Abo

Sport

Der seriöse Draufgänger mit dem guten Gefühl für den Ski

Stürze, Talent und Ambitionen: Der Bubiker Alessio Miggiano ist seit dieser Saison im B-Kader und Profirennfahrer.

Unerschrocken und risikofreudig: Alessio Miggiano im Europacup im französischen Orcières in der letzten Saison.

Foto: PD

Der seriöse Draufgänger mit dem guten Gefühl für den Ski

Bubiker Skirennfahrer Alessio Miggiano

Alessio Miggiano ist seit diesem Sommer Profi-Skirennfahrer. Der 21-Jährige hat gute Anlagen – aber ausgerechnet jetzt ist er verletzt.

Er nimmt es locker und mit Humor. Beim Interviewtermin in einer Cafeteria in Bubikon zeigt Alessio Miggiano auf dem Handy das Video seines Trainingssturzes, den er zwei Tage vorher in St. Moritz erlitt. «Es wird schon nichts sein», sagt er da noch – mit Schrammen im Gesicht.

Am selben Tag macht er in Zürich ein MRI. Und dieses ergibt: Der Meniskus ist gequetscht, das Kreuzband gezerrt, und er hat Knochenprellungen an Knie und Ferse erlitten.

Es hätte schlimmer sein können, aber ist eben auch nicht nichts. Vier bis sechs Wochen Pause lautet das Verdikt. Der Super-G zum Europacup-Saisonstart in Zinal am 7. Dezember kommt für ihn zu früh.

Miggiano hofft aber, bereits für die Rennen in Santa Caterina, wo vom 13. bis zum 15. Dezember zwei Abfahrten und ein Super-G geplant sind, bereit zu sein. Bedenken hat er keine, obwohl es die erste Verletzung seiner Karriere ist. «Ich glaube nicht, dass mich das beeinträchtigen wird», sagt er.

Seine Karriere ist von Stürzen geprägt

Das passt zu ihm. Denn Miggiano ist ein Draufgänger. «So war ich schon immer», sagt er. «Ich liebe das Adrenalin und mag es, ausserhalb der Komfortzone zu sein.» Er verhehlt nicht, dass seine Karriere von Stürzen geprägt war.

Verletzt hatte er sich bisher noch nie. «Ich war sicher nicht auf der unglücklichen Seite», sagt er. «Und ich profitiere wohl von einer guten Genetik, meine Bänder sind sehr beweglich.»

Es wäre falsch, Miggiano plakativ als Bruchpiloten zu bezeichnen, auch wenn er offen damit umgeht. Einen Namen will er sich mit seinen Leistungen machen.

Schliesslich hat der Speed-Spezialist auf diese Saison hin die Aufnahme ins B-Kader von Swiss-Ski geschafft (und die Stufe C-Kader übersprungen), weil er im letzten Europacup-Winter starke Leistungen zeigte. Ein 16. Abfahrts-Rang war sein Bestresultat.

Und doch kommt man um die Stürze nicht herum, wenn man seinen Werdegang erklären will. Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, als Miggiano in seinem ersten Super-G im Europacup in Zinal eine ganz enge Linie wählte, mit dem Arm bei einem Tor anhängte und sich mehrfach überschlug. Furchterregend sah das aus.

Miggiano blieb unverletzt – aber begann daraufhin, mit einem Mentaltrainer zusammenzuarbeiten. «Nun zähle ich das Mentale zu meinen Stärken», sagt er. Nicht, dass er vorher instabil gewesen wäre. Aber er sei «kopflos» gefahren. «Jetzt fahre ich bewusster und stehe deshalb auch mit einer viel grösseren Überzeugung am Berg.»

Was aber auch nicht heisst, dass er Risiken scheut. «Am Risikomanagement kann ich sicher noch arbeiten», sagt er augenzwinkernd. Und hängt lachend an: «Der letzte Sturz hatte aber nichts damit zu tun. Es war ein untypischer Sturz für mich. Einer, wie er eben passieren kann.»

Ein Draufgänger zu sein, ist eine positive Eigenschaft für einen Skirennfahrer.

Franz Heinzer

Trainer

Sein Trainer Franz Heinzer bestätigt das. Der Abfahrts-Weltmeister von 1991 ist für Miggiano der «mit Abstand beste Trainer, den ich je hatte».

Heinzer sagt, er erlebe Miggiano nicht als kopflosen Fahrer, sondern als «sehr seriösen Draufgänger. Und ein Draufgänger zu sein, ist eine positive Eigenschaft für einen Skirennfahrer.»

Er will den eigenen Weg gehen

Seit dem Abschluss seiner Ausbildung in diesem Sommer konzentriert sich Miggiano ausschliesslich auf den Sport. Dass der Bubiker sich dies leisten kann, ist nicht selbstverständlich.

Auf eigenen Beinen zu stehen, hatte er sich zwar zum Ziel gesetzt, doch seine eigenen Erwartungen wurden gar noch übertroffen. Profitiert hat er dabei vom Beziehungsnetz seiner Eltern – die Familie Miggiano führt den Gasthof Löwen in Bubikon.

Zu seinem Umfeld zählen deshalb Personen wie Art-on-Ice-Initiant Reto Caviezel, der ihn bei der Sponsorensuche beriet. Oder der ehemalige Eishockeyprofi Thomas Walser, der ihm unter anderen den Mentaltrainer vermittelte.

Swiss-Ski Swiss-Ski Skialpin 2023/24.Athlete: Alessio Miggiano
Alessio Miggiano will sich selber vermarkten – und nicht das Aushängeschild des Betriebs der Eltern sein.

«Ich konnte das Netzwerk des Restaurants nutzen», sagt Miggiano. Aber, und das ist ihm wichtig: Er geht nun seinen eigenen Weg, nachdem er lange von den Eltern unterstützt worden war. «Dafür bin ich ihnen ewig dankbar. Es war aber nie Thema, dass ich ein Aushängeschild des ‹Löwen› bin. Für sie noch weniger als für mich.»

Und er legt auch Wert darauf, dass er die allermeisten Gespräche mit potenziellen Sponsoren selber führte: «Ich bin einer, der lieber vorbeigeht, als zu telefonieren.»

An der Technik muss er feilen

Wer ihn erlebt, nimmt ihm das auch ab – denn der 21-Jährige versteht es, einem sich und seine Karriere näherzubringen. Da schwingen die Begeisterung und die Hingabe für den Sport ebenso mit wie die Demut und das Bewusstsein, dass es für den Erfolg nicht markige Worte, sondern harte Arbeit braucht. Es ist quasi eine bodenständige Eloquenz, die Miggiano mitbringt.

Bodenständig – eigentlich fährt er auch so Ski. Denn Trainer Heinzer streicht neben Miggianos guter Physis vor allem dessen Gleiterfähigkeiten heraus. «Er hat ein sehr gutes Gefühl für den Ski, und das ist etwas, das man kaum lernen kann. In Sachen Technik kann er aber noch mehr herausholen. Daran arbeiten wir in den Riesenslalom-Trainings.»

Auch Miggiano selber kennt natürlich seine Defizite. Er sagt: «Skitechnisch habe ich noch die eine oder andere Baustelle.» Daran will er arbeiten – und davon vor allem im Super-G profitieren. «Da fehlt mir noch der Instinkt, den es braucht, um die Linie auf Messers Schneide zu fahren.»

Gelingt ihm das, dürfte er auch im Super-G auf jenes Level kommen, das er in der Abfahrt zuletzt aufwies. «Es soll so weitergehen, Schritt für Schritt», sagt er – das klingt unspektakulär, ist aber vernünftig. Natürlich ist der Weltcup das Fernziel. «Aber das muss ja nicht gleich nächstes Jahr sein.»

Die Dichte ist gross, doch die Indizien sind ermutigend

Miggiano sagt zwar von sich selber, er sei kein besonders geduldiger Mensch. Doch er ist eben auch ein Realist. «Die Dichte in der Schweiz ist gerade im Speed riesengross. Viele werden aus dem Weltcup in den Europacup kommen, um sich Fixplätze zu erkämpfen. Wenn ich mich da einigermassen im vorderen Bereich positionieren kann, ist es eine erfolgreiche Saison.»

Übersetzt heisst das: regelmässig in die Top 15 fahren.

Ein Indiz dafür, dass er mithalten kann, hat er im Training bereits erhalten. «Wir waren oft mit der zweiten Weltcup-Trainingsgruppe unterwegs, der Vergleich hat mir geholfen, ich habe gute Anhaltspunkte.»

Dass er sich in den vordersten Rängen einordnete, wenn die Zeitmessung lief, damit geht Miggiano nicht hausieren. «Es ist cool, dass gute Zeiten rausschauten. Aber nur weil eine Zeitmessung dastand, riskierte ich nicht auf Teufel komm raus. Zählen tut es dann im Rennen.»

Abo

Möchten Sie weiterlesen?

Liebe Leserin, lieber Leser

Nichts ist gratis im Leben, auch nicht Qualitätsjournalismus aus der Region. Wir liefern Ihnen Tag für Tag relevante Informationen aus Ihrer Region, wir wollen Ihnen die vielen Facetten des Alltagslebens zeigen und wir versuchen, Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme zu beleuchten. Sie können unsere Arbeit unterstützen mit einem Kauf unserer Abos. Vielen Dank!

Ihr Michael Kaspar, Chefredaktor

Sie sind bereits Abonnent? Dann melden Sie sich hier an

Digital-Abo

Mit dem Digital-Abo profitieren Sie von vielen Vorteilen und können die Inhalte auf zueriost.ch uneingeschränkt nutzen.

Sind Sie bereits angemeldet und sehen trotzdem nicht den gesamten Artikel?

Dann lösen Sie hier ein aktuelles Abo.

Fehler gefunden?

Jetzt melden.