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«Es ist ein sozialer Treffpunkt»

Die Altstoff-Sammelstelle an der Dammstrasse in Uster hat seit langem ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Eine Neue wird voraussichtlich erst in fünf Jahren eröffnet. Ein Nachmittag zwischen Altmetall und Karton, Bücherecke und Stöbertisch.

Die Altstoff-Sammelstelle an der Dammstrasse in Uster.

Bild: Seraina Boner

«Es ist ein sozialer Treffpunkt»

Es ist Samstagmittag. Auf dem Parkplatz der Sammelstelle an der Dammstrasse Uster, gleich beim Bahnhof, herrscht Hochbetrieb. Autos fahren heran, Menschen laden Ware aus: Zeitungen, Karton, Glas.

Albin Egger steht vor Kisten mit Elektroschrott, eine Zigarette zwischen den Lippen. « Das gehört dort nach hinten » , sagt er einer Frau, die mit einer Ladung Styropor auftaucht. « Dieser Job ist einfach der allerbeste» , sagt er. « Gäll Niels? »

Die Stimmung unter den Mitarbeitern ist leicht aufgekratzt, man merkt, dass hier ein eingespieltes Team am Werk ist, das sich mag. Niels Kretschmann ist seit 18 Jahren dabei und liebt seine Arbeit genauso wie Egger.

Gewaltpräventionskurs für Mitarbeiter

Er erinnert sich an ein Ehepaar, das mit ganz viel Plastik kam. « Und Plastik kann man bei uns ja nicht entsorgen. » Als ein Mitarbeiter das Paar darauf aufmerksam machte, sei der Mann ausgeflippt. « Er warf den Plastik vor dessen Füsse, tippte ihm mit dem Finger auf die Brust und schrie: ‹Ich zahl dir din Lohn! ›» .

Kretschmann habe Angst gehabt, dass der Mitarbeiter nun wütend würde. « Aber er entgegnete ganz ruhig: ‹Das isch guet, dass ich sie mal triffe. Ich ha scho lang mal meh Lohn welle.› » Der Mann habe seinen Plastik genommen und sei wieder gegangen. « Wir haben ihn nie mehr gesehen. Das vergesse ich meiner Lebtag nie mehr. »

Regelmässig besucht Kretschmann Weiterbildungskurse zu Gewaltprävention , Sicherheit und Erste Hilfe . In all den Jahren sei er aber nur ein einziges Mal tätlich angegriffen worden. « Mehrheitlich sind die Leute friedlich. Nur wenn sie etwas nicht entsorgen können, werden sie manchmal aggressiv. »

Kretschmann kann den Ärger verstehen. « Diese Sammelstelle ist völlig veraltet und viel zu klein. In anderen Gemeinden kann man mit dem Auto reinfahren, alles abladen und wieder rausfahren. Was wir hier haben, ist nicht mehr zeitgemäss und für die drittgrösste Stadt im Kanton unpassend. »

Da es zu wenig Parkplätze habe, herrsche manchmal ein ziemliches Chaos. « Dann parkieren die Leute einfach direkt vor der Sammelstelle und versperren den Eingang. » Er fände es zudem wichtig, dass eine Sammelstelle alles annehme.

« Ökologischer Blödsinn »

Albin Egger hingegen findet eher, dass sie bereits zuviel annehmen. Ökologisch gesehen sei es sinnvoller, Karton, Glas, Alu, Papier und Sperrgut im Quartier zu entsorgen. Und auch bei der modernsten Sammelstelle gebe es immer Dinge, die nicht angenommen werden können.

Aber die Sammelstelle sei halt viel mehr als einfach ein Ort, wo man seinen Grümpel entsorgen könne. « Es ist ein sozialer Treffpunkt. Und das mitten im Dorf. » Es kämen zwar viele Leute, um etwas zu entsorgen. Aber genau so viele, um etwas mitzunehmen.

Die Mitarbeiter haben für diese Zwecke einen Stöbertisch und eine Bücherecke eingerichtet. Auf den Regalen stehen Titel wie « Liebesnächte in der Taiga » , « Mit Skalpell und Lippenstift « , « Wenn die Sonne scheint » .

Auch ein Fremdwörterbuch, ein Duden und ein Buch für Geistheilung stehen da. Es herrscht reger Betrieb. Manche Leute kämen täglich, sogar mehrmals. Egger deutet auf eine Frau mit einer türkisfarbenen Mütze, die gerade eine Crushed-Ice-Maschine auf dem Störbertisch untersucht. « Sie ist heute bestimmt schon das dritte Mal hier. »

Man kennt sich – aber nicht mit Namen. So werden welche erfunden. Egger deutet auf eine Frau, die gerade mit einem Buggy unter dem Arm verschwindet. « Wir nennen sie Chantal. Sie hat keine Kinder, aber es ist bestimmt schon der dreissigste Kinderwagen, den sie mitnimmt. »

Ein Mann wühlt in der Mulde mit Grubengut und holt ein paar bunte Murmeln heraus. « Für meine Enkel » , murmelt er. Auch dieser Herr komme täglich, weiss Egger. «I ch sehe den Leuten schon am Schritt an, was sie hier wollen » , sagt er. « Etwas mitnehmen oder etwas entsorgen. »

Ein Mann kommt mit Papier und Karton. Warum er die Ware nicht einfach auf die Strasse stellt und abholen lässt? «Dann muss ich immer genau schauen, wann die Abfuhr kommt», sagt er. «Ausserdem bin ich nicht gut im Papierbündeln. Dass ich die Zeitungen hier einfach lose entsorgen kann, kommt mir entgegen.»

Eine Familie mit Veloanhänger fährt heran. «Sehen Sie», sagt Egger. «Ein richtiger Familienausflug.» Kretschmann läuft zu einer Frau hin, die gerade davongehen will. «Ihre Skis müssen sie wieder mitnehmen», sagt er. «Die können Sie hier nicht entsorgen.» Es komme oft vor, dass Zeug einfach illegal entsorgt werde. «Wir sehen auch nicht immer alles.»

Niels Kretschmann geht in die Baracke, die am Rande der Sammelstelle steht. Hier ist ein kleines Büro: ein Tisch, zwei Stühle, ein Kühlschrank. Es ist warm. Die Sammelstellen-Mitarbeiter nehmen manchmal auch Sachen entgegen, die man eigentlich nicht offiziell hier entsorgen kann, aber für die sie Abnehmer haben. Kerzenwachs konnte man hier beispielsweise jahrelang deponieren – für das Ustermer Werkheim. «Doch nun wollen sie das Wachs nicht mehr.»

Kretschmann freut sich auf die neue Sammelstelle. «Dann haben wir hoffentlich auch ein grösseres Büro.» Egger hingegen ist das egal. «Bis dahin bin ich sowieso pensioniert.»

Eine neue Sammelstelle
Die Hauptsammelstelle an der Dammstrasse stösst seit längerem an ihre Kapazitätsgrenze. Sie ist auf 25’500 Einwohnerinnen und Einwohner ausgelegt – doch Uster hat die 34’000er-Marke geknackt. Die Stadt plant nun hinter der Aldi-Filiale neben den Bahngleisen im Loren-Gebiet eine neue Sammelstelle. Dort soll auch Plastik entsorgt werden können. Die Sammelstelle soll voraussichtlich 2024 eröffnet werden. Eine Motion von BDP-Gemeinderat Ivo Koller, die Sammelstelle zwei Jahre früher aufzumachen, lehnte der Gemeinderat ab.

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