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Wohngemeinschaft statt Pfarrfamilie

Sechs junge Männer teilen sich seit einem Jahr das Pfarrhaus als Wohngemeinschaft. Religion ist im Haus immer noch allgegenwärtig: Abendmahl und Gebete gehören zum WG-Alltag.

Timo Keller, Mario Mauz, Christian Läderach, Lukas Bärlocher, Pascal Lottenbach, Mike Scheuzger und Beni Manig (von links) bilden zusammen eine christliche WG im Effretiker Pfarrhaus. (Bild: Christian Merz)

Wohngemeinschaft statt Pfarrfamilie

Eine grosse schwarze Polstergruppe und ein Salontisch, auf dem zwei dampfende Tassen Kaffee stehen: Das Wohnzimmer der Männer-WG im Pfarrhaus neben dem Friedhof Effretikon sieht auf den ersten Blick ziemlich gewöhnlich aus.

Doch das kleine weisse Liederblatt, das aus der Ablage ragt, verrät, dass hier nicht nur Kaffee getrunken wird: Es ist eine christliche Liturgie. «Das Liederblatt habe ich selber entworfen», sagt Beni Manig, einer der sechs Mitbewohner zwischen 22 und 25 Jahren, die in dem 9½-Zimmer-Haus leben.

Zu gross für den Pfarrer

Manig ist Theologiestudent und arbeitet als Jugendarbeiter in der Reformierten Kirche Rüti. Eine christliche WG schwebte ihm schon länger vor. «Es geht mir darum, christliche Werte wie Nächstenliebe und Gemeinschaft konkret zu leben und zu lernen, weniger egoistisch zu sein», sagt er.

Das Projekt haben die Männer vor knapp einem Jahr gestartet. «Der neue, junge Pfarrer Simon Weinreich konnte sich nicht vorstellen, mit seiner kleinen Familie in dieses grosse Haus zu ziehen, deshalb hat uns die Kirche das Pfarrhaus vorgeschlagen.»

Den Studenten kam es sehr gelegen, denn schon länger waren sie im Raum Zürich auf der Suche nach einer grossen Liegenschaft, deren Miete sie auch bezahlen können.

Diskussionen und Unstimmigkeiten

Alle sechs Mitbewohner sind Christen, aber mit unterschiedlichen Konfessionen und Prägungen. Einige besuchen die Freikirche ICF in Zürich, andere, wie Manig, die Reformierte Kirche Effretikon. «Das führt gelegentlich schon zu Diskussionen und Unstimmigkeiten», sagt Manig.

Seine Liturgie zum Beispiel sei nicht bei allen gut angekommen. «Nicht alle können sich mit alten Kirchenliedern identifizieren», sagt er.

Abendmahl gehört dazu

Einmal in der Woche, am Mittwochabend, feiern die WG-Mitbewohner im Wohnzimmer auf der schwarzen Polstergruppe ei­nen gemeinsamen Gottesdienst. Dort tauschen sie sich über solche unterschiedlichen Ansichten aus, singen christliche Lieder, ­beten gemeinsam und sprechen über geistliche Themen.

Der ­Feier voraus geht jeweils ein ­gemeinsames Abendessen – ein «Abendmahl», wie sie es nennen. Jede Woche sei jemand fürs Kochen zuständig. Der Verantwortliche könne natürlich Assistenten einspannen. «Ich koche aber am liebsten alleine.»

Damit das Essen einen rituellen Charakter bekommt, lesen die Mitbewohner vorher gemeinsam den Bibeltext, der das Abendmahl beschreibt. Da geht es wörtlich um Brot und Wein. «Wir haben uns für eine andere Form des Abendmahls entschieden», sagt Manig. Wein stehe aber meistens auch auf dem Tisch.

Gäste sind willkommen

Die Abendgebete, die Manigs Liturgie folgen, wollen die jungen Männer auch für andere Menschen zugänglich machen. Einmal im Monat ist der Anlass ­öffentlich. «Insbesondere die Jugendlichen der Reformierten Kirche Effretikon wollen wir ermutigen, bei uns mitzumachen», sagt Manig.

Die Kirche begrüsst dieses Angebot und unterstützt die WG. Regelmässig komme Pfarrer Simon Weinreich vorbei, um mit den jungen Männern zu sprechen und ihre Anliegen aufzunehmen.

Eine offene Tür für die Be­völkerung gehört zum Konzept der christlichen WG. Zu diesem Zweck steht ein möbliertes Gästezimmer zur Verfügung. Und eine Matratze liegt im Bandraum gegenüber dem Schlagzeug. Derzeit leben zwei Gäste im Pfarrhaus. «Das sind manchmal Leute, die eine kleine Auszeit brauchen», sagt Manig.

Nachtruhe für Instrumente

Dass eine achtköpfige Wohngemeinschaft mit mehreren aktiven Musikern und eigenem Bandraum wirklich ein Ort der Ruhe sein soll, ist schwer vorstellbar. «Wir haben uns gegenseitig verboten, den Bandraum am Abend für Proben zu nutzen», sagt Manig.

Gemeinsam mit seinem Mitbewohner Pascal Lottenbach und zwei weiteren Musikern spielt er schon seit acht Jahren zusammen und neu in der Folk-Rock-Band Adams Wedding. Der Bandraum sei zum Üben gedacht, auch zum spontanen Musizieren. Immerhin spielen fünf der sechs Mitbewohner ein Instrument.

«Es gibt aber tatsächlich Nachmittage, an denen ich allein zu Hause bin und meine Ruhe habe.» Das komme ihm gelegen, denn er sei derzeit gerade mit dem Schreiben seiner Bachelorarbeit beschäftigt. Seine Mitbewohner seien viel in der Universität oder bei der Arbeit.

Langer Feierabend

Laut wird es aber gelegentlich am Abend. «Ein Feierabendbier gehört schon fast dazu», sagt Manig. Häufig werde es ein Uhr nachts, bevor sich die gemütliche Runde im Gemeinschaftsraum wieder auflöse. «Wir sind alle soziale Typen und sitzen gerne lange zusammen», sagt Manig.

Die Konstellation der Nachteulen sei von Abend zu Abend verschieden. «Etwa alle zwei Wochen kommt jemand aus dem Schlafzimmer und bittet die anderen, ruhiger zu sein», sagt Manig.

Schwieriger Start, offenes Ende

Die ersten zwei Monate seien die schwierigsten gewesen, da hätten sie sich oft gestritten. «Eigentlich ging es um Kleinigkeiten», sagt der Student. Um die Vorhänge, die nicht allen gefielen oder die Sauberkeit. «Wenn jemand sich nicht an den Putzplan hält, muss er 40 Franken zahlen.»

Manigs Fazit nach einem Jahr ist aber positiv. Ihm gefällt die Wohnform und das grosse Haus mit seinen Möglichkeiten. Wie es mit der WG weitergeht, ist offen. «Wenn wir mit dem Studium fertig sind, werden wir vermutlich wieder einen anderen Weg einschlagen.»

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