Ein letztes Mal feiern – dann fährt in Uster der Bagger ein
Festival der anderen Art
Das Hinterhalt-Festival verwandelt das historische Lenzlinger-Areal am Wochenende in einen kreativen Ausnahmezustand – danach wird das Gelände umgebaut.
Ein letztes Aufblühen vor dem Umbruch: Das diesjährige Hinterhalt-Festival findet zwischen den charmant verwitterten Hallen und Fabrikgassen des Lenzlinger-Areals in Niederuster statt. Kurz darauf beginnt der Rückbau – das Gelände wird Teil einer neuen Wohn- und Gewerbeüberbauung, die nach einem privaten Gestaltungsplan realisiert wird.
Eine Bühne auf Zeit mit Industrie-Chic
Rund 160 Jahre Industriegeschichte werden für ein Wochenende zur Kulisse für Kultur, Kunst und Begegnung: Auf rund 10’000 Quadratmetern, also knapp anderthalb Fussballfeldern, entsteht ein lebendiger Ort mit Klang, Theater und kreativen Impulsen.
Das Konzept der Festivalmacherinnen und -macher wurde im Januar mit dem Kunstpreis der Stadt Uster ausgezeichnet – und erfuhr damit grosses Lob: Das Team verwandelt vergessene Orte zu einzigartigen Bühnen für Kultur, Kunst und Gemeinschaft. 2023 etwa fand die dreitägige Feier im zauberhaften Ambiente des Friedhofs und im Gartenraum des Werkheims statt – ein Sommernachtstraum wie aus einem verwunschenen Märchen.




«Etwa ein Jahr nach einem Hinterhalt-Festival beginnt es jeweils zu kitzeln, und wir strecken die Fühler nach Orten aus, welche für eine neue Auflage infrage kommen könnten», beschreibt OK-Mitglied Lukas Roth den Beginn der Reise. Diesmal fiel sein Blick beim Fahrradfahren auf ein Baugespann an der Weiherallee – ein Hinweis auf Veränderung, aber auch auf eine besondere Möglichkeit.
Nur ein einziges Wochenende
Zwar wurde der Ort schon im Sommer 2024 entdeckt, doch erst Ende Jahr zeichnete sich ab: Der Zeitplan der Arealentwicklung lässt exakt ein Wochenende zu – und dieses passte zufälligerweise auch zu den Ressourcen der Festivalmacherinnen und -macher.
«Es ist ein ungeheures Glück, dass dieses Wochenende auch mit unseren ‹hinterhältigen› Kapazitäten harmonierte», sagt Roth mit einem Schmunzeln. «Dank dem Einverständnis und der Grosszügigkeit von Annette Lenzlinger und Jos Vandebroek wissen wir seit Januar, dass wir unser Konzept im Lenzlinger-Areal umsetzen dürfen.» Beide sind unter anderem Mitglied im Verwaltungsrat der Lenzlinger Söhne AG.
Seit dem definitiven Bescheid blieb dem Festivalteam nur ein halbes Jahr, um das spezielle Wochenende auf die Beine zu stellen – eine enorme Herausforderung.
Die Geschichte lebt zwischen den Mauern
Das Sagi-Areal blickt auf eine reiche Vergangenheit zurück: Vor 163 Jahren eröffnete die Familie Lenzlinger am Aabach in Niederuster einen Holzbaubetrieb mit Sägerei, der sich über die Zeit zu einer Produktionsstätte für System- und Doppelböden entwickelte.
Johann Joseph Lenzlinger baute südlich des Aabachs in Uster seine erste Werkstatt – der Grundstein für die heutige Lenzlinger Söhne AG. Nur drei Jahre später errichtete er nördlich des Aabachs einen «Schopf» mit neuen Werkstätten. Die Produktionshallen versprühen heute einen verwunschenen Industriecharme, der dem Festival eine ganz besondere Atmosphäre verleihen wird.

«Dieses Jahr bieten sich erstmals viele und besonders grosse Innenräume – eine spannende Wendung in unserer Festivalgeschichte», sagt Roth. Die Fabrikräume und Gassen laden zum Entdecken ein, die Piazza wird zum sozialen Mittelpunkt.
Gastroangebote, Musikprogramm, Performances, Kunst, Literatur und Filme sorgen für ein buntes Erlebnis, das den Ort für kurze Zeit in ein kulturelles Biotop verwandelt.
Rolldisco in der Fabrik
Eines der unzähligen Highlights im Programm könnte die Performance von Siselabonga am Freitagabend sein: westafrikanische Rhythmen, gepaart mit Elementen aus Hip-Hop, Soul und Elektro-Pop. Dies dürfte die eine oder andere Hüfte der Ustermerinnen und Ustermer zum Schwingen bringen, mit dem Schweizer Perkussionisten Fabio Meier und der südafrikanischen Singer-Songwriterin Nongoma am Mikrofon.
Offenherzig verpackt danach die Band Homemade Iscream einfache Alltagsprobleme in knackig-kritische Popsongs.
Zu später Stunde laden die Festivalmacherinnen und -macher in die Rolldisco ein – einfach alles, was rollt, umschnüren und die Kugellager sausen lassen. Denn auf Fabrikböden rolle es sich am besten.
Auch an zirkusartigen Performances soll es nicht fehlen: Im «Bestarium» wird das Haus zum lebendigen Wesen – einem Ort, an dem viele unterschiedliche Seelen miteinander leben. Aus einer alten Transportkiste tauchen seltsame Gestalten auf: Figuren, Fundstücke und Körperteile der Performerin Annina Mosimann erzählen Geschichten vom Leben auf engem Raum – und feiern das Haus und dessen Bewohner.
Direkt danach wird abgebaut
Keine 48 Stunden nach dem Festival ist Schluss: Die Gebäude an der Weiherallee werden abgerissen. Geplant sind zwei neue Mehrfamilienhäuser an der Seestrasse und der Weiherallee – als Teil des privaten Gestaltungsplans, den die Stadt Uster und der Kanton bereits 2013 genehmigt haben.
Verwaltungsratsmitglied Annette Lenzlinger gibt einen kleinen Ausblick zum Bauprojekt: «Die Überbauung wird mit 100 Wohnungen und 10 Gewerbeeinheiten geplant.» Zudem werde das Architekturbüro EM2N die Architektur gestalten – wie beim benachbarten Unternehmen Hesta Immobilien.

Auch bei der Immobilienfirma, der das Zellweger-Areal gehört, ist die Vorfreude gross: «Es wird ein wahnsinnig schöner Ort entstehen – mit einem Restaurant und einem schönen Übergang ins Zellweger-Areal.»
Rita Newnam, die Stadtplanerin von Uster, ergänzt: «Der Park ist sowieso eine Erfolgsstory für Uster – da wird das Sagi-Areal sicher eine gute Bereicherung werden.»
Für das Hinterhalt-Team passt dies fast zu seinem eigenen Konzept: «Eine Woche später wird am Ort des Geschehens schon eine Baustelle sein», sagt Roth. Doch genau das verleiht dem diesjährigen Festival seine besondere Dringlichkeit – ein temporäres Kunstwerk mitten im Puls einer Veränderung.
Das Programm des Hinterhalt-Festivals präsentiert sich hinterlistig vielseitig
Zwischen Rolldisco, Industrie-Chic, kraftvoller Musik, akrobatischen Events, Filmen, Literatur und Gaumenfreuden: Am besten ist es, man verschafft sich direkt im Festivalprogramm einen Überblick. (eru)