Genugtuung nach schwieriger Lebensphase
Es war ein selbstloser Einsatz, für den Remo Schmid kürzlich den «Prix Courage» der Zeitschrift «Beobachter» erhielt. In einer Julinacht wacht er in seiner Dübendorfer Wohnung auf und hört weibliche Schreie. Er geht zur Bushaltestelle Breitibach und sieht einen etwa 30-jährigen Mann, der sich gerade die Hose heraufzieht und vor ihm eine gleichaltrige Frau, die weint und aus deren Nase Blut rinnt. Wie später klar wird, hat er sie geschlagen und zu einer sexuellen Dienstleistung aufgefordert.
Er rennt dem Täter hinterher und überwältigt ihn
Schmid erkennt, dass die Situation nicht gut ist und zerrt den Täter von der Frau weg. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Täter, dieser flüchtet, Schmid rennt ihm hinterher, überwältigt ihn zusammen mit einem anderen Nachbarn und hält ihn fest, bis die Polizei eintrifft. Schmids Einsatz hat «mit grösster Wahrscheinlichkeit Schlimmeres verhindert», sagt die Kantonspolizei Zürich. Wahrscheinlich wäre es sonst zu einer Vergewaltigung gekommen.
Beim Empfang an seinem aktuellen Wohnsitz in Kloten ist man etwas erstaunt, wie klein und schlank der Held ist. Als er aber erzählt, dass der FC Zürich sein Leben ausmachte und er dort gelernt habe, für die Mannschaft zu kämpfen und mutig zu sein, traut man ihm sein Eingreifen zu.
Gewalt gegenüber Frauen ist für ihn ein No-Go
Etwas erschrocken sei er natürlich schon, als der Täter sich gegen ihn richtete. Dann aber habe er einfach funktioniert: Weil für ihn Gewalt gegenüber Frauen absolut tabu ist, wollte er das Opfer unbedingt vor seinem Peiniger schützen.
«Am Samstag getraute ich mich nicht mehr aus dem Haus, weil mich jeder Unbekannte anschaute.», Remo Schmid
Über die Frage, was manche Menschen dazu führt, einzuschreiten oder die Flucht zu ergreifen, denkt er nicht nach. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit: «Meine Mutter hat mir beigebracht, den Leuten zu helfen – egal, ob der alten Frau, die nicht über den Fussgängerstreifen kommt oder der Kassierin, die ausgeraubt wird.»
Als Held will sich der Schweizer mit dominikanischen Wurzeln aber nicht sehen. Er hätte lieber gehabt, wenn man seiner Mitstreiterin Natalie Burlet den Preis gegeben hätte. «Sie hat zwei Waisenheime in Burkina Faso gegründet und Kindern das Leben gerettet. Ich hingegen habe nur einem Menschen geholfen.»
Eigentlich hat er genügend eigene Probleme
Dabei hätte der 31-Jährige Grund gehabt, in dieser Julinacht einfach wegzuhören und weiterzuschlafen. Er hatte nämlich genug eigene Probleme: Sein ehemaliger Arbeitgeber hat ihn im Stich gelassen, was ihn in eine Gerichtsverhandlung führte. Und weil die so teuer war, wurde er obdachlos, hatte Selbstzweifel und erlitt eine Depression. Nur sein jetziger Chef habe an ihn geglaubt und ihm wieder einen Job als Projektleiter bei einem Zügelunternehmen gegeben.
Dass sein Porträt durch die ganze Schweizer Medienlandschaft geht, ist ihm etwas unwohl. «Am Samstag getraute ich mich nicht mehr aus dem Haus, weil mich jeder Unbekannte anschaute.»
Der Preis im Wert von 15’000 Franken, den er unter Tränen entgegennahm, ist für Schmid eine Genugtuung. Nach all den Schicksalsschlägen hat er wieder etwas Vertrauen in sich und die Menschen gefunden.
Der Täter ist in einer psychiatrischen Klinik
Die zuständige Staatsanwältin kann über die weiteren Umstände der Tat nur wenig sagen. Das Motiv des Täters sei weiterhin ungeklärt, Täter und Opfer hätten sich nicht gekannt. Sicher ist, dass der Peiniger im Raum Schwamendingen/Oerlikon/Dübendorf wohnte und unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, als er übergriffig wurde. Aktuell befindet er sich in einer ambulanten psychiatrischen Klinik, aber nicht unter Polizeiaufsicht.
Die Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich im Januar oder Februar 2018 Anklage gegen ihn erheben. Momentan wartet sie noch auf das psychiatrische Gutachten des Täters.
Zur Verfassung des Opfers sagt Retter Remo Schmid, der mit der Frau in regelmässigen Kontakt steht: «Es geht ihr wieder etwas besser. Abgeschlossen hat sie mit der Geschichte wohl aber noch nicht.» (lue)