Das Ende der Seilbahntechnik im Oberland – und ein Neubeginn
Dünne Fäden statt dicke Seile
Rund 25 Jahre sorgte Stefan Halbheer dafür, dass die Skilifte in der Region zuverlässig und sicher sind. Ein Unfall veränderte sein Leben schlagartig. Heute beschäftigt er sich nicht mehr mit dicken Stahlseilen, sondern mit dünnen Textilfäden.
Wer die Sonnenbergstrasse 7a in Tann betritt, der sieht dunkles Parkett und geschmackvolle Regale, in denen sorgfältig gefaltete Shirts und Polos liegen, dazu Jacken, Hosen und Hemden aus robusten Materialien und in modischen Schnitten.
Doch das leise Brummen der Stickmaschinen deutet darauf hin, dass sich hier kein Modegeschäft befindet, in dem man «lädele» kann, sondern der Showroom der Newoutfit AG. Das Unternehmen steht für hochwertige Arbeits- und Teambekleidung, die praktisch, bequem und zugleich professionell sein muss. Ergänzt wird das Sortiment durch Accessoires wie Taschen, Rucksäcke und Caps.

Die Kundschaft sind nicht Privatpersonen, sondern Firmen und Vereine. Hier finden sie Berufs- oder Vereinsbekleidung, die direkt vor Ort auf modernen Maschinen bedruckt oder bestickt wird. «Jedes Stück wird individuell veredelt – vom strapazierfähigen Arbeitspolo bis zur wetterfesten Softshell-Jacke», sagt Inhaber Stefan Halbheer.
Dass Halbheer die Newoutfit AG im Jahr 2025 übernommen und von Hombrechtikon nach Tann gezügelt hat, war so nicht vorgesehen. Halbheer hatte sich 2001 mit einer Firma für Seilbahntechnik selbständig gemacht. «Ich bin eigentlich davon ausgegangen, den Job bis 65 zu machen», sagt der heute 51-Jährige. «Es lief gut, und ich habe die Arbeit draussen an der frischen Luft geliebt.»
Der Unfall
Der Tag, der alles veränderte, war im März 2022. Für Stefan Halbheer begann er wie viele andere. Frühmorgens stieg er in Tann in seinen Lieferwagen, um in der Innerschweiz Servicearbeiten an einer Gondelbahn durchzuführen.
Seit 22 Jahren hatte er mit seiner Einzelfirma Seilbahntechnik SHS Anlagen in der ganzen Schweiz gewartet und repariert – von Skiliften im Zürcher Oberland bis zu Gondelbahnen in den Alpen. «Es gab immer wieder erstaunte Blicke, wenn ich mit der ZH-Nummer auf einer abgelegenen Alp auftauchte», erzählt der Oberländer lachend.
In einem Markt, der von Grossfirmen wie Garaventa oder Bartholet dominiert wird, hatte sich Halbheer mit seinem Fachwissen, besonders für ältere Anlagen, einen soliden Kundenstamm aufgebaut.
Beim Einsatz an diesem Tag im März wollte er sich gerade für den Übertritt auf das Dach einer Gondel sichern – und rutschte auf dem Geländer aus. «Ich weiss bis heute nicht, was genau passiert ist.» Halbheer stürzte fünf Meter in die Tiefe und prallte auf eine Betonplatte. «Ich bin einfach froh, dass ich noch lebe und dass ich noch gehen kann», sagt er rückblickend.
Denn er hatte grosses Glück im Unglück: acht gebrochene Rippen, ein gebrochenes Schlüsselbein, eine gebrochene Hand und ein Schädel-Hirn-Trauma. Dank seiner kräftigen Rückenmuskulatur, die er sich über die Jahre bei der Arbeit auf Seilbahnmasten zugelegt hatte, blieb seine Lunge, abgesehen von einem kleinen Riss, unverletzt.
Es folgten Intensivstation, Rehabilitation und langwierige Therapien, die bis heute andauern. Trotzdem stand Stefan Halbheer wenige Monate nach dem Unfall wieder auf einem Skiliftmast: «Ich hatte viel Arbeit und wollte meine Aufträge zu Ende bringen.»
Wegen der ständigen Schmerzen, der Flachatmigkeit und der Erschöpfungszustände war es ihm aber nicht mehr möglich, seine Arbeit mit der gewohnten Leistung und Sicherheit auszuüben: «Schmerzen machen müde.»
Nach einem halben Jahr kündigte ihm die Taggeldversicherung, und eine neue liess sich mit seiner Vorgeschichte nicht finden.
Hinzu kam das Risiko seiner Einzelfirma: Wäre ein weiterer Unfall geschehen oder bei einer gewarteten Seilbahnanlage ein Schadenfall aufgetreten, hätte Halbheer mit seinem Privatvermögen gehaftet – auch mit seinem Haus in Tann: «Das Risiko konnte ich mir und meiner Familie nicht aufbürden.»
Der Zufall
Er begann, sich nach Alternativen umzuschauen. «Ich wollte selbständig bleiben. Mich irgendwo anstellen lassen, das kam für mich nicht infrage.» Und wie oft im Leben trat der Zufall auf den Plan. Ehefrau Sonja Halbheer, die als Fahrlehrerin ebenfalls selbständig ist, wollte bei der Newoutfit AG in Hombrechtikon Shirts mit dem Logo ihrer Fahrschule bedrucken lassen.
Inhaber der Firma war Marco Müller, Werkzeugmacher wie Stefan Halbheer und wie er in Hombrechtikon aufgewachsen. Die beiden kannten sich seit Jahren, bei der Firma PWR in Rüti hatte Marco Müller den jungen Stefan Halbheer damals als Mentor begleitet.
Halbheer suchte eine neue berufliche Aufgabe, Müller eine geeignete Nachfolge für seine 1995 gegründete Newoutfit AG. Man kam ins Gespräch und merkte schnell: Das passt. «Nach einer schlaflosen Nacht war mein Entscheid gefällt, mich neu zu orientieren», erinnert sich Halbheer.

Der Neuanfang
Zuerst aber galt es, eine Lösung für den Seilbahnservice in Tann zu finden. Fündig wurde Halbheer bei einem ehemaligen Geschäftspartner, der sich selbständig machen wollte.
Im Sommer 2024 verkaufte Halbheer sein Inventar – Maschinen, Werkzeuge, Ersatzteile – und übergab auch seine laufenden Aufträge. «Mir war wichtig, dass alles in gute Hände kommt», sagt er.
Nur ein Jahr lag zwischen dem Entscheid, sich neu zu orientieren, dem Verkauf seiner Seilbahntechnikfirma und der Übernahme der Textilfirma. «Es ging alles unglaublich schnell. Vielleicht musste es einfach so kommen», meint Halbheer.
Am 1. Juni 2025 zügelte er die Newoutfit AG von Hombrechtikon nach Tann. Wo noch vor wenigen Monaten eine ölverschmierte Drehbank stand, hängen heute Business-Hemden und Arbeitskleider. Statt mit dicken Stahlseilen beschäftigt sich Stefan Halbheer heute mit feinen Textilfäden. Unterstützt wird er vom bestehenden Team und von seinem Vorgänger, der an mindestens zwei Tagen pro Woche mithilft.
Denn auch drei Jahre nach dem Unfall kann Stefan Halbheer noch nicht wieder voll arbeiten. Trotzdem zieht er ein positives Fazit: «Ich bin dankbar, dass ich einen neuen Weg gefunden habe – und dass ich wieder Freude an meiner Arbeit habe.»
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