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Politik

Effretiker und Greifenseer Patienten stehen vor geschlossenen Türen

Zahlreiche Hausärzte haben sich der Praxiskette «​​​​​​​Mein Arzt» angeschlossen. Degen den Inhaber laufen Ermittlungen wegen Verdachts auf Betrug. Geschädigt sind auch Patienten in Effretikon und Greifensee.

Weil gegen den Inhaber des Hausarztpraxen-Netzes ermittelt wird, sind zurzeit einige Arztpraxen zu., Die Rede war auch von ausbleibenden Medikamenten-Lieferungen.

Archivfoto: André Gutzwiller

Effretiker und Greifenseer Patienten stehen vor geschlossenen Türen

Geht ein Hausarzt in Pension, bekundet er oftmals Mühe, einen Nachfolger zu finden. Diesem Problem entgegenwirken wollte die Mein Arzt GmbH mit einem vermeintlich innovativen Geschäftsmodell. Das Unternehmen übernahm nach und nach Praxen pensionierter Hausärzte. Dann stellte die Firma Ärztinnen und Ärzte an und kümmerte sich um Administration und Medikamentenbeschaffung. Zu diesem Label gehören auch eine Praxis in Effretikon und eine in Greifensee.

Streit und Kündigungen

Letzte Woche dann der Knall. Am Freitag wurde der Inhaber der Meine Arzt GmbH in Italien verhaftet. Gegen ihn läuft eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts auf Vermögensdelikte, wie die SRF-Sendung «Rundschau» publik machte (siehe Box).

Eskaliert ist die Situation offenbar schon im August. Wegen Zahlungsschwierigkeiten warteten Vermieter von Praxisräumen vergeblich auf ihre Mieten, Medikamenten-Lieferanten auf ihre Zahlungen und viele Mitarbeitenden auf ihre Löhne. Dies hatte offenbar zur Folge, dass zahlreiche Mitarbeiter aus Frust kündigten.

Von den Swingern zu den Hausärzten

Unter dem Firmennamen Mein Arzt GmbH hat ein österreichischer Geschäftsmann ein umfassendes Netzwerk an Hausarzt-Praxen aufgebaut. Rund 30 Hausarztpraxen in der Schweiz hat das Unternehmen bereits inkludiert. Über 500 Praxen oder noch mehr hatte er geplant zu übernehmen.

Gegen den Firmeninhaber und Geschäftsführer hat die Staatsanwaltschaft Zürich kürzlich eine Strafuntersuchung eingeleitet. Dies, nachdem verschiedene Ärzte und Lieferanten ihm unsaubere Methoden vorgeworfen haben. Er mache etwa falsche Versprechungen und bezahle Rechnungen nicht.

Dabei soll es auch um Covid-19-Kredite im Umfang von rund 5 Millionen Franken gehen, die der Inhaber zu Unrecht bei einer Schweizer Bank beantragt haben soll. Seine Bankkonti wurden eingefroren. Der Österreicher soll in die Schweiz überstellt werden. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.  Über den Mann ist wenig bekannt. Bevor er sich ab 2018 in der Schweiz dem Projekt « Mein Arzt » widmete, soll er unter anderem als Personalvermittler sowie als Geschäftsführer eines Swingerclubs tätig gewesen sein. (mhu)

In den betroffenen Arztpraxen herrschen deswegen chaotische Zustände. Mehrere Ärzte berichteten von fehlenden, aber dringend benötigten Medikamenten. Solche müssten die Patienten dann erst in der Apotheke abholen, bevor sie in der Praxis verabreicht werden.

Vor verschlossenen Türen

Viele der rund 30 Mein-Arzt-Praxen sind mittlerweile entweder geschlossen oder machen Ferien. Vor verschlossener Türe steht man auch vor der Hausarztpraxis an der Rikonerstrasse 18 im Effretiker Zentrum. Ein am Eingang angebrachtes Blatt Papier weist darauf hin, dass die Praxis «aus betrieblichen Gründen» geschlossen bleibt. Für Notfälle solle man sich an das Ärztefon wenden.

«Das ist wahnsinnig», sagt ein Effretiker, der seit 20 Jahren Patient in dieser Praxis ist. «Jetzt stehen die Patienten vor dem nichts», sagt er. Arztbesuche seien nicht mehr möglich, Patientenakten nicht mehr erhältlich und weder die Praxis in Effretikon noch der Hauptsitz vom Mein Arzt Schweiz in Opfikon physisch oder telefonisch erreichbar. Tatsächlich meldet sich unter der angegebenen Nummer niemand.

«Viele Patienten sind aufgrund dieser skurrilen Situation verunsichert.»

Betroffener aus Effretikon

Der Effretiker hat die Entwicklung «seiner» Praxis in den letzten Monaten hautnah mitbekommen. Seitdem diese am 1. Januar 2020 von der Mein Arzt GmbH übernommen wurde, herrsche dort Chaos. Der Effretiker berichtet von  « ständig verschobenen Terminen , « Verständigungsschwierigkeiten mit ausländischen Ärzten  und zwei Arztwechseln innert kurzer Zeit ».

Erst vor einigen Tagen habe er auf Nachfrage von einer Arzthelferin erfahren, dass der neue Arzt die Praxis bereits wieder verlassen habe. Direkt informiert worden seien die Patienten nicht. «Viele Patienten sind aufgrund dieser skurrilen Situation verunsichert», sagt er.

Gemeinden verweisen auf Kanton

Auf der Illnau-Effretiker Verwaltung ist der Fall bekannt. Gemäss Stadtschreiber Peter Wettstein haben sich zuletzt einige ehemalige Patientinnen und Patienten der besagten Praxis danach erkundigt, wie sie nun an ihre Patientendossiers kommen.

Aufgrund der Vorfälle geschlossen ist derzeit auch die Praxis im Greifenseer Müllerwis-Quartier. Unter der angegebenen Telefonnummer ist niemand erreichbar. Auf Anfrage heisst es auf der Gemeindeverwaltung jedoch, dass sich bislang keine betroffenen Patienten gemeldet hätten.

Abklärungen laufen

Die Gemeinden verweisen in solchen Fällen auf die kantonale Gesundheitsdirektion. Ihr obliegt die Oberaufsicht über die Arztpraxen im Kanton.  Der Zürcher Gesundheitsdirektion sind fünf Praxen im Kanton bekannt, die zur Mein-Arzt-Kette gehört haben. «Alle fünf haben aufgrund der aktuellen Entwicklungen Schwierigkeiten. Wie es bei den einzelnen Praxen weitergeht, ist offen», sagt Mediensprecher Marcel Odermatt.

Wie viele Patienten betroffen sind und was geschädigte Personen tun können, um an ihre Krankenakten zu kommen, darüber kann Odermatt keine Angaben machen.  «Hier sind Abklärungen im Gange.» 

Der betroffene Effretiker hat mittlerweile einen neuen Hausarzt gefunden. Seine Akten sind aber noch immer bei der Mein Arzt GmbH – zusammen mit denen zahlreicher anderer betroffener Patienten. Was damit geschieht und ob die Geschädigten Zugang dazu erhalten ist zurzeit unklar.

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