Er ist jetzt auch Marco Odermatt
Spezieller WM-Einsatz für Oberländer Ex-Profi
So eine strenge Woche hat Gilles Roulin aus Grüningen nicht einmal als Spitzensportler erlebt. Was der 30-Jährige an der Ski-WM in Saalbach absolviert, ist wohl einmalig.
Es klingt ganz verrückt: Gilles Roulin nimmt in der Saison nach seinem Rücktritt noch einmal an Weltmeisterschaften teil. Im Gegensatz zu seiner Aktivzeit weiss er jetzt schon, dass er sich seinen Startplatz nicht erst in der teaminternen Qualifikation erkämpfen muss. Und Roulins Programm ist viel härter als dasjenige eines normalen Abfahrers. Er absolviert nämlich das doppelte Pensum: je drei Trainings und das Rennen. Bei den Männern – und bei den Frauen.
Roulin fährt nicht als Roulin. Sondern beispielsweise als Marco Odermatt, Lindsey Vonn, Dominik Paris, Sofia Goggia, Justin Murisier, Cornelia Hütter. Er verkörpert quasi die Crème de la Crème des Abfahrtssports – bei beiden Geschlechtern. Und es geht für ihn nicht um Hundertstel und Resultate. Sondern um ein besonderes Projekt.
Eine andere Perspektive
Roulin schlüpft in eine Rolle, die man irgendwo zwischen Schauspieler und Kameramann ansiedeln könnte. Das Resultat wird in den Kinos und auf einer Streamingplattform zu sehen sein, voraussichtlich im Oktober erscheint der Dokumentarfilm mit dem Titel «Downhill Skiers – Ainʼt no Mountain Steep Enough». Roulin liefert dazu die Actionaufnahmen aus der Fahrerperspektive.
Schon an den Weltcup-Stationen Bormio, Wengen und Kitzbühel stand der 30-Jährige im Einsatz. Letzten Frühling wurde Roulin dafür vom österreichischen Produktionsteam angefragt und sagte unter anderem auch deshalb zu, weil er es als «schöne Möglichkeit» sieht, «noch einmal dabei zu sein und den Weltcup noch aus einer anderen Perspektive zu erleben».
Vier Kameras zeichnen die Actionbilder auf – eine auf dem Helm, eine auf der Brust und je eine nach vorn und nach hinten am Skischuh. Und er trägt je nach Athletin oder Athlet einen anderen Rennanzug, andere Handschuhe – und hat eine andere Skimarke an den Füssen.

Letzteres sei «irrsinnig spannend», sagt Roulin, der seine gesamte Weltcup-Karriere mit demselben Ausrüster bestritten hat. «Ich weiss nicht, ob das jemand schon einmal so machen konnte.» Die Unterschiede seien gross, «und wenn es um einzelne Hundertstelsekunden ginge, wäre das schon sehr herausfordernd. Aber so geht es zum Fahren sehr gut.»
Die Automatismen kommen zurück
Etwas Angewöhnungszeit brauchte Roulin. Der erste Filmtag in Bormio war sein zweiter Skitag nach dem Rücktritt. Seine körperliche Fitness war nicht das Problem, «es war mir ohnehin wichtig, nach der Karriere dranzubleiben. Es ist einfacher, fit zu bleiben, als reaktiv zu sein.»
Seine grössten Bedenken waren skifahrerischer Natur. «Ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch herunterfahren kann.» Unterdessen weiss er: Es geht. Und es geht mit jeder Fahrt besser. «Die Automatismen kommen langsam zurück. Es wird immer sportlicher – und das macht Spass.»
Komplett im Rennmodus absolviert Roulin seine Fahrten nicht – «ich mache das nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen», sagt er. Und es geht auch nicht darum, die Protagonisten punkto Rennlinie oder Fahrstil zu kopieren. «Ich fahre so, wie ich glaube, dass es am schnellsten geht. So sportlich wie möglich eben.» Dafür aber auch etwas entspannter als früher – denn Leistungsdruck hat er keinen.
Das «Comeback» ist nur temporär
Dass er ausgerechnet in Bormio, wo im Dezember 2023 erste Rücktrittsgedanken aufkamen, sein «Comeback» feierte, passt zu dieser speziellen Geschichte. Roulin macht es Spass, auf diese Weise noch einmal im Skizirkus dabei zu sein.
Seinen Rücktrittsentscheid hinterfragt er deshalb nicht, «es war gut so, wie ich es gemacht habe». Und er sieht sich selber auch nicht auf nachträglicher Abschiedstour, sondern freut sich darüber, die Atmosphäre anders zu erleben als zu seiner aktiven Zeit – auch bewusster. «Es ist sehr schön zurückzukommen, weil es eigentlich eine grosse Familie ist – und alle das gleiche Mindset haben. Wenn man noch dabei ist, nimmt man das gar nicht so wahr.»

Nach der Männer-Abfahrt vom Sonntag ist Roulins temporäres «Comeback» vorbei. «Es war cool, und ich habe es sehr genossen», sagt der Grüninger. Bisher hat er noch keine weiteren Anfragen für ähnliche Projekte erhalten. «Ich rechne nicht damit, dass es eine Regelmässigkeit annimmt», sagt er.
Sein beruflicher Weg dürfte ihn also eher weniger ins Filmbusiness führen, sondern vorerst ab April als Juristen ans Bezirksgericht Hinwil. Und daneben ist er unternehmerisch tätig. Zusammen mit Ex-Teamkollege Ralph Weber führt Roulin eine Firma, die Dienstleistungen im E-Commerce-Bereich anbietet. «Es ist gut angelaufen», sagt der Grüninger. Langweilig wird es ihm auch ohne Skizirkus bestimmt nicht.