Ein Dorfkern mit Charme und viel Geschichte
In Wangen ist die Welt noch in Ordnung. Frische rote Geranien schmücken den Dorfbrunnen. Das Wasser plätschert friedlich vor sich hin. Gleich nebenan auf der Terrasse des traditionsreichen Gasthofs Sternen bereitet eine Angestellte im Sonnenschein die Tische für die ersten Gäste vor.
Ein starker Kontrast zur Szene, die sich nur einige hundert Meter entfernt abspielt. Dort nämlich brettern die Autos über die A 15. Dahinter beginnt das mehrheit lich graue Areal des Flugplatzes Dübendorf.
In Wangen selbst fahren die Autos seit einigen Jahren im Schritttempo. 2017 wurde der Dorfplatz komplett saniert und verkehrsberuhigt.
«Der Dorfkern macht den Charme von Wangen aus», sagt Gemeindepräsidentin Marlis Dürst, während sie im mit viel Holz aus gestatteten Mehrzwecksaal des zentral gelegenen Schurterhauses sitzt.
Sie selbst ist in Wangen aufgewachsen, wohnt immer noch im Ort und kennt dessen Entwicklung in den letzten Jahren gut. Die Verkehrsberuhigung würden zwar bis heute nicht alle gutheissen, gibt Dürst zu, sie finde es jedoch schön, dass es wieder eine Begegnungszone gebe.
Erhaltung des historischen Charakters
Ein belebter Dorfkern ist ein Ziel, für das sich nicht nur die Gemeindepräsidentin, sondern auch die ganze Gemeinde einsetzt. Eine spezielle Würdigung «des ländlichen Wangen mit seinem lebendigen und gepflegten Dorfkern» ist auch im Leitbild der Gemeinde Wangen-Brüttisellen enthalten.
Einerseits tragen Kernzonenpläne, die genau festhalten, welche Veränderungen an den bestehenden Gebäuden erlaubt sind, zur Erhaltung des historischen Charakters bei, andererseits sucht die Gemeinde gemeinsam mit der Bevölkerung nach Ideen, wie der Ort attraktiver gestaltet werden kann.
Diese Attraktivität steigern soll auch die konzeptuelle Weiterentwicklung des Schurterhauses, in dem sich heute ein Mehrzweckraum, mehrere Wohnungen, eine Spielgruppe und ein Nähatelier befinden.
Das um 1700 errichtete Bauernhaus bildet gewissermassen den Kern des Dorfkerns von Wangen und wurde zu einem Treffpunkt, in dem sich unter anderen der Männerchor, Seniorengruppen zum Turnen oder manchmal auch der Gemeinderat zu einer Sitzung treffen.
«Wangen ist eigentlich ein Grenzdorf»
Direkt neben dem «Sternen» gelegen, steht das Schurterhaus auch für die baukulturelle Geschichte des Orts. Viele der bis heute im Ort erhaltenen Häuser sind im Fachwerkstil gebaut. Gut erkennbar durch die typischen Riegel verströmen sie einen urchigen Charme. Sie gelten ausserdem als schützenswert – so, wie der gesamte Dorfkern.
Wieso in Wangen Riegelhäuser und nicht die im Zürcher Oberland eigentlich weitverbreiteten Flarzhäuser stehen, weiss Dorfchronist Albert Grimm, der sich ausführlich mit der Geschichte von Wangen-Brüttisellen befasst hat.
«Wangen ist eigentlich ein Grenzdorf, die Einflüsse vom Zürcher Unterland und vom Zürcher Oberland treffen hier aufeinander.» Das sei nicht nur beim Baustil, sondern auch bei der Sprache so.
Die Grenze der beiden Regionen verlaufe sogar mitten durch die Gemeinde. Während Brüttisellen ein Strassendorf im Unterland sei, das früh auch von der Industrie geprägt gewesen sei und sich als Angestellten und Arbei terdorf entwickelt habe, sei Wangen seit je ein Bauerndorf. Heute erweitert durch stattliche Einfamilienhäuser am Hang.
Schurterhaus als Treffpunkt
Nicht alle Häuser wurden jedoch von Beginn an im Fachwerkstil gebaut. Das Schurterhaus war ursprünglich ein sogenannter Bohlenständerbau, eine typische Bauform für Kleinbauernhäuser. Erst im 19. Jahrhundert wurde es umgebaut und erhielt jene Fassade, die es bis heute trägt. Die roten Riegel stechen dabei sofort ins Auge, aber auch weitere typische Bauernhauselemente sind noch erkennbar.
So gibt es einen Vorbau, in dem sich damals wohl der Zugang zum Stall befand und heute das Nähatelier eingerichtet ist, oder massive Holztore auf der Rückseite, die früher den Zugang mit grossen Wagen ermöglichten.
Besonders auffällig ist der typische Bauerngarten, der sich vor dem Bau des Parkplatzes noch viel weiter zur Strasse hin er streckte. Heute spendet ein grosser Quittenbaum einer Sitzbank im sorgfältig gepflegten Garten Schatten.
Seine ausserordentliche Bedeutung für den Ort erhielt das Schurterhaus erst 1876. «Damals richtete der Lehrer Johannes Schurter in seinem Wohnhaus ein einfaches Postlokal ein», erzählt Dorfchronist Grimm. Knapp 30 Jahre später zog die Post dann wieder aus. Um das Schurterhaus wurde es ruhiger.
Die Post kehrt zurück
Erst als die Gemeinde das Haus 1946 kaufte, machte man sich wieder Gedanken um das altehrwürdige Gebäude. «Man kaufte es vermutlich, weil es keine öffentlichen Räume gab», meint Gemeindepräsidentin Dürst. Bis zur Sanierung dauerte es dann aber nochmals über ein Vierteljahrhundert. Dann kam Bewegung in die Sache.
«Das Haus stand vor dem Zerfall», sagt Albert Grimm rückblickend, «man wusste, dass man es renovieren musste.» Besonders herausfordernd bei der Sanierung war die Erhaltung der historischen Bausubstanz. Während das Schurterhaus innen quasi ausgehöhlt wurde, sollte die Fassade erhalten bleiben.
Ursprünglich war mit dem Umbau auch ein Ortsmuseum geplant, dieses wurde aber ebenso weggelassen wie ein Feuerwehr lokal. Dafür zog nach Abschluss der Arbeiten 1983 die Post wieder ins Schurterhaus ein. 2017 entschied sich die Post dann zur endgültigen Schliessung der Filiale. Die Räumlichkeiten der Post und die Postfächer sind nach wie vor im Originalzustand erhalten.
Der Auszug der Post veranlasste die Gemeinde, wiederum nach neuen Nutzungsmöglichkeiten für das Schurterhaus zu suchen. Das Projekt liegt derzeit allerdings auf Eis, weshalb noch für die nächsten Jahre verschiedene Zwischennutzungen vorgesehen sind.
Schon mehrere Ausstellungen haben inzwischen in den ehemaligen Posträumlichkeiten stattgefunden, Jugendliche haben Events durchgeführt, und seit Kurzem gibt es das sogenannte Zukunftbureau, das als Anlaufstelle für die Realisierung von Ideen und Projekten aller Art dienen soll.
Anschliessend an diese Phase möchte die Gemeinde das Konzept für die öffentlichen Räume ausgearbeitet haben. Möglich sind Ateliers oder Ausstellungsräume. «Besonders häufig wurde von der Bevölkerung die Idee eines Cafés eingebracht», sagt Marlis Dürst und fügt lachend an: «Oder zumindest der Wunsch nach einer Kaffeemaschine.»