Politik

«Religionen müssen zur Privatsache werden»

Die Freidenker-Vereinigung Winterthur lädt am 7. Dezember zum Vortrag von Philipp Möller, dem Autor des Buches «Gottlos glücklich». Er verlangt, dass Religionen zur Privatsache erklärt werden.

Religionskritiker Philipp Möller. (Bild: Heike Steinweg)

«Religionen müssen zur Privatsache werden»

Philipp Möller aus Deutschland ist Autor des Buches «Gottlos glücklich – Warum wir ohne Religion besser dran wären». Bekannt ist er aus Talkshows wie Markus Lanz, Aeschbacher und Roche & Böhmermann. Am Donnerstag, 7. Dezember, hält er in Winterthur einen Vortrag zu diesem Thema, organisiert von der Freidenker-Vereinigung Winterthur.

Viele Menschen definieren Gott anders. Was verstehen Sie unter dem Begriff «Gott»?

Philipp Möller: Wenn ich ganz ehrlich mit mir selbst bin, verstehe ich den Begriff überhaupt nicht – abgesehen von einem kindischen Gottesbild eines alten Mannes mit langem Bart, der auf einer Wolke sitzt. In meiner Religions- und Glaubenskritik beziehe ich mich aber auf das Gottesbild, das religiöse Menschen, also zumeist Christen, Muslime und Juden haben und vermitteln: den immateriellen, allmächtigen, allgütigen und allwissenden Schöpfer des Himmels und der Erde und all ihrer Bewohner.

Ich weiß, dass insbesondere westeuropäische Christen heute eine etwas verschobene Definition anlegen, die oft nur noch als «schöpfende Kraft» oder «das Gute» bezeichnet wird – aber wer das glaubt, ist nach kirchlicher Definition überhaupt kein Christ mehr! Christ ist nur, wer das apostolische Glaubensbekenntnis ablegt, und darin steht, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, als Sohn des einzig wahren Schöpfergottes, der einst auf die Erde kommen und die Lebenden und die Toten richten wird, und der später von den Toten auferstanden ist. Wer auch nur einen dieser Punkte nicht für wahr hält, ist schon kein Christ mehr – wie ich.

«Zum politischen Aktivisten wurde ich, als ich erfahren habe, wie heftig das Christentum privilegiert wird.»

Gibt es einen bestimmten Grund, dass Sie ein solch überzeugter Atheist sind?

Nein, und da alle Menschen ohne den Glauben an einen oder mehrere Götter auf die Welt kommen, muss man diese Frage eher Gläubigen stellen: Was hat sie zum Glauben gebracht? Und die Antwort hier lautet natürlich: Erziehung und Sozialisation. Das wollen die wenigsten einsehen, denn die beste Indoktrination erkennt man schließlich daran, dass der Indoktrinierte sich nicht indoktriniert fühlt. Aber wie alle anderen Religionen auch, ist das Christentum eine «gelernte Religion», die meist schon im Kindesalter vermittelt wird – sonst würde man die Storys auch wohl kaum jemandem abkaufen.

Was war aber der Anlass, dass sie sich öffentlich für eine strikte Trennung von Religion und Staat einsetzen?

Zum politischen Aktivisten für die Trennung von Religion und Regierung wurde ich allerdings, als ich erfahren habe, wie heftig das Christentum privilegiert wird – vom Kirchensteuereinzug über die Ausnahme vom deutschen Arbeitsrecht bis hin zum Zugriff auf Kinderhirne im Religionsunterricht. Und weil islamische Verbände auf dem Weg, genau diese Privilegien zu erhalten, von den Kirchen unterstützt werden, sage ich: Wenn wir weiterhin in einer offenen Gesellschaft leben wollen, müssen wir alle Religionen zur Privatsache erklären. Somit bin ich in erster Linie überzeugter Säkularist, und mein Atheismus ist politisch in etwa so wichtig wie mein Afeeismus, der besagt, dass ich nicht an Feen glaube.

«Die freiesten Gesellschaften sind jene, die weitgehend frei von Religion sind»

Was macht Sie beim Thema Religion besonders wütend?

Richtiggehend wütend machen mich natürlich die religiös motivierten Terrorangriffe durch Islamisten, und der Blick in islamische Gottesstaaten zeigt deutlich, dass es sich bei Religion auch um eine Art vererbter Geisteskrankheit handeln kann – anders kann ich mir einfach nicht erklären, wie Menschen ihre eigenen Töchter oder Schwestern oder Ehefrauen steinigen können. In 12 islamischen Gottesstaaten steht auf Apostasie und Blasphemie die Todesstrafe, wohingegen die friedlichsten und freiesten Gesellschaften wiederum die sind, die weitgehend frei von Religion sind. Umso erstaunlicher ist es, dass Blasphemie etwa in Deutschland und der Schweiz gesetzlich verboten ist – ein absolutes Unding, denn Religion steht nicht unter Denkmalschutz und muss daher genau so kritisiert und durch den Kakao gezogen werden können, wie alle anderen gesellschaftlichen Phänomene!

Aber auch andere Auswirkungen der Macht der Gotteslobby in Deutschland stören mich sehr: Die Legalisierung der Genitalbeschneidung bei Jungen ist dabei genau so beispielhaft wie die Kriminalisierung der Selbstbestimmung am Lebensende. Kurz: Wenn Volljährige sich zu einem Glauben bekennen und den Gesetzen dieses Glauben folgen wollen – okay, aber alle anderen müssen in einem säkularen Land davon verschont werden.

Sie haben kürzlich ihr Buch Gottlos glücklich herausgebracht. Was wollen Sie mit Ihrem Werk aussagen?

Neben verschiedenen Aspekten zur Trennung von Staat und Kirche will ich vor allem klarmachen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Individuums genau so Bestandteil einer offenen Gesellschaft sein muss, wie die Solidarität untereinander. Mein Buch soll gottlos glückliche Menschen mit unglaublichen Anekdoten unterhalten, aber auch mit guten Argumenten, Zahlen, Daten und Fakten versorgen, um ihre rationale Weltanschauung gegen irrationale Angriffe zu verteidigen. Ich will aber auch den vielen Unentschiedenen, die sich für Religion bisher nicht interessiert haben, eine gute Entscheidungsgrundlage liefern.

Vortrag von Philipp Möller, Donnerstag, 7. Dezember, 19 Uhr, Physikhörsaal TP 406 an der Technikumstrasse 9, Winterthur. Eintritt frei

Gibt es auch Aspekte der Religionen, die Sie gut finden?

Es gibt Aspekte menschlicher Kultur, die von Religion besetzt wurden, die ich gut finde, insbesondere Architektur, Bildende Kunst oder Musik. Natürlich haut mich die phallische Präsenz des Kölner Doms um, aber er ist eben auch ein Wahrzeichen christlicher Dominanz, und nicht zuletzt auch christlichen Größenwahnsinns. Denn wie besessen muss man eigentlich sein, um in einem Zeitalter, in dem es den allermeisten Menschen am Allernötigsten gefehlt hat, sage und schreibe 600 Jahre lang an einem Bauwerk zu arbeiten, dass der Verehrung eines unsichtbaren Geisterwesens gilt?! Wie tief muss der Aberglaube an diesen Gott verwurzelt sein, um etwa 30 Generationen dazu zu versklaven, am Bau dieses Protztempels ihr Leben zu lassen?! Bei der Musik ist der Produktionsaufwand ja überschaubarer, aber wie in der Bildenden Kunst gilt auch hier: Die Kirchen waren eben finanzstarke Auftraggeber für künstlerisches Schaffen, doch ich denke, dass Genies wie Mozart, Vivaldi oder Da Vinci auch für säkulare Auftraggeber umwerfend gute Arbeit geleistet hätten.

Für viele Menschen ist die Religion aber auch ein Ort der Zuflucht, sie finden darin Trost. Können Sie den Glauben anderer Menschen nicht tolerieren?

Ihre Frage impliziert zwei Dinge, die ich so nicht stehen lassen kann. Religiöse Menschen finden im Glauben Trost, aber den brauchen sie nur, weil sie zur Religion erzogen wurden. Zudem ist etwa der Glaube an ein Leben nach dem Tod, in dem wir unsere Liebsten wiedersehen werden, kein Trost, sondern ein Trostpflaster und damit reines Wunschdenken, das die wichtige Verarbeitung eines Verlusts verhindert.

Die Vermittlung der Nächstenliebe hingegen mag für einige Religionsgemeinschaften stimmen, aber oft nur auf dem Papier. Was sich immer wieder beobachten lässt: Nächstenliebe gilt in Religionsgemeinschaften vor allem für die Nächsten, also für die Brüder und Schwester im Glauben. Anders- oder gar Nichtgläubige hingegen gelten als Menschen zweiter Klasse, und ist keineswegs nur in islamischen Strömungen der Fall. Um aber den Teil ihrer Frage zu beantworten, der mit einem Fragezeichen endet: Ich akzeptiere den Glauben anderer Menschen, solange dieser Glaube mich als Freidenker akzeptiert. Ich toleriere, also erdulde hingegen die Form des religiösen Glaubens, der Freidenker verunglimpft, sonst aber in Ruhe lässt.

«Es besteht beim Vortrag auch die Möglichkeit, meine Fakten infrage zu stellen.»

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher bei Ihrem Vortrag am 7. Dezember?

Jede Menge unglaublicher Fakten aus dem Reich der Götter und ihrer selbsternannten Stellvertreter auf Erden, dazu szenische Lesungen aus «Gottlos Glücklich» mit mir als bekennender Rampensau auf der Bühne und natürlich die Möglichkeit, die von mir zusammengetragenen Fakten infrage zu stellen.

Möchten Sie weiterlesen?

Liebe Leserin, lieber Leser

Nichts ist gratis im Leben, auch nicht Qualitätsjournalismus aus der Region. Wir liefern Ihnen Tag für Tag relevante Informationen aus Ihrer Region, wir wollen Ihnen die vielen Facetten des Alltagslebens zeigen und wir versuchen, Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme zu beleuchten. Sie können unsere Arbeit unterstützen mit einem Kauf unserer Abos. Vielen Dank!

Ihr Michael Kaspar, Chefredaktor

Sie sind bereits Abonnent? Dann melden Sie sich hier an

Digital-Abo

Mit dem Digital-Abo profitieren Sie von vielen Vorteilen und können die Inhalte auf zueriost.ch uneingeschränkt nutzen.

Sind Sie bereits angemeldet und sehen trotzdem nicht den gesamten Artikel?

Dann lösen Sie hier ein aktuelles Abo.

Fehler gefunden?

Jetzt melden.