Politik

Als der «Schwartze Bären» den Dorfkern von Turbenthal prägte

Das in gelbe Farbe getauchte Haus an der Tösstalstrasse hat wohl mehr gesehen als manch anderes Gebäude in Turbenthal. Es prägte bis 1971 als Gasthof «Bären» das Dorfleben, heute ist es ein Mehrfamilienhaus.

So präsentiert sich heute das einstige Tubenthaler Gasthaus von der Strassenseite her., Das heutige Wohngebäude trägt auf der Hofseite noch immer die Inschrift «Bären»., Der Gasthof prägte einst den alten Dorfkern von Turbenthal., Er befindet sich in unmittelbarer Nähe der Kirche und hatte früher einen grossen Anbau (Luftaufnahme aus den 1950er Jahren).

Grafik: Dominik Gut/Museumsverein Turbenthal

Als der «Schwartze Bären» den Dorfkern von Turbenthal prägte

Einmal mehr sieht sich das Haus an der Tösstalstrasse 92 im Banne von umfangreichen Strassenbauarbeiten. Ausgestattet ist es mit der Tafel «Bären», welche an der Hausfront auf der Hofseite zu finden ist.

Das ist schade, stand das Gebäude doch einst im Zentrum des dörflichen Lebens. Seine lange Geschichte findet sich in der Gemeindechronik und führt zurück bis ins 16. Jahrhundert. Damals stand an dieser Stelle der stattliche Gasthof «Schwartzer Bären».

Für weltliche und geistliche Herren

Die Chronik gibt über dessen Entstehungsgeschichte hinreichend Auskunft: «Wie die Mühlen, so waren auch die alten Gasthäuser ursprünglich eine Einrichtung der Grundherrschaft. Weltliche und geistliche Herren mit ihren Beamten waren darauf angewiesen, wenn sie die Güter und Leute aufsuchten, sich verpflegen und einquartieren zu können», ist darin zu lesen.

«Ihre Inhaber waren sogar verpflichtet, stets über einen Vorrat an Brot und Wein zu verfügen.»

Auszug aus der Turbenthaler Dorfchronik

Bestimmte Häuser wie der «Bären» wurden mit dem Recht ausgestattet, gegen Geld jedem Verpflegung und Unterkunft zu geben. «Ihre Inhaber waren sogar verpflichtet, stets über einen Vorrat an Brot und Wein zu verfügen», heisst es weiter.

Lage am Verkehrsknotenpunkt

Ein Gasthof war eine notwendige Einrichtung für den mittelalterlichen Reiseverkehr und den gemeinschaftlichen Treffpunkt für Dorf und Pfarrei. Grosse Bedeutung hatte dabei die Lage.

Der «Bären» wurde dort erbaut, wo sich der Weg aus der Ostschweiz über Seelmatten mit den Strassen im Tösstal auf- und abwärts traf. Es gab eine Pferdepost, die von Turbenthal nach Eschlikon unterwegs war.

Sie verkehrte bis am 30. April 1925 und wurde dann durch einen Busbetrieb ersetzt. Dies ergaben kürzlich gemachte Recherchen des Wilemer Historikers Wolfgang Wahl. Ergänzend gab es Fuhrwerke, beim Gasthof war eine Halt- und Wechselstation.  

Der Dorfmittelpunkt

Der ursprüngliche «Bären» beanspruchte in der Vergangenheit sehr viel mehr Raum. Er stiess mit seinen Nebengebäuden bis an die Friedhofsmauer. Das entsprach dem gängigen Bild in dieser Zeit. «Kirche und Taverne bezeichneten so den Dorfmittelpunkt», heisst es in der Chronik.

«Täglich begegneten sich Bauer, Handwerker, Pfarrer, Diakon, Junker.»

Auszug aus der Turbenthaler Dorfchronik

Um das Ensemble herum positionierten sich die Handwerksbetriebe: «Täglich begegneten sich Bauer, Handwerker, Pfarrer, Diakon, Junker inmitten von Frauen und Kindern, welche den Platz mit Geplauder belebten.»

Diese Lithographie aus dem 19. Jahrhundert zeigt den ursprünglichen «Schwartzen Bären» in Turbenthal.

Damals hiess der Gasthof Schwartzer Bären. In einer Lithographie aus dem 19. Jahrhundert ist auf dem Wirtshausschild ein schwarzer Bär erkennbar. Die Gaststätte nahm damit Bezug zum Wappen des Klosters St. Gallen, unter dessen Meiertum sie stand.

«Schwartzer Bären» brannte ab

Dieser Gasthof war weitaus grösser als sein Nachfolger, von dem heute lediglich noch ein Teil vorhanden ist. Schwärmerisch klingt es in der Chronik. Verschiedene Bauteile seien zu einer kraftvollen Einheit zusammengefasst worden, weshalb bei dessen Anblick jedes Herz von Heimatschützlern habe höherschlagen müssen, heisst es.

Doch dann: «Am 17. Oktober 1873 geschah das Verhängnis, der ‹Bären› brannte bis auf den Grund nieder.» Ein Ereignis, das auch in der Anneli-Trilogie «Erlebnisse eines kleinen Landmädchens» von Olga Meyer Erwähnung findet. Darin erzählt Meyer die Kindheitsgeschichte ihrer Mutter.

Das 1861 geborene Anneli Lüssi lebte mit seiner Familie nah dem stolzen Landgasthof. Wie das Anneli den Brand erlebte, erfährt man im Kapitel «Eine Feuersbrunst». Am Abend im Bett dachte das Kind an seine Kameradin, die Leid erfahren hatte: «Lieber Gott, gib doch dem Lisettli wieder ein Bäbi.»

Lisettlis Vater, Julius Zollinger, der dazumal gewirtet hatte, fand den Mut zum Wiederaufbau des «Bären» nicht mehr. Fünf Monate vor dem Unglück hatte er seine zweite Frau verloren. Er verliess Turbenthal schliesslich.

Kleinerer Ersatzbau 1875

In der Chronik steht dazu: «Der Wiederaufbau des ‹Bären› aber geschah nicht mehr in der alten Grösse.» Aus einem Gutachten der Kantonalen Denkmalpflege, zur Verfügung gestellt durch den Turbenthaler Hochbau, geht hervor, dass ein Gottlieb Nussberger 1875 ein neues Gasthaus mit zwei gewölbten Kellern erbaute.

1880 wurden noch ein Tanz- und Theatersaal sowie ein Metzgereilokal angefügt. Es folgte eine Reihe von Wirten, darunter der Fuhrwerker Heinrich Bürgi, der offenbar von 1894 bis 1907 die Gaststätte führte.

Gasthaus bis 1971

1949 wurde im Parterre neben der Wirtschaft eine Garage eingebaut. Im Saal darüber fanden die verschiedensten Anlässe statt, für die der Kunstmaler Willi Eberle öfters Kulissen malte.

Die alte Aufnahme zeigt den Gasthof Bären in Turbenthal inklusive Anbau mit Tankstelle.

Die letzte Wirtin war Annabarbara Knecht-Schädler. Ihr Mann Alfred Oskar betrieb im Hof eine Garage, wo er nebst Autos auch Töffli und Nähmaschinen reparierte. Ursula Putscher-Knecht (1945) und ihre Schwester Maja (1947) wuchsen im Haus auf.  Es seien schöne Erinnerungen, die sie mit dem Gasthaus verbinden würde, sagt Ursula Putscher-Knecht heute und denkt an die netten Gäste, die hier verkehrten.

Sie resümiert aber auch, wie schwierig es mit dem Personal war: Dieses sei vorwiegend aus Deutschland und Österreich gewesen, hätte erst angelernt werden müssen, und kaum etwas eingearbeitet, sei es abgewandert.

Verschwundene Zeitzeugen

Es wühlt Putscher-Knecht immer noch spürbar auf, dass das Wirtshausschild nach dem Hausverkauf in den 1960er Jahren an die AG Baugeschäft Turbenthal einfach so verschwunden ist. Das beklagt die Denkmalpflege in ihrem Gutachten ebenfalls.

Mit dem Abbruch des Gebäudeteils mit der Garage und dem darüberliegenden Saal im Jahr 1982 verschwanden zudem die Wandmalereien des Kunstmalers Alfred Marxer (1876 – 1945). Diese hätten gemäss der Denkmalplfege erhalten werden müssen.

Bedauerlicherweise gibt es nicht einmal Fotoaufnahmen davon, wurde doch der in Turbenthal geborene Marxer später ein bekannter Künstler.    

Ein neuer Gasthof musste her 

Ende der 1960er Jahre war die Stimmbürgervereinigung Pro Turbenthal aktiv. Sie trieb den Bau des Landgasthofs Bären im Ausserdorf voran, da die langen Jahre des Daseins dem alten «Bären» zugesetzt hatten.

Nachdem sein eigentlicher Dienst nicht mehr gefragt war, entstanden im ehemaligen Gasthof Büroräumlichkeiten für das Baugeschäft. Eingemietet hatte sich ab 2002 der Polizeiposten, der knapp zehn Jahre später an seinen jetzigen Standort wechselte.

Heute gehört das Gebäude einer Immoblienfirma, die mehrere Wohnungen darin eingebaut hat.  

(Renate Gutknecht)
 

Der nächste Serienbericht gilt dem Landgasthof Bären im Ausserdorf. Haben Sie dazu eigene Erinnerungen? Ich denke gerne an die Zeit zurück, als man nach Gemeindeversammlungen bequem in die Gaststube wechseln und dort weiterdiskutieren konnte. Renate Gutknecht, Telefon 052 385 20 67 (auch Anrufbeantworter) und E-Mail: renate.gutknecht@swissonline.ch. (rg)

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