Der älteste Schweizer lebt in Uster – er wird 107
Rekord in Uster
Albert Honegger ist seit einem Jahr der älteste Mann in der Schweiz. Mit 90 Jahren hat er noch gelernt, einen Computer zu bedienen.
Albert Honegger empfängt den Besuch in seinem Zimmer: Der älteste Schweizer sitzt vor seinem Schreibtisch, auf dem Bildschirmschoner ein Foto eines aufgeweckten blonden Mädchens. Es ist seine Urenkelin, die 94 Jahre jünger ist als er.
Honegger wird im Januar 107 Jahre alt. Seit anfangs Jahr 2024 ist er der älteste männliche Schweizer. Etwas wehmütig sagt der ehemalige Geschäftsführer der Ryffel Transporte, dass er gar nie so alt habe werden wollen. «Ich habe doch jetzt gar nichts mehr davon.» Honegger hat viele seiner Freunde überlebt. Ohne Begleitung kann er keinen Spaziergang mehr draussen machen. Er sitzt im Rollstuhl.
Bis vor acht Jahren war er jedoch noch ziemlich mobil und selbständig unterwegs. «Er hatte ein Generalabonnement der SBB und reiste mit dem Zug quer durch die Schweiz», sagt seine Tochter Madeleine Diete, die ihren Vater zweimal in der Woche besucht. Sie selber ist auch schon seit fünf Jahren pensioniert.
Langsamer Abbau
Die ehemalige Kindergärtnerin sitzt neben ihrem Vater und wiederholt jeweils noch einmal ganz laut ins Ohr, wenn er eine Frage nicht versteht. «Seit dem Sommer hat er immer mehr abgegeben. Er mag nicht mehr so richtig», sagt sie. Auch sei ihr Vater vergesslicher geworden.
Vor einem halben Jahr hingegen sei er noch sehr agil im Kopf gewesen. «Jeden Morgen schickte er mir eine E-Mail, um mir mitzuteilen, wie seine Nacht war und dass er bereit ist für den neuen Tag», erzählt Diete.
Mit 90 bekam Honegger seinen ersten Computer und hat in wenigen Tagen gelernt, diesen zu bedienen. Für ihn war es lange ein wichtiges Tor zur Aussenwelt. Bis vor Kurzem habe er auch noch jeden Tag die Zeitung gelesen. «Heute nur noch mit Brille!», ruft Honegger – und in seinen Augen blitzt Schalk auf.
Auch sei er ein passionierter Jasser gewesen. «Als mein Mann noch lebte, trafen wir uns oft zu dritt zum Bieter», sagt Diete.
Nach dem Tod ihres Ehemanns hat Diete noch während Monaten andere mögliche Mitspieler angefragt. Doch das funktioniere nun nicht mehr. «Zuletzt hat er nur noch gegen den Computer gespielt, dann begann er sich aber darüber aufzuregen, dass der Computer immer öfters gewinnt», erzählt die 70-Jährige.
Anleitung für ein langes Leben
Seit 1946 wohnt Honegger in Uster, davon 40 Jahre in einer Wohnung im vierten Stock. Ob das tägliche Treppensteigen das Rezept für das hohe Alter ist? Honegger will sich nicht ganz auf diese Frage einlassen, sondern bleibt mit den Gedanken bei der ehemaligen Wohnung hängen. Er murmelt etwas von einer alten Baracke und schmunzelt in sich hinein.
«Keine einzige Herzoperation hat er gehabt», erklärt seine Tochter. Ihr Vater sei ganz ohne Bypass so alt geworden, sagt sie stolz. Er sei oft spazieren gegangen, Bewegung sei ihm immer wichtig gewesen. Er habe aber auch geraucht, bis er 50 Jahre alt gewesen sei. «Er hat alles mit Mass gemacht – auch jetzt geniesst er noch täglich ein Glas Rotwein.»
Ungefähr drei Jahre nachdem seine Frau gestorben war, wollte Honegger erstmals in eine Alterssiedlung ziehen. «Als seine Beine dann nicht mehr wollten, wussten wir, dass er in die Obhut von anderen Menschen sollte», erzählt seine Tochter. Zu dem Zeitpunkt wechselte er von der Alterssiedlung Sonnental in Uster ins Pflegeheim Prix Santé.
Heute kann Honegger den Kontakt mit der Aussenwelt nicht mehr so einfach aufnehmen. Nur auf eine Frage reagiert der Ustermer sofort: Wo er noch einmal gerne hinreisen möchte. «An den Bodensee», sagt er wie aus der Kanone geschossen. Dabei füllen sich seine blauen Augen mit Tränen, er kramt ein Taschentuch aus der Schreibtischschublade.
Restaurant – direkt am See
«Seine Mutter führte am Bodensee in Arbon das Restaurant Heimat, mit Seeanstoss», erklärt seine Tochter. Als sein Vater früh gestorben sei, habe ihn die Mutter angefragt, ob er als Junior das Restaurant übernehmen wolle.
Damals wollte er nicht, weil er in Winterthur als Büroangestellter einen guten Job hatte. «Es war der falsche Zeitpunkt für ihn, er sah sich nicht in der Gastronomie – und heute bedeutet ihm der Ort aber so viel», bedauert auch Diete.
Im letzten Sommer hat man dem ältesten Schweizer in Arbon am Bodensee dafür einen Riesenempfang beschert. «Das war ein grosses Geschenk für meinen Vater.» Er wurde von der Saurer AG als ältester Stift gefeiert. Auch der Arboner Stadtpräsident habe ihm gratuliert.
Die Stadt Uster hingegen organisiert jährlich eine Geburtstagsfeier für Jubilare, die über 80 Jahre alt sind. «Albert Honegger wurde im Januar von Silvia Kölliker, der Leistungsgruppenleiterin Fachstelle Alter, mit einem Blumenstrauss geehrt», sagt Diete. Aktuell zählt Uster sieben Personen, die älter sind als hundert. Fünf davon feierten ihren 100. Geburtstag im 2024.
Sie alle erhielten eine Glückwunschkarte der Stadt Uster, die von der Stadtpräsidentin unterzeichnet ist. In Uster ist bis jetzt jedoch weder ein Stadtrat noch Barbara Thalmann (SP) persönlich beim ältesten Schweizer vorbeigekommen.
Hoher Besuch des Kantons
Seinen 107. Geburtstag feiert er aber auch erst im Januar. Doch jetzt hatte sich in der Adventszeit schon der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) angemeldet, um dem 106-Jährigen die Ehre zu erweisen. «Das war ein sehr schönes Erlebnis für meinen Vater, so hohen Besuch zu empfangen», sagt Diete. Dass jetzt anstelle eines Stadtrats aus Uster jemand vom Kanton vorbeikomme, das sei schon eine grosse Wertschätzung.
Auch Daniel Frei (GLP) war beim Besuch mit von der Partie. Honegger stand mit dem Ustermer Bezirksrat nämlich schon über längere Zeit im E-Mail-Kontakt. Dabei sei es vor allem um Honeggers Wohnsituation gegangen.


Honegger lebt seit sieben Jahren im Pflegezentrum Prix Santé in Uster. Im obersten Stock hat er ein grösseres Zimmer, das als Küche, Schreibzimmer und Schlafraum dient. «Leider hat mein Vater hier etwas wenig Unterhaltung», sagt seine Tochter.
Es sei ein kleines Alterspflegezentrum, deswegen sei das Angebot nicht riesig. «Es gibt schon gemeinsame Aktivitäten wie singen, turnen oder guetsle, aber mein Vater mag jetzt auch gar nicht mehr so richtig in Gruppen teilnehmen.»
Der Jubilar freut sich vor allem über Besuch. Wenn man ihn fragt, was er sich für das neue Jahr wünsche, werden seine Augen noch einmal wässrig, und er hat eine kryptische Antwort parat: «Ich wünsche mir das, was sich viele ältere Menschen wünschen.» Jetzt hat auch seine Tochter Tränen in den Augen.
Die älteste Schweizerin lebt in Sachseln und heisst Martha Furrer-Omlin. Die gebürtige Obwaldnerin wurde gemäss der Forschungsgruppe Longeviquest am 23. Juni 111 Jahre alt.
Seit ihrem 106. Lebensjahr wird sie von mehreren Verwandten und einem Pflegedienst umsorgt. Das Haus, in dem sie wohne, verlasse sie allerdings nur noch in Begleitung.
Der älteste Mensch, der je gelebt hat, ist die Französin Jeanne Calment, die 122 Jahre und 164 Tage alt wurde. Der älteste Mann der Welt hiess Jiroemon Kimura. Er wurde 116 Jahre und 54 Tage alt.