Begehrt: Halal-Fleisch aus dem Schlachthof
Ali Gündogdu greift zum Schlachtmesser, den Blick Richtung Mekka, die linke Hand am Nacken des betäubten Lamms, das vor ihm in der Luft hängt. «Allahu akbar, Allahu akbar, Allahu akbar», flüstert er in das leise Surren und Brummen der Maschinen rund um ihn herum. Er schaut auf zum Lamm, streicht ihm mit dem Messer über den Hals, sucht die richtige Stelle.
«Bismillahirrahmanirrahim», im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen. Gündogdu schneidet dem Lamm die Kehle durch. Ein paar Sekunden Nervenzuckungen. Dann ist das Tier tot, wird vom Schlachtband fortgetragen, ausgenommen, zerlegt, in den Kühlraum gebracht.
Eine normale Schlachtung, wie es sie in Schlachthöfen in der Schweiz täglich gibt, mit dem Unterschied, dass der Schlachter ein gläubiger Muslim ist, vor dem Halsschnitt ein Gebet spricht, in Richtung Mekka schaut und ein Messer verwendet, das nur für Lämmer genutzt wird.
Dem Islam entsprechend
Diese Schlachtmethode ist «halal», also dem Islam entsprechend. Für Muslime ist es zentral, dass die Halal-Regeln eingehalten werden. Normales Fleisch essen sie aus Überzeugung nicht, halales schon. Der Unterschied: ein Gebet, eine Blickrichtung, ein Messer, mehr nicht. Anders als im Ausland müssen die Tiere in der Schweiz nämlich auch bei Halal-Schlachtungen betäubt werden (siehe Box).
Trotzdem: Dass in der Schweiz halal geschlachtet wird, gibt zu reden. Das hat auch Martin Hollenstein, Geschäftsleiter des Zentralschlachthofs Hinwil, zu spüren bekommen. Vor einigen Jahren hat Hollenstein auf Wunsch eines türkischen Fleischunternehmers, der seine Kunden mit Schweizer Fleisch beliefern wollte, mit den Halal-Schlachtungen begonnen. Bald schon machten Gerüchte die Runde. «In Hinwil schächten sie jetzt», habe man gemunkelt.
Dabei würde Hollenstein nie im Leben daran denken, ein Tier zu schächten, es also ohne vorgängige Betäubung zu töten. «Der Tierschutz wird bei uns grossgeschrieben. Wir haben rund um die Uhr Tierärzte vor Ort und halten uns an die gesetzlichen Vorgaben.» Er selbst habe schon Videos von Schächtungen gesehen, das habe ihm gereicht, das sei grausam.
Imam auf Schlachthofbesuch
Gegen die Idee, in seinem Schlachthof Halal-Fleisch zu produzieren, hatte Hollenstein aber nichts einzuwenden. «Der Kunde kam mit einem Imam vorbei. Der Imam hat die Anlage inspiziert, wir haben unsere Standards erklärt, er hat sein Einverständnis gegeben.»
Ein offizielles Halal-Zertifikat für geschlachtete Tiere gibt es in der Schweiz nicht. Mit dem Kunden hat Hollenstein aber einen Vertrag abgeschlossen, in dem die wichtigen Punkte festgehalten sind. Die Ferienpläne seiner drei muslimischen Schlachter sind so aufeinander abgestimmt, dass einer immer vor Ort ist. Über die Schlachtungen wird genau Buch geführt.
«Eigentlich verlaufen alle unsere Schlachtungen nach den Halal-Kriterien», sagt Hollenstein, «weil immer mindestens ein Muslim beteiligt ist, der die entsprechenden Gebete spricht. Ausser natürlich bei den Schweineschlachtungen.»
Halal-Fleisch gefragt
Dass das Halal-Fleisch «made in Hinwil» bei den Kunden gut ankommt, zeigt der geschäftliche Erfolg des türkischen Unternehmers. Erst kürzlich hat er in Siebnen SZ eine neue Filiale eröffnet, in der er das Hinwiler Halal-Fleisch verkauft.
Hinter der riesigen Fleischtheke steht Neçmi Aydogan, Sohn des Unternehmers und ausgebildeter Metzger. «Das Schweizer Halal-Fleisch ist qualitativ auf einem ganz anderen Level als das importierte», betont Aydogan und drückt auf ein Filetstück. «Viel zarter, besser. Das liegt an der Betäubung der Tiere. Die kommt für das Tier unerwartet, deshalb ist es bei der Schlachtung nicht gestresst und nicht verspannt.»
Betäubung und Mohammed
Auch wenn es für die allermeisten seiner Kunden kein Problem darstellt, dass die Tiere mit Strom betäubt wurden, spürt Aydogan hie und da Widerstände gegen das tierschutzkonforme Schweizer Halal-Fleisch. «Manche Muslime glauben halt, die Betäubung bringe das Tier um. Und wenn das Tier beim Halsschnitt schon tot ist, dann wäre das in ihren Augen Aasfleisch und deshalb nicht essbar.»
Gerade am Morgen habe er einen Kunden aus Algerien gehabt, der sich partout geweigert habe, Fleisch von betäubten Tieren zu kaufen. «Solche Diskussionen habe ich jeden Tag», sagt Aydogan. Er versuche dann jeweils zu erklären, dass in der Schweiz strenge Tierschutzregeln gälten. Und: «Schon der Koran sagt, dass man keine Tiere quälen dürfe.» Er überlegt kurz und sagt: «Wenn Mohammed heute lebte, würde er die vorgängige Betäubung mit Strom wohl gutheissen.»
Doch Aydogan versucht, seine Kunden nicht nur mit religiösen Argumenten zu überzeugen. Viel besser ziehen die wirtschaftlichen. «Ich erkläre ihnen, dass man betäubte Tiere wesentlich einfacher und schneller schlachten kann, weil die sich nicht mehr nach Kräften wehren. Der Aufwand ist kleiner, die Effizienz höher, die Kosten entsprechend tiefer.» Aydogan weiss das. In seiner Heimat, der Türkei, hat er auch schon Tiere ohne Betäubung geschlachtet. Das sei mühsam, wirklich mühsam.
Die Idee mit dem Oblicht
Zurück im Schlachthof Hinwil: Martin Hollenstein steht inmitten der Schlachthalle, im Hintergrund bambeln die ausgebluteten Lämmer am Schlachtband vorbei. Da ist Blut, da ist Fell, so ist das beim Schlachten. Wer Fleisch essen will, der muss in Kauf nehmen, dass Tiere getötet werden. «Wichtig ist der würdige Umgang mit den Schlachttieren», sagt Hollenstein und zeigt auf die Räume, von wo aus die Lämmer durch einen schmalen Gang in die Schlachthalle gelangen.
Hollenstein liess kürzlich die bekannte amerikanische Tierwissenschafterin Temple Grandin einfliegen. Sie hat den Schlachthof besichtigt und Massnahmen vorgeschlagen, um ihn tierfreundlicher zu gestalten. «Wir haben zum Beispiel die Oblichter in den Warteräumen entfernt, weil gleissendes Licht in den Tieren Stress auslöst», erzählt Hollenstein. Ihm ist es wichtig, dass die Tiere möglichst nichts davon mitbekommen, was mit ihnen hier geschieht.
Am Ende des Gangs zwischen Warteraum und Schlachthalle werden die Tiere mit einer Elektrozange betäubt. Bei den Kälbern, die an einem anderen Band geschlachtet werden, funktioniert die Betäubung via Bolzenschuss. Schlächter Gündogdu, der gläubige Muslim, findet das gut so. «Eine Betäubung muss sein, sonst hätte ich Bedenken, die Tiere zu schlachten.»
Dann verfällt er wieder in seinen gewohnten Rhythmus. Nackengriff, «Allahu akbar, Allahu akbar, Allahu akbar», Blick nach Mekka, «Bismillahirrahmanirrahim», Schnitt. Die Lämmer bekommen von den Gottesrufen nichts mehr mit. (Samuel Schumacher)
Politischer Widerstand gegen Halal-Importe
Schächtungen, also Schlachtungen ohne vorgängige Betäubung, sind in der Schweiz seit 1893 verboten. Damit Juden dennoch zu ihrem koscheren und Muslime zu ihrem halalen Fleisch kommen, versteigert der Bund jährlich Importkontingente für geschächtetes Fleisch.Die Produktion von halalem und koscherem Fleisch gleicht sich stark. Beide Schlachtarten setzen religiöse Schlächter, Gebete und spezielle Schlachtmesser voraus. In den letzten Jahren wurden jeweils 350 Tonnen halales Rind- und 175 Tonnen halales Schaffleisch sowie 295 Tonnen koscheres Rind- und 20 Tonnen koscheres Schaffleisch importiert.
Import im Visier
Gegen die Importbestimmungen für Halal-Fleisch regt sich nun politischer Widerstand. Der Walliser CVP-Nationalrat Yannick Buttet fordert in einer parlamentarischen Initiative, dass die Importkontingente, die nur von Muslimen ersteigert werden können, verteuert und die Deklarationspflicht neu geregelt werden sollen.
Buttet will damit Fehlanreize beseitigen, die aus der momentanen Handhabung entstehen: Der Import eines Kilos Halal-Fleisch ist heute viermal günstiger als der Import eines Kilos Fleisch aus glaubensunabhängiger Schlachtung. Begründet wird das damit, dass Muslime durch das Schächtungsverbot in der Schweiz in ihrer Religionsausübung eingeschränkt und auf Fleischimporte angewiesen seien.
Zudem muss Halal-Fleisch heute gemäss Schlachtviehverordnung nur bis zur ersten Verkaufsstelle deklariert werden. Der Verdacht: Muslimische Importeure profitieren von den günstigen Kontingentsgebühren und verkaufen das Fleisch undeklariert und zum normalen Fleischpreis weiter.
«Keine Polemik»
Buttet betont, ihm gehe es um die Beseitigung dieser Missstände und nicht um die Einschränkung religiöser Grundrechte. «Meine Initiative will ein echtes Problem lösen und nicht für Polemik sorgen.»
Auch Ruedi Hadorn, Direktor des Schweizerischen Fleisch-Fachverbands (SFF), findet die lasche Deklarationspflicht bedenklich: «Fleisch ist ein emotionales Konsumgut. Für gewisse Konsumenten dürfte es ein Problem sein, wenn ihnen vorenthalten wird, dass sie Halal-Fleisch von betäubungslos geschlachteten Tieren essen.»
Dass dies wohl durchaus vorkommt, zeigte ein Versuch des SFF im Kanton Genf. 2011 kaufte ein Testkäufer dort für 2000 Franken Halal-Fleisch von unbetäubten Tieren aus Frankreich. Dass er diese Menge nicht selber braucht, sondern sie (wohl undeklariert) weiterverkaufen wollte, sei offensichtlich gewesen, sagt Hadorn.
Zusätzliche Nachfrage
Sollte Buttet mit seinem Anliegen durchkommen, würde der Import von Halal-Fleisch teurer. Die Nachfrage nach in der Schweiz produziertem Halal-Fleisch würde zunehmen. Ali Gündogdu und seine muslimischen Metzgerkollegen müssten ihren Schlachtrhythmus noch einmal erhöhen. (sas)