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Bauern lassen ihre Kühe früher schlachten

Die Bauern im Zürcher Oberland leiden an der Trockenheit. Weil das Gras nicht nachwächst, wird das Futter für die Tiere knapp. Deshalb lassen viele ihre Kühe früher als üblich schlachten – und riskieren finanzielle Einbussen.

Im Schlachthof Hinwil leisten die Metzger derzeit Überstunden. (Archivfoto: Seraina Boner), Im Schlachthof Hinwil leisten die Mitarbeiter derzeit Überstunden. (Archivfoto: Seraina Boner), «Die Lage ist prekär»: Viehzüchter Robert Hess lässt derzeit vorzu Tiere schlachten - viel früher als üblich. (Archivfoto: Mirjam Müller), Im Schlachthof Hinwil leisten die Metzger derzeit Überstunden. (Archivfoto: Seraina Boner)

Bauern lassen ihre Kühe früher schlachten

Der Juli fügt sich ein in die Reihe der zu warmen Monate. Seit April ist es in der Schweiz durchschnittlich um bis zu zwei Grad zu warm. Auffällig ist auch die grosse Trockenheit. Teilweise fehlte gemäss neuen Zahlen von Meteonews über 50 Prozent des üblichen Niederschlags. Das spüren vor allem die Bauern.

«Seit ich den Betrieb führe, habe ich das noch nie so erlebt», sagt Viehzüchter Robert Hess (67) aus Dürnten. Zwar sei auch das Jahr 2003 sehr trocken gewesen, mit diesem Sommer sei es jedoch nicht zu vergleichen. Verschärfend komme diesmal hinzu, dass auch die Alpweiden über sehr wenig Wasser verfügen. Die Folge: Das Futter geht im Tal und auf den Alpen bei vielen Bauern zur Neige – und Nachschub ist weit und breit nicht in Sicht.

«Die Lage ist prekär»

Die Futterknappheit habe bereits die Heupreise in die Höhe getrieben, sagt Hess. Auf das Angebot hätten die hohen Preise jedoch keinen Einfluss gehabt – es ist buchstäblich ausgetrocknet. Auch aus dem Ausland könnten Schweizer Bauern momentan kaum noch vernünftig Heu importieren, da weite Teile Europas ebenfalls von der Trockenheit betroffen seien.

Viehzüchter Robert Hess lässt derzeit vorzu Tiere schlachten – viel früher als üblich. (Archivfoto: Mirjam Müller)

«Die Lage ist sehr prekär», sagt Hess. «Diejenigen, die können, sollten am besten jetzt schlachten.» Denn noch seien die Preise hoch. «Jetzt ist Vorausdenken angesagt. Die grosse Welle kommt erst noch, wenn die Tiere von der Alp kommen.»

«Bei anhaltend hohem Angebot wird der Preis fallen»

Martin Hollenstein, Geschäftsführer Schlachthof Hinwil

Sein Betrieb Hess Select schlachtet derzeit vorzu Kühe – viel früher als sonst üblich. Einerseits solche, die für die Zucht und Nutzung von zweifelhafter Qualität seien, andererseits solche, die sie im Herbst sowieso in den Schlachthof gegeben hätten. Jetzt zu schlachten habe mehrere Vorteile: «Zum einen erzielt man noch einen höheren Preis, zum andern fressen diese Tiere dann nicht die Vorräte weg.»

25 Prozent mehr Schlachtungen

Im Schlachthof Hinwil spürt man die Auswirkungen der Futterknappheit ebenfalls. «Wir haben momentan 20 bis 25 Prozent mehr Kuhschlachtungen als sonst zu dieser Jahreszeit», sagt Geschäftsleiter Martin Hollenstein. In dem Ausmass habe er das noch nie erlebt. «Dieses Jahr kommen die Tiere ein bis zwei Monate vorgeschoben.» Normalerweise schlachte man erst im Oktober und November so viele Tiere wie jetzt, wenn das Vieh von der Alp kommt.

Im Schlachthof Hinwil leisten die Metzger derzeit Überstunden. (Archivfoto: Seraina Boner)

Dafür werde es dann im Herbst ruhiger, sagt Hollenstein. «Eine Kuh kann nur einmal geschlachtet werden.» Der Betrieb laufe dennoch normal. «Es gibt jetzt einfach mehr Arbeit, das ist sich ein Metzger aber gewohnt. Bei Hochkonjunktur arbeiten wir halt ein bisschen länger.»

Noch hält der Markt. Die Preise für eine Kuh liegen derzeit bei 8,50 Franken pro Kilo. «Das ist ein Höchstpreis. Bei anhaltend hohem Angebot wird der Preis jedoch fallen», sagt Hollenstein. Für den Bauern sei es eine schwierige Situation. Wenn das Alpvieh wegen der Wasserknappheit wieder ins Tal komme, dürften die Preise wahrscheinlich stärker unter Druck kommen.

Winterreserven anzapfen

Bauer Markus Waldvogel aus Hinwil muss bald die Wintervorräte verfüttern. Im Frühling sei das Gras noch gut gewachsen. «Der dritte Schnitt war dann schon unterdurchschnittlich und seit drei bis vier Wochen wächst gar nichts mehr», sagt Waldvogel.

Waldvogel rechnet damit, dass viele Bauern ihre Viehbestände verkleinern. Er selbst hat bis jetzt noch keine Kuh geschlachtet. «Ich habe aber bereits aussortiert und die Namen der Kühe auf einem Zettel notiert.» Eine Woche werde er noch warten, dann mache er sich ans Metzgen.

«Es ist eine komplexe Situation»

Markus Waldvogel, Landwirt

Der Nachteil am frühen Metzgen ist, dass die Tiere weniger Gewicht auf die Waage bringen und damit einen geringeren Preis erzielen. Waldvogel rechnet mit gegen 500 Franken Mindereinnahmen pro Kuh. Auf der anderen Seite koste das Futter auch. «Es ist eine komplexe Situation», sagt er. «Wir versuchen das Beste daraus zu machen.» Im Moment würde er eher Futter zukaufen als allzu viele Tiere zu metzgen.

Oberland besonders betroffen

Er sei in den vergangenen Tagen in vielen Regionen unterwegs gewesen, sagt Robert Hess. «Das Zürcher Oberland ist besonders betroffen. Sowohl in der Innerschweiz als auch im Kanton Schaffhausen ist es grüner als hier.» Das sei absolut unüblich. Dies bestätigt auch Markus Waldvogel: Eine solche Trockenheit kenne man im Zürcher Oberland nicht. «Wir haben hier relativ schwere Böden, die das Wasser speichern. Selbst 2003 hatten wir bei uns in der Gegend gute Erträge. Doch dieses Jahr trifft es alle.»

«Wenn es so bleibt, haben wir einen Jahrhundert-Trockensommer»

Daniel Wäfler, Landwirt

Damit nicht genug: Wenn es noch 10 bis 14 Tage so heiss und trocken bleibe, verschärfe sich die Situation weiter, so Hess. «Falls es so weit kommt, verbrennen auch die Graswurzeln, dann wächst dieses Jahr überhaupt nichts mehr wirklich Brauchbares.»

Diese Einschätzung teilt auch Bauer Daniel Wäfler. «Wenn es bis Mitte August so bleibt, haben wir einen Jahrhundert-Trockensommer», sagt der Gossauer. «Dann braucht es viel Zeit, bis sich die Wiese erholt.» Da er eine weniger intensive Landwirtschaft betreibt, hat der Gossauer derzeit noch genügend Reserven. Wenn aber der letzte Schnitt mager ausfalle, werde es auch für ihn eng, sagt Wäfler.

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