«Einsame Menschen fühlen sich an den Festtagen oft noch einsamer»
Laut einer Studie der Migros bezüglich Einsamkeit fühlt sich jede dritte Person in der Schweiz manchmal bis sehr oft alleine. 18 Prozent der Befragten geben an, in letzter Zeit die Wochenenden alleine verbracht zu haben, 13 Prozent erwarten, an Weihnachten alleine zu sein.
«Den Heiligabend und die Weihnachtstage verbinden wir mit dem Bedürfnis nach Wärme und Gemeinschaft», sagt Thomas Gottschall, Pfarrer der Reformierten Kirche Rüti. «Einsame Menschen fühlen sich an den Festtagen oft noch einsamer.»
Genau darum schaffe man mit dem Angebot der «offenen Weihnachten» eine Veranstaltung, bei der man im gemeinschaftlichen Kreis die Festtage feiern könne. Dieses Angebot gibt es beispielsweise in Rüti, Uster, Bauma und Wald. In Wetzikon wurde die offene Weihnachtsfeier wegen der aktuellen Pandemielage kurzfristig abgesagt.
Alle sind willkommen
Das Programm der gemeinsamen Weihnachtsfeier sieht dabei an den meisten Orten etwa gleich aus. So findet oftmals ein Apéro mit Essen, eine kurze Besinnung durch den Pfarrer und das Erzählen einer Weihnachtsgeschichte in einer festlich dekorierten Umgebung mit Weihnachtsbaum statt. Und nicht zu vergessen: Die Gemeinschaft und der gemütliche Austausch.
Regula Zurbuchen vom Kirchengemeinde-Sekretariat Wald sagt: «In der Regel besuchen die Weihnachtsfeier alleinstehende Personen und Senioren.» Es seien aber auch Paare dabei, die anstatt in vertrauter Zweisamkeit lieber in der Gemeinschaft feiern wollen.
Gottschall ergänzt, dass die meisten der Besucher in die Kategorie über 60 einzuordnen seien, das Angebot aber auch von Menschen zwischen 40 und 60 genutzt werde. «Jugendliche nehmen selten bis nie an den Feiern teil.»

Einig sind sich beide in einem Punkt: Alle sind willkommen, unabhängig von Alter, Konfession oder kulturellem Hintergrund.
2G Dilemma für Kirchen
An den «offenen Weihnachten» gilt 2G. Zurbuchen erwähnt die dadurch entstehende schwierige Situation durch das Selbstverständnis der Kirche: «Wir wollen für alle da sein und niemanden ausschliessen.» Dies sei allerdings wegen den aktuellen Bestimmungen schwierig.
«Wir wollen kein Ort sein, an dem die Menschen sich nicht sicher fühlen und haben eine Verantwortung gegenüber unseren Besuchern und Besucherinnen, ihre Gesundheit zu schützen», sagt Gottschall. Allerdings gebe es neben der physischen auch die seelische Gesundheit.
«Und genau da stehen wir durch eine allfällige Ausgrenzung von Mitgliedern im Konflikt mit unseren Grundsätzen, für alle Menschen da zu sein, so wie es Jesus war.»
Weiter sagt Gottschall: «Wenn jemand nun wegen den aktuellen Massnahmen nicht am Weihnachtfest teilnehmen kann, soll mich diese Person doch anrufen, dann können wir vielleicht im kleinen Rahmen gemeinsam einen Kaffee trinken.»
Mehr Jugendliche betroffen
Aus der Studie der Migros geht weiter hervor, dass neben älteren Menschen vor allem Migrantinnen und Migranten sowie Jugendliche vom Gefühl der Einsamkeit betroffen sind. Je jünger die befragten Teilnehmer waren, desto häufiger haben sie angegeben, sich «eher oft» oder «sehr oft» einsam zu fühlen.
«Die Jugendlichen fühlen sich eher alleine gelassen, überfordert, isoliert und nicht unterstützt, dies ist aber ein generelles Problem seit der Pandemie und hat weniger etwas mit den kommenden Weihnachten zu tun.»
Natascha Rüede
Doch warum finden sich fast keine Jugendlichen an den «offenen Weihnachten»?
Natascha Rüede, Dienststellenleiterin der Jugendseelsorge Zürich, erklärt, dass die Jugendlichen in einer anderen Lebenswelt verkehren und sich darum auch die Einsamkeit anders auswirkt als bei älteren Menschen: «Die Jugendlichen fühlen sich eher alleine gelassen, überfordert, isoliert und nicht unterstützt. Dies ist aber ein generelles Problem seit der Pandemie und hat weniger etwas mit den kommenden Weihnachten zu tun.»
Weiter gehe es darum, dass die online Kontakte der Jugendlichen keinen Ersatz für reale Kontakte darstellen.
Während ältere Menschen sich tendenziell über geschenkte Zeit freuen würden, haben Jugendliche etwas andere Bedürfnisse, erklärt Rüede: «Die betroffenen Jugendlichen wünschen sich mehr Aufmerksamkeit und eine grössere Unterstützung im Alltag durch die Eltern, Lehrer und Lehrlingsverantwortlichen».

Allerdings gäbe es auch Parallelen zwischen Alt und Jung, denn Weihnachten führe auch bei Jugendlichen zu Enttäuschungen. Durch Film und Fernsehen werde das Bild einer heilen Welt und glücklichen Familie gezeichnet.
Rüede sagt: «Diese Welt existiert allerdings nicht bei allen Familien und daher erleben die betroffenen Jugendlichen und Kinder keine behüteten Weihnachten. Dies hinterlässt unter Umständen eine Enttäuschung und Leere, wie wir es von der älteren Generation kennen, welche Familie erlebt haben und diese in der Rückschau romantisieren.»