Feuerwehr mit 65’000 Kilometern auf dem Tacho. «In der Schweiz wurde es altershalber ausgemustert und durfte nicht mehr für Einsätze verwendet werden.»

Andreas Bärtschi schüttelt den Kopf. «In der Ukraine hat der Sharan nur schon in den ersten 14 Monaten 40’000 Kilometer abgespult – und versieht seinen Dienst noch immer brav.»

Da die Fahrzeuge in der Regel leer sind, ist er immer auch auf der Suche nach überzähligem oder ausgemustertem Material. Trotz guter Verbindungen zu den Feuerwehren in der Region geht das Ganze ins Geld.

Menschen vor Feuerwehrauto.
14 Monate nach seiner Überführung hatte das Wisliger Sanitätsfahrzeug einen neuen Look – und 40’000 Kilometer mehr auf dem Tacho.

Rund 35’000 Franken hat er bisher für Fahrzeuge und Ausrüstung bezahlt – den grössten Teil aus dem eigenen Sack. «Unterdessen erhalte ich hie und da Geldspenden von Freunden oder Nachbarn, was mich natürlich freut.» Über einen Whatsapp-Gruppenchat hält er diese über sein Projekt auf dem Laufenden.

Vier Tage am Steuer

Als Blaulichtfahrzeuge sind Feuerwehrautos mautbefreit. Trotzdem rechnet Andreas Bärtschi allein für die Überführung des Tanklöschfahrzeugs mit gegen 2000 Franken für Diesel, Versicherung, Übernachtungen und das Heimflugticket ab Warschau.

Dazu kommt der Zeitaufwand: 80, 90 Stundenkilometer – schneller darf er mit dem Lastwagen nicht fahren. Das bedeutet vier Tage am Steuer. «Nächste Woche wird mich aber immerhin ein Kollege bis an die ukrainische Grenze begleiten.»

Zeitaufwendig ist jeweils auch der Papierkram im Vorfeld: Jeder Schlauch, jeder Helm, jeder Wasserwerfer, jedes Strahlrohr muss gewogen, mit einem ungefähren Geldwert in einer Liste eingetragen und als humanitäre Hilfe deklariert werden. «Sonst müsste ich die Ausrüstung beim Verlassen der Schweiz versteuern, und das wäre ja nicht der Sinn der Sache.»

Von der ukrainischen Grenze bis nach Luzk sind es nochmals rund 450 Kilometer. Beim ersten Grenzübertritt habe er ein mulmiges Gefühl gehabt. «Mittlerweile habe ich keine Angst mehr, auch wenn ich den Himmel dort anders im Auge behalte als hier bei uns.»

Zerbombtes Gebäude.
Das Ergebnis eines Raketeneinschlags in der Nähe der Hauptfeuerwehrwache in Luzk (April 2022).

Die dortigen Hügelzüge und Bauernhöfe erinnern ihn ans Toggenburg. Es gibt sogar Skilifte. «Wenn ich dann aber all die Checkpoints und Geschützstellungen und ausgebrannten Häuser sehe, packt mich jedes Mal die Wut.»

Luzk sei eine Stadt mit einer langen Geschichte und vielen Sehenswürdigkeiten. «Die Leute gehen arbeiten und in den Ausgang wie wir. Mit dem Unterschied, dass jederzeit eine weitere Langstreckenrakete einschlagen kann.»

«Es ist an der Zeit, etwas zurückzugeben»

Fährt Andreas Bärtschi in Luzk bei der Feuerwehrwache vor, wird er oftmals von der gesamten Mannschaft erwartet. Das sei schon sehr berührend, sagt er.

«Bei meiner letzten Ankunft hat mir ein Offizier stolz seinen Helm mit dem Logo der Wisliger Feuerwehr gezeigt. Bei uns wäre dieser schon längst in der Kehrichtverbrennungsanlage gelandet.»

Feuerwehrmann setzt neongelben Helm auf.
Die ausgemusterten Wisliger Feuerwehrhelme sind in Luzk begehrt.

Solange seine Feuerwehrautos in Luzk gebraucht und geschätzt werden, will der Wisliger sein Engagement weiterführen. «Ich habe die Kapazität und das Know-how», sagt er.

Er habe mit seiner Gartenbaufirma gutes Geld verdient und immer ein schönes Leben gehabt. «Jetzt, wo die Söhne übernommen haben, ist es an der Zeit, etwas zurückzugeben.»

Menschen vor diversen Fahrzeugen.
Andreas Bärtschi mit ukrainischen Feuerwehrleuten in Luzk.

Und vielleicht trage er ja damit auch ein wenig zu einem ukrainischen Sieg bei. In einem Punkt ist sich Andreas Bärtschi nämlich sicher: «Wenn Putin gewinnt, dann bekommt auch die Schweiz ein gewaltiges Problem. Jeder, mit dem ich in der Ukraine rede, sagt, wenn die Russen kommen, fliehen wir in den Westen. Was das heisst, haben wir bisher erst im Kleinen erlebt.»

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