Ein «gmögiger» Fundamentalist zieht nach Bern
Neo-Nationalrat aus Bubikon
Der Wolfhauser EDU-Kantonsrat Erich Vontobel, 64, hat mit nur 9330 Stimmen den Einzug in den Nationalrat geschafft. Was bedeutet das? Eine Einordnung.
Wer die Türschwelle von Erich Vontobels Haus am Rande von Wolfhausen überschreitet, der wird mit einem Psalm begrüsst. «Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat», steht auf dem Querbalken im Eingangsbereich geschrieben.
Darunter steht der neu gewählte EDU-Nationalrat und lächelt freundlich. Er und seine Frau, so erzählt er, haben ihn anbringen lassen, als sie in den 1990er Jahren ihr Heim auf dem Land ihrer Eltern bauten. «Damit wir immer wissen, wem wir dafür zu danken haben.»
Gott, Christus, die Bibel: Das sind für den Vater dreier erwachsener Kinder nicht nur Begriffe und Konzepte. Vontobel nimmt es genau. Auch deshalb ist er 1987 der Freien Evangelischen Gemeinde Rüti beigetreten. «Weil es mich gestört hat, dass in der Reformierten Kirche immer von Bildern und Symbolen gesprochen wurde.»
Der Glaube ist sein höchstes Gut – und deshalb nicht verhandel- oder relativierbar. «Für mich zählt das geschriebene Wort», sagt Erich Vontobel.
Ist er also ein Fundamentalist? «Ich habe kein Problem mit dieser Bezeichnung. Jedes Haus hat ein Fundament, und je besser dieses ist, desto besser steht es. Die Bibel ist das Fundament meines Glaubens.»
Die Listenverbindung zum Glück
In der politischen Arena äussert sich diese Haltung vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen, bei denen Abtreibung, Sterbehilfe oder auch die Ehe für alle dezidiert abgelehnt werden.
Es sind Positionen, mit denen man im Jahr 2023 in der Schweiz keine Mehrheiten mehr findet – und dank der richtigen Taktik dennoch Nationalrat werden kann. Das hat Erich Vontobel im November bewiesen.
Die rechtskonservative EDU hat im Kanton Zürich mit 1,5 Prozent Wähleranteil ihr schwächstes Resultat seit 1987 eingefahren. Doch die Listenverbindungen mit den Massnahmenkritikern von Mass-voll, Aufrecht und den Schweizer Demokraten haben ihr – und damit ihm als Spitzenkandidaten – zum Sitzgewinn verholfen.
Ein EDU-Nationalrat aus dem Kanton Zürich? Wäre es nach dem neuen EDU-Nationalrat Erich Vontobel gegangen, gäbe es ihn heute nicht.
Die Kleinpartei hatte bei den Kantonsratswahlen im März mit 1,89 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 24 Jahren eingefahren, einen Sitz verloren und einzig im Bezirk Hinwil die zur Parlamentsvertretung notwendige 5-Prozent-Hürde genommen.
Das hat Erich Vontobel als einen von nur drei verbliebenen Vertretern «hässig» gemacht. Er sagt: «In gewissen Bezirken, hatten wir schlicht zu wenig gemacht, unser Potenzial wäre viel grösser. Das störte mich.»
Statt auf Angriff zu schalten, plädierte der 64-Jährige dafür, zuerst die Hausaufgaben zu machen, die Nationalratswahlen im Herbst ausfallen zu lassen und den Fokus auf die kantonalen Wahlen 2027 zu legen.
Es war Vontobels Glück, dass seine Partei das anders sah. Statt zu verzichten, spannte sie ihn als Spitzenkandidaten vor den Karren und beschloss, es dieses Mal nicht mit der Listenverbindung mit der SVP, sondern mit anderen Kleinparteien zu versuchen. Eine Strategie, die bereits 2004 einmal aufgegangen war und der EDU zwischenzeitlich den bis heute einzigen Zürcher Nationalratssitz beschert hatte.
Das Kalkül ging auf. Die Verbindung mit den neu formierten massnahmenkritischen Parteien und den Rechtsaussen von den Schweizer Demokraten holte 3,2 Prozent der Stimmen, was für einen Sitz reichte. Dieser ging dank 1,49 Prozent Wähleranteil an die EDU und damit an ihren Spitzenkandidaten Erich Vontobel, der mit 9390 Stimmen am besten abgeschnitten hatte.
Er wird dort gemeinsam mit dem zweiten EDU-Nationalrat, Andreas Gafner aus dem Kanton Bern als Teil der SVP-EDU-Fraktion politisieren.(mmu)
«Ich wusste nicht, ob das aufgeht», gesteht Vontobel – und beantwortet die Folgefrage noch bevor sie gestellt werden kann: «Ja, ich war wegen der Berichterstattung über den Mass-voll-Chef Nicolas Rimoldi skeptisch.»
Das exzentrische Auftreten und die Geschichten rund um den Besuch der Identitären-Demonstration in Wien und Adolf Hitlers Geburtsort hatten Vontobel gar nicht gepasst. Weil er aber noch nie mit Rimoldi gesprochen hatte, nahm er am Abend vor der Entscheidung über die Listenverbindung den Telefonhörer zur Hand und befragte ihn. «Dabei konnte er meine Bedenken so weit zerstreuen, dass sie für mich möglich war.»
Obschon Erich Vontobel findet, dass es den heftig umstrittenen Rimoldi «als einen von 200 Vertretern schon vertragen» hätte, dürfte man im Politbetrieb von links bis rechts erleichtert sein, dass stattdessen die etablierte Klein-Partei EDU zum Zuge gekommen ist. Bei ihr weiss man, was man zu erwarten hat.
Stramm rechts, aber …
Ähnliches kann man freilich über ihren neuen Nationalrat sagen, der am Montag vereidigt wird. Elf Jahre lang hatte der IT-Projektleiter als Teil im Kantonsrat gesessen, ehe er nun seinen Sitz an den Wetziker Parteikollegen Roger Cadonau abgegeben hat. Vontobel ist wahrlich kein unbeschriebenes Blatt.
Von 2012 bis 2015 nahm er in der Kommission für Staat und Gemeinden Einsitz, zwischen 2015 und 2019 führte er die EDU-Fraktion, die sich anschliessend wegen zu geringer Grösse mit der SVP zusammenschloss.
In dieser Zeit hat er sich in Migrations-, Religions- und Gender-Themen stramm rechts positioniert. Berührungsängste mit den anderen Parteien hat er aber nicht. Wenn es etwa um Sonntagsverkäufe oder wahlpolitische Anliegen von Kleinparteien geht, sind er und seine EDU durchaus bereit, mit Parteien aus der poltitischen Mitte oder gar der Linken gemeinsame Sache zu machen.

In seiner eigenen Vita stehen fünf initiierte Vorstösse und ein Berg von Anfragen. Insbesondere im Zusammenhang mit den Corona-Massnahmen und der Covid-Impfung hat sich Vontobel in den letzten drei Jahren oft kritisch beim Regierungsrat erkundigt. Eine Haltung, die seinen leer ausgegangen Listenpartnern wichtig sein dürfte.
Vontobel insistiert denn auch, dass für ihn die Angelegenheit noch nicht erledigt ist: «Diese Pandemie war ein Ereignis mit historischen Dimensionen. Dementsprechend muss es wie beim Bergier-Bericht zu den nachrichtenlosen Vermögen aus dem Zweiten Weltkrieg durch eine wissenschaftliche Kommission untersucht werden. Dafür werde ich mich vehement einsetzen.»
Beim «Marsch fürs Läbe» wirds emotional
Ein weiterer Punkt, den sich Erich Vontobel auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Erhaltung der Meinungsäusserungsfreiheit. Es ist ein Thema, von dem er sich persönlich betroffen fühlt.
So genoss er zwar im September zwar als Redner am «Marsch fürs Läbe» in Zürich – einer öffentlichen Veranstaltung von Abtreibungsgegnern – den grossen Zuspruch der Anwesenden. Doch stattfinden konnte die Demonstration nur mit einem grossen Polizeiaufgebot, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Gegendemonstrierenden schützte.
Politisch ist mir von ihm wenig in Erinnerung geblieben.
EVP-Kantonsrat Markus Schaaf
Darauf angesprochen, wird der sehr zuvorkommende und wohltemperiert sprechende Vontobel emotional. «Dass eine friedliche Kundgebung wie unsere nur mit Polizeischutz möglich ist, das kann doch kein Zustand sein.»
Generell fühle er sich als Gläubiger oft diskriminiert: «Alle sprechen immer von Abtreibung und Sterbehilfe. Wieso zitiert man uns denn nicht mit dem, was wir sagen? Nämlich, dass wir das Leben von der Zeugung bis zum Tod schützen wollen?»
Wenig in Erinnerung geblieben
Ebendiesen Leitsatz hat auch Brigitte Röösli zu hören bekommen, als sie im Sommer 2022 in einer TV-Debatte über die Sterbehilfe in Pflegeheimen mit Vontobel diskutierte. Die Gesellschaftsvorsteherin von Illnau-Effretikon sagt: «Er ist wirklich ein ‹gmögiger› Typ, der seinen Glauben über alles stellt.»
Diese relativ triviale Feststellung mag insofern bemerkenswert anmuten, als dass man die gesellschaftlich progressive SP-Kantonsrätin als eine natürliche politische Gegnerin bezeichnen kann. Doch Röösli lässt durchblicken, dass sie Vontobel als Politiker nicht als Gefahr empfindet.
«Ich habe ihn im Kantonsrat nicht als prägende Kraft wahrgenommen. Und deshalb denke ich auch nicht, dass er im Nationalrat zur prägenden Kraft wird», sagt sie.

Ähnlich klingt es bei Kantonsrat Markus Schaaf. Der Zeller ist Fraktionschef der EVP, der zweiten Partei im Land, die die christlichen Werte ins Zentrum ihrer Politik stellt. Zwischen 2017 und 2019 hat er mit Erich Vontobel, der damals die EDU-Fraktion führte, in der Geschäftsleitung des Kantonsrats gesessen.
Er sagt: «Ich mag ihn menschlich gut. Politisch ist mir von ihm aber wenig in Erinnerung geblieben – weder im Positiven, noch im Negativen.» Dass Vontobel in Bern bezüglich der gemeinsamen Grundwerte viel ausrichten werde, glaubt er nicht.
«Die EDU und die EVP positionieren sich unterschiedlich. Das beginnt schon beim ‹E› im Namen: Ihres steht für ‹Eidgenössisch›, unseres für ‹Evangelisch›», erklärt Schaaf. Und schiebt nach: «Vontobel wird im Nationalrat der SVP als Teil ihrer Fraktion eine verlässliche Stimme liefern.»
Zwischen belustigt und irritiert
Wie dem auch sei, für Erich Vontobel beginnt nun noch einmal ein neues Abenteuer, auf das er sich sichtlich freut. Im März wird er zudem pensioniert. Das wiederum erlaubt es ihm, sich in Ruhe in die Materie zu vertiefen – etwas, das ihm als Kantonsrat zeitlich stets Mühe bereit hat.
Aktuell ist er dabei, sich einen Überblick zu verschaffen und die neuen Gegebenheiten kennenzulernen. Die Welt in Bundesbern hat offenbar eine andere Dimension als diejenige in Zürich.
Als neu gewählter Nationalrat, das hat er schnell gemerkt, ist er ein gefragter Mann. Mit einem Lächeln, irgendwo zwischen belustigt und irritiert, zeigt er die Schreiben, die er bereits von Verbänden und Firmen bekommen hat. «Dazu kommen noch Bewerbungen von Leuten, die sich für eine politische Mitarbeit interessieren», schiebt er nach.
Was er denn nun damit konkret machen wird? «Ich werde zuerst einmal ankommen müssen», sagt er. Und: «Alles weitere wird sich dann ergeben.»
So Gott will, ist man versucht anzufügen.