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Wirtschaft

«Der Preisdruck ist gnadenlos, absolut»

Richard Biggoer war ein Pionier, als er 1998 sein Now-Trainingscenter in Uster eröffnete. Berufskollegen warfen dem Arzt damals Kommerzialisierung vor. Inzwischen ist die alte Gesundheitsbranche längst auf dem Fitnessmarkt angekommen. Wie sich der Wettbewerb verändert hat, erzählt Biggoer im Interview.

Richard Biggoer ist Rheumatologe und Geschäftsführer von Now Training & Therapie in Uster., Keine Angst vor der Konkurrenz: Richard Biggoer ist zuversichtlich, dass er mit seinem Now!-System genug Kunden erreichen kann., Das Durchschnittsalter der Mitglieder im Now-Trainingscenter liegt bei 58. Darauf muss das Geschäftsmodell abgestimmt sein.

Seraina Boner

«Der Preisdruck ist gnadenlos, absolut»

Sie sind Geschäftsführer von Now Training & Therapie, aber vor allem auch Arzt. Auf Ihrer Webseite legen Sie den Akzent auf das Thema «Gesundheit». Wer kommt zu Ihnen: «Kunden» oder «Patienten»?

Richard Biggoer: Beide, das überlappt sich. Wir haben ja zwei Firmen: die Arztpraxis, die ich als Rheumatologe betreibe, und unser Trainingscenter mit zurzeit knapp 1500 Mitgliedern. Der medizinische Therapiebereich ist nicht getrennt vom normalen Trainingsbetrieb. Ob an den Geräten ein Patient eine Trainingstherapie macht oder ein Kunde trainiert, kann man von aussen nicht erkennen.

Ist die Herangehensweise an einen Patienten eine andere?

Ein Patient hat ein konkretes Problem, meistens einen Schmerz. Als Arzt muss ich dafür sorgen, dass er in seiner körperlichen Aktivität möglichst nicht eingeschränkt wird. Unser Leitspruch lautet: Training ist die beste Medizin. Aber wer etwa ein Rückenleiden hat, sollte gewisse Trainingsmethoden meiden. Meine Aufgabe besteht dann darin, gleichwertige Methoden aufzuzeigen oder ein neues Programm zusammenzustellen. Ziel ist immer, dass der Patient selbstständig weitertrainieren kann.

Zur Person:

Dr. med. Richard Biggoer (63) ist Facharzt für Rheumaerkrankungen, Physikalische Medizin und Rehabiliation. Er hat sich auf die Medizinische Kräftigungstherapie spezialisiert. Nach Stationen unter anderem am Stadtspital Triemli (Zürich) und an der Schulthess Klinik (Zürich) machte er sich 1994 mit einer eigenen Praxis selbstständig. 1998 eröffnete er die Praxis für Rheumatologie und Medizinische Kräftigungstherapie, die in das Now-Trainingscenter (Uster) integriert ist. jöm

Das Wort «Fitness» sucht man auf Ihrer Webseite vergeblich. Ihren Betrieb bezeichnen Sie als «Trainingscenter» und nicht als «Fitnesscenter». Ist das nur ein Zufall?

Nein, das ist kein Zufall. Im Deutschen wird mir das Wort zu salopp gebraucht. Wer Muskeln aufbauen und seine körperliche Leistungsfähigkeit steigern will, muss sich Trainingsreize setzen, und dann tut es auch ein bisschen weh. Nachhaltige Effekte lassen sich nur erzielen, wenn die Muskeln in die Ermüdung gebracht werden. Dieser Aspekt kommt im «Fitness» nicht ausreichend rüber.

Wollen Sie sich auch von Fitnessstudios absetzen?

Wir grenzen uns bewusst ab. Damit stehen wir aber nicht allein da. Die gesamte Branche drängt immer mehr in den Gesundheitsmarkt. Dazu muss man das alte Klischee von der «Muckibude» abstreifen. Bezeichnenderweise hat sich der Schweizerische Fitnesscenter-Verband in «Fitness- und Gesundheitscenter-Verband» umbenannt. Die Zusammenarbeit mit Ärzten und Physiotherapeuten ist aber nicht nur ein Mittel, um seriöser zu werden, sondern sie macht auch aus gesundheitlichen Gründen absolut Sinn.

Sie haben Ihr Trainingscenter 1998 eröffnet. Wurde der Spagat zwischen Medizin und Fitness damals beargwöhnt?

Ja, total. Berufskollegen warfen mir vor, «Kieser-Arzt» zu werden, weil ich in den 1990er-Jahren intensiv mit Werner Kieser zusammenarbeitete, dem Gründer einer Franchise-Kette für Fitnessstudios. Recht bald aber haben die medizinischen Einrichtungen begriffen, dass sie in den Fitnessmarkt einsteigen müssen, wenn sie die Kompetenz nicht aus der Hand geben wollen. Umgekehrt rutschen Fitness-Dienstleister immer mehr in den Gesundheitsbereich.

Woran liegt das?

Der Kunde ist älter geworden. Früher hat man einem 70-Jährigen noch abgeraten, ins Trainingscenter zu gehen. Heute kommt er ganz selbstverständlich zu uns. Als wir anfingen, lag das Durchschnittsalter unserer Mitglieder bei 48, inzwischen liegt es bei 58. Diese Generation ist mit dem Fitnesstraining aufgewachsen.

 

« Junge Menschen zügeln für die Ausbildung oft weg. Deshalb richten wir uns bewusst an ältere, in der Region verwurzelte Leute mit einem Gesundheitsproblem. »

Richard Biggoer, Now Training & Therapie

 

Ist das Ihre Hauptzielgruppe?

Bei uns haben sich die über 50-Jährigen als Hauptkundschaft herausgeschält. Sie sind sehr treu: Knapp 80 Prozent der Abonnements werden erneuert. Selbstverständlich haben wir auch 14-Jährige mit Haltungsinsuffizienz. Aber junge Menschen zügeln für die Ausbildung oft weg. Deshalb richten wir uns bewusst an ältere, in der Region verwurzelte Leute mit einem Gesundheitsproblem.

Was bedeutet das für Ihr Geschäftsmodell?

Wer heute 60 oder 70 ist, hat womöglich schon Rückenoperationen hinter sich oder leidet an Osteoporose. Fitnessinstruktoren müssen entsprechend geschult sein, um das Trainingsprogramm darauf abzustimmen und zuzuschneiden. Auch ohne medizinische Ausbildung sollten sie wissen, wann es Zeit ist, einen Arzt hinzuzuziehen. Daher legen wir grossen Wert auf gut ausgebildetes Personal.

Das hat seinen Preis.

Man darf nicht vergessen: Die Fitnessbranche hat einen hohen Kostensockel. Wenn Leute behaupten, unsere Abonnements seien teuer, muss ich mich vehement dagegen wehren. Um ein Trainingscenter kostendeckend zu betreiben, benötigt man eine ausreichend grosse Fläche mit einer ausreichend grossen Zahl an Maschinen; das Center muss lange genug geöffnet sein, am besten 365 Tage im Jahr, und dazu benötigt man ausreichend Personal, das zudem noch gut ausgebildet ist. All das kostet. Ein seriöses Angebot hat seinen Preis.

Der Fitness-Discounter Basefit warb im Januar mit einem Jahresabonnement für knapp 400 Franken…

Das ist ja wahnsinnig.

… allerdings nur bei Abschluss eines Zwei-Jahres-Vertrags. Sie bieten hingegen vier Abonnement-Typen an: ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre. Ein Jahr kostet bei Ihnen 1050 Franken. Wie kommt dieser vergleichsweise hohe Preis zustande?

Unsere Betreuungsquote ist viel höher. Mit meinem Konzept, das eben auch eine Arztpraxis umfasst, kann ich mir keine Billigangebote erlauben. Unsere Kunden haben Knieschmerzen, Schulterschmerzen, Rückenschmerzen. Da reicht es nicht, ihnen einmal zu zeigen, wie man die Geräte bedient. Vielmehr muss entsprechend geschultes Personal vor Ort sein, das auch unter dem Jahr ein Kontrolltraining durchführt.
Im Abonnement ist zudem eine Trainingsberatung enthalten, bei der der Kunde sein Programm mit mir durchgehen kann. Und wenn ein Instruktor ein neues Programm für einen Kunden erstellt hat, der kürzlich etwa an der Schulter operiert worden ist, überprüfe ich dessen Unbedenklichkeit. Einen solchen Service bietet eine Fitness-Kette nicht.

 

« Viele unserer Mitglieder waren zuvor bei einer Fitness-Kette und fühlten sich dort verloren mit all den Geräten. »

Richard Biggoer, Now Training & Therapie

 

Sehen Sie sich überhaupt in Konkurrenz zu diesen Ketten?

Nein, ich weigere mich (lacht). Aber die Kunden müssen mir natürlich Recht geben. Wenn keiner mehr kommt, habe ich ein Problem. Viele unserer Mitglieder waren zuvor bei einer Fitness-Kette und fühlten sich dort verloren mit all den Geräten. Vorangetrieben wird diese Entwicklung von Franchise-Unternehmen wie der deutschen Clever-fit. Sie setzen auf eine flächendeckende Verbreitung mit möglichst vielen Franchisenehmern, auf denen der ganze finanzielle Druck lastet.

Wer sind Ihre direkten Konkurrenten?

Ich stelle fest: Seit ich in Uster bin, ist die Migros mit Activ Fitness dazu gekommen, daneben gibt es Fitness Connection, Body Gym und Basefit. Aus meiner Sicht belebt die Konkurrenz das Geschäft. So lässt sich das Angebot einfacher vergleichen, es wird mehr Kundschaft angezogen, der Markt intensiver bearbeitet. Entscheidend ist, dass wir als Anbieter authentisch bleiben. Mir und meinen Leuten nimmt man ab, was wir verkaufen. Man sieht mich auch jeden Tag trainieren. Die Konkurrenz ist zwar gewachsen, aber wir haben trotzdem jedes Jahr mehr Mitglieder.

Claude Ammann, der Co-Präsident des schon erwähnten Fitnessverbandes, spricht von einem «regelrechte(n) Verdrängungswettbewerb» auf dem Schweizer Fitnessmarkt. Erleben Sie das auch so?

Ich würde nicht von einem Verdrängungswettbewerb sprechen. Vielmehr hat die alte Gesundheitsbranche ein Image- und Akquisitionsproblem. Denn wie viele Tausend Leute machen noch kein Fitness, obwohl sie es eigentlich sollten? Der Markt ist relativ gross und verträgt die Konkurrenz. Natürlich bekommen wir zu spüren, dass es ein neues Fitnesscenter in Hinwil gibt und Kunden, die zuvor zu uns gefahren sind, nun vor Ort trainieren. Dafür wächst Uster.

 

« Wer meint, er könne ein Center betreiben mit ein paar Geräten, aber ohne Konzept – der hat verloren. »

Richard Biggoer, Now Training & Therapie

 

Sind Sie damals bewusst in ein Ballungsgebiet gezogen?

Ja, ich habe mich für Uster entschieden, weil es die drittgrösste Stadt im Kanton ist. Durch die Achse Dübendorf und Volketswil, die ebenfalls stark wachsen, erreichen wir ein Einzugsgebiet mit vielen potenziellen Kunden. Ich bin überzeugt: Mit einem guten und klaren Konzept kann man im Fitnessmarkt überleben. Aber wer einen bestimmten Preis verlangt, sollte auch liefern.

Trotzdem: Viele kleinere Fitnessstudios fürchten den Preisdruck durch grosse Akteure.

Der Preisdruck ist gnadenlos, absolut. Aber wer meint, er könne ein Center betreiben mit ein paar Geräten, aber ohne Konzept – der hat verloren. Da kommt niemand, das ist nicht bezahlbar. Es tönt zwar nach viel, wenn ein Studio 700 Mitglieder hat, aber das reicht nicht, um die Kosten wieder reinzuholen, geschweige denn Geld zu verdienen. Erst ab 1000 Mitgliedern lohnt sich der Aufwand. Auch bei den grossen Fitness-Ketten ist längst nicht jede Filiale rentabel. Aber anders als Einzelfirmen können sie querfinanzieren und zu besseren Konditionen Fitnessgeräte einkaufen.

Zu Jahresbeginn haben Fitnessstudios erfahrungsgemäss viel Zulauf. Anbieter locken in dieser Zeit mit speziellen Angeboten. Sie nicht. Warum?

Weil das unternehmerisch völlig falsch ist: Man verliert Geld. Die Leute wollen ja ohnehin trainieren. Solche Aktionen sollte man dann durchführen, wenn gerade Flaute ist – im Sommer. Deswegen läuft unser Programm zur Mitgliederwerbung – mit einem Schnupperabo – in den warmen Monaten. Dagegen gründen Neujahrsspecials in einem schlechten Selbstvertrauen.

Spielt die Ästhetik bei der Kundenansprache – neben gesundheitlichen Fragen – eine Rolle?

Ganz klar ja. Wenn wir die Mitglieder nach ihrer Motivation fragen, sind die häufigsten Antworten: keine Schmerzen, gesund bleiben, abnehmen. Weniger Bauch und oben mehr Füllung – das kommt automatisch, wenn man richtig trainiert.

 

« Dass ich mit meiner Person werbe, hat mit meinem Unique Selling Proposition als Arzt zu tun. »

Richard Biggoer, Now Training & Therapie

 

Viele Anbieter werben mit klassisch-dünnen Models. Auf Ihrer Webseite sieht man zuallererst Sie als medizinische Kapazität. Warum?

Das ist eine zweischneidige Angelegenheit, da wir ein möglichst breites Kundenspektrum abdecken wollen. Dass ich mit meiner Person werbe, hat mit meinem Unique Selling Proposition als Arzt zu tun. Dadurch erreichen wir eine Zielgruppe, an die andere Anbieter weniger gut herankommen. Gleichzeitig sollen die Leute nicht denken: «Ins Now-Fitness geht man nur aus medizinischen Gründen.» Daher sind auf unserer neuen Webseite auch Models zu sehen, aber keine Über-Models. Die lockeren jungen Typen, die gern Work-outs machen, sollen wissen, dass sie bei uns am richtigen Ort sind.

Zum Unternehmen:

Die Now Training & Therapie AG in Uster wurde 1998 von Dr. med. Richard Biggoer gegründet. Angeschlossen an das Trainingscenter betreibt der Facharzt für Rheumaerkrankungen und Physikalische Medizin eine eigene Praxis.

Neben dem klassischen Trainingsbetrieb, bei dem Mitglieder an diversen Geräten selbstständig  trainieren, können Patienten nach einer spezialärztlichen Untersuchung bei Biggoer eine medizinische Kräftigungstherapie vor Ort absolvieren. Das Now!-System mit enger Zusammenarbeit von Trainer, Arzt und Therapeut ermöglicht die Optimierung des Trainingsprogramms, angepasst an die individuellen Bedürfnisse.

Derzeit hat das Unternehmen knapp 1500 Mitglieder. jöm

Weitere Informationen unter:
www.now-uster.ch

Was sind die nächsten Trainingsziele für Ihr Unternehmen?

Wir sind in gesunder Verfassung, aber wir werden älter. Um das jetzige Niveau zu halten, müssen wir uns weiter anstrengen. Bei den Mitgliederzahlen wollen wir ganz klar wachsen, allmählich stossen wir aber an räumliche Kapazitätsgrenzen. Der nächste folgerichtige Schritt wäre es, auch eine klassische Physiotherapie anzubieten. So könnten wir zum Beispiel einen Rückenpatienten von der Erstversorgung über die Physio- und Kräftigungstherapie bis hin zum selbstständigen Training komplett in unserem Haus bedienen.

Wann legen Sie los?

Für diesen Schritt muss ich als Unternehmer nochmals tief schlucken. Ohne einen räumlichen Ausbau liesse sich die Erweiterung des Portfolios nicht bewerkstelligen. Entscheidend ist, dass alle Glieder der Kette gut ineinandergreifen. Wenn nur ein Glied nicht richtig funktioniert, ist die ganze Kette gefährdet – und damit das neue Konzept gebremst. Aber ich habe schon etwas im Hinterkopf.

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