Abo

Wirtschaft

Der letzte Berufsfischer auf dem Greifensee gibt auf

Seit dem 19. Jahrhundert gibt es Berufsfischer auf dem Greifensee. Wieso es nun zu Ende geht.

Seit 2001 fischt Andreas Zollinger auf dem Greifensee. Nun schmeisst der letzte Berufsfischer hin. (Archiv)

Foto: Seraina Boner

Der letzte Berufsfischer auf dem Greifensee gibt auf

Ende einer Ära

Seit den 1850er Jahren gibt es Berufsfischer auf dem Greifensee. Nun geht eine mehr als 170-jährige Tradition zu Ende.

«Wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen, Herr Zollinger?» Der ältere Herr hat im Laden in Riedikon soeben etwas Hecht und Räucherforellen gekauft. Gleich daneben in der Auslage liegen grosse Felchenfilets. «Die sind mir zu gross. Die schmecken dann etwas nach Tümpel», meint der Kunde.

Andreas Zollinger wickelt die Fische in Papier, kassiert und beantwortet dann die Frage des Herrn. «Ich habe mir das gut überlegt. Es ist kein Schnellschuss.» Seit 2001 ist er der einzige – und folglich der letzte – Berufsfischer auf dem Greifensee. Seit 2005 arbeitet er selbständig. Ende Monat ist Schluss.

Dass er so lange durchgehalten habe, liege auch an vielen langjährigen, treuen Stammkunden und an Restaurants in der Region, die von ihm Fische bezogen hätten, sagt Andreas Zollinger: «Ihnen möchte ich von Herzen danken.»

Ein älterer Mann steht vor einer Kühltheke mit Fischen. Dahinter der Fischer.
Noch verkauft Andreas Zollinger in seinem Laden in Riedikon Fische. Ab Ende April dann die Einrichtung.

Mehr als 20 Jahre lang fuhr der gebürtige Thurgauer im Sommer jeweils um 3 Uhr auf den See und legte die Netze aus, in den Wintermonaten zwischen 5 und 5.30 Uhr. Er liebe die Ruhe auf dem See, den Wechsel der Jahreszeiten, auch die Genugtuung, wenn er an guten Tagen 50 Kilogramm Fisch in sein kleines Boot ziehe, sagt Andreas Zollinger. «Man muss die Natur und auch die Fische gernhaben, um diesen Job zu machen.»

Verkauft werden die Fische bis heute direkt im Ladenlokal an der Riedikerstrasse an Private. Auch ein paar Restaurants in der Region schmücken sich mit dem Etikett «Fisch aus dem Greifensee». Felchen machen den Hauptteil der Fänge aus. «Der Felchen ist unser Brotfisch», sagt Andreas Zollinger.

Felchen in einer Kiste.
An guten Tagen zieht Andreas Zollinger 50 Kilogramm Fisch in sein kleines Boot.

Das war nicht immer so: Bis in die 1960er Jahre war der Greifensee komplett überdüngt. Kläranlagen gab es noch nicht, Abwässer flossen ungereinigt in den See. Mit der Folge, dass die Felchen ausstarben. Erst in den 1970er Jahren verbesserte sich die Wasserqualität nachhaltig.

Zollinger versus Zollinger

Den Betrieb hat er von seinem Vorgänger Emil Zollinger gepachtet, der immer noch im Haus gleich neben dem Fischereibetrieb lebt. Dessen Urgrossvater hatte im 19. Jahrhundert mit der Familientradition angefangen. Emil und Andreas Zollinger tragen zwar denselben Nachnamen, sind aber weder verwandt noch verschwägert.

Die Seepacht schreibt die kantonale Fischerei- und Jagdverwaltung jeweils für acht Jahre öffentlich aus. Und diese acht Jahre enden am 30. April 2024. Er habe dem Kanton mitgeteilt, dass er kein Interesse an einer Verlängerung habe, sagt der 45-jährige Andreas Zollinger.

Warum dieses abrupte Ende? Es seien verschiedene Gründe, sagt er. Er verspüre nach so langer Zeit Lust auf etwas Neues: «Ich habe es gerne gemacht, aber mit der Zeit ist es mir verleidet.»

Fischer fährt mit Bott auf den See hinaus.
Das Ende einer Ära: Andreas Zollinger fährt hinaus auf den Greifensee. (Archiv)

Den Auslöser des «Verleidens» nennt er erst auf Nachfrage: Es sind zwischenmenschliche Probleme zwischen Zollinger und Zollinger, die in den ersten Jahren noch zusammengearbeitet hatten. Andreas Zollinger war damals auf den See hinausgefahren, Emil Zollinger hatte beim Verarbeiten des Fangs mitgeholfen.

«Er hat mir reingeredet. Und irgendwann mussten wir feststellen, dass wir nicht mehr miteinander auskommen», sagt Andreas Zollinger. «Er sagt mir nicht einmal mehr Grüezi», erklärt Emil Zollinger.

Gegensätzliche Interessen

Einer der Gründe für das Zerwürfnis sind diametral entgegengesetzte Interessen. Der junge Zollinger hätte den Betrieb gerne gekauft, der alte Zollinger wollte nicht verkaufen. «So sehe ich keine Zukunft», sagt der langjährige Pächter.

Was er in dieser Zukunft macht, ist offen. Zunächst einmal wird er die Einrichtung verkaufen. Vor gut zehn Jahren hat er den Laden auf eigene Rechnung etwas erneuert. Mehrere zehntausend Franken habe er für den Umbau lockergemacht.

«Einfacher wäre es, wenn sich jemand um die Seepacht beworben hätte. Dann hätte ich ihm den Laden als Ganzes verkaufen können.» So sucht er nun halt Käufer, die Interesse haben an der Kühltheke, dem grossen Tiefkühler oder auch dem professionellen Vakuumiergerät.

Danach würde der gelernte Fischzüchter gerne weiter in der Branche arbeiten. «Vielleicht irgendwo als Fischereiaufseher.» Früher habe er auch als Gerüstbauer oder in einer Gärtnerei gearbeitet. «Ich lasse es auf mich zukommen.» Zollinger hat keine Familie und muss nur auf sich selbst schauen. Das macht die Ungewissheit einfacher.

Und so endet die Tradition der Berufsfischer auf dem Greifensee.

Seepacht am Greifensee wird nicht mehr ausgeschrieben

Für acht Jahre schreibt die Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons Zürich die Seepacht auf dem Greifensee jeweils aus. Ende April endet der Pachtvertrag mit Andreas Zollinger – und damit fürs Erste die Berufsfischerei auf dem Greifensee.

Denn der See wird vorübergehend nicht mehr verpachtet. Der Kanton will zuerst genauer untersuchen, wie stark die Fische im Greifensee mit Chemikalien belastet sind. Namentlich geht es hierbei um per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS). PFAS sind eine Gruppe schwer abbaubarer Stoffe, die deshalb auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet werden.

Durch ihre breite Verwendung, etwa in Pflanzenschutzmitteln, Regenbekleidung oder Feuerlöschschaum, gelangen sie in die Umwelt und schliesslich in die Lebensmittelkette. «Die Auswirkungen von PFAS auf die Gesundheit sind noch nicht restlos erforscht», schreibt die Fischerei- und Jagdverwaltung auf Anfrage. Einige PFAS stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Der Mensch nimmt PFAS vor allem über Lebensmittel auf. Hauptquelle sind tierische Lebensmittel, darunter auch Wildfische.

In der EU sind seit 2022 Höchstgehalte für bestimmte PFAS in Lebensmitteln tierischer Herkunft vorgegeben. Die Schweiz hat diese Grenzwerte über die Revision des Schweizer Lebensmittelrechts übernommen. Seit 1. Februar 2024 ist das revidierte Gesetz in Kraft, die Grenzwerte gelten für Eier, Fleisch, bestimmte Fischarten, Krebstiere und Muscheln.

Bislang ist unklar, wie stark die Seen im Kanton Zürich und folglich auch die Fische mit PFAS belastet sind. Deshalb führt die Fischerei- und Jagdverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Kantonalen Labor 2024 an den grossen Zürcher Seen umfangreichere Untersuchungen durch. Aufgrund der Datenlage hat der Kanton entschieden, die Berufsfischerpacht am Greifensee vorläufig nicht neu auszuschreiben. Die Massnahme sei präventiv: «Sie soll in erster Linie verhindern, dass sich ein Berufsfischer am Greifensee eine Existenz aufbaut, bevor genauere Erkenntnisse zur Belastung der Fische vorliegen.»

Abo

Möchten Sie weiterlesen?

Liebe Leserin, lieber Leser

Nichts ist gratis im Leben, auch nicht Qualitätsjournalismus aus der Region. Wir liefern Ihnen Tag für Tag relevante Informationen aus Ihrer Region, wir wollen Ihnen die vielen Facetten des Alltagslebens zeigen und wir versuchen, Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme zu beleuchten. Sie können unsere Arbeit unterstützen mit einem Kauf unserer Abos. Vielen Dank!

Ihr Michael Kaspar, Chefredaktor

Sie sind bereits Abonnent? Dann melden Sie sich hier an

Digital-Abo

Mit dem Digital-Abo profitieren Sie von vielen Vorteilen und können die Inhalte auf zueriost.ch uneingeschränkt nutzen.

Sind Sie bereits angemeldet und sehen trotzdem nicht den gesamten Artikel?

Dann lösen Sie hier ein aktuelles Abo.

Fehler gefunden?

Jetzt melden.