«Ein Schliesssystem umfasst längst mehr als nur Schloss und Schlüssel»
50 Jahre Dormakaba in Wetzikon
In Wetzikon werden seit einem halben Jahrhundert Schlüssel hergestellt. Ein Blick in die Produktion von Dormakaba zeigt, wie Präzision, Maschinen und Handarbeit zusammenwirken.
60 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer tragen einen Schlüssel aus Wetzikon auf sich. Denn dort befindet sich der Produktionsstandort der traditionsreichen Firma Dormakaba. Gegründet wurde die Produktionsstätte vor 50 Jahren von der Kaba Schweiz AG; nach der Fusion von Kaba und Dorma im Jahr 2015 firmiert sie heute unter dem Namen Dormakaba.
Das 50-Jahr-Jubiläum des Wetziker Standorts und das 10-Jahr-Fusionsjubiläum wurden am vergangenen Freitag und Samstag mit einem Tag der offenen Tür gefeiert. Die Besucherinnen und Besucher erhielten Einblicke hinter die Kulissen und konnten miterleben, wie der kleine, aber doch wichtige Alltagsbegleiter entsteht.
Massivgold als Spezialwunsch
Kaum durch das Werkstor getreten, verändert sich die Atmosphäre: Gleichmässiges und lautes Rattern erfüllt die erste Halle. Hier entstehen Tag für Tag unzählige Schlüsselrohlinge. Auf einer grossen Rolle glänzt ein breites Messingband, das in die Stanzmaschine gezogen wird. Mit einem kräftigen Schlag fährt die Presse nieder – pro Sekunde entstehen so zwei neue Rohlinge.
Haben sie erst einmal die Grundform, werden die Rohlinge an Dutzende weitere Maschinen weitergegeben, wo sie gelasert, gefräst und mit dem Logo von Dormakaba versehen werden. Es ist sehr laut in den Hallen; einige der Mitarbeitenden tragen Kopfhörer oder Gehörschutz.



Im nächsten Arbeitsschritt erhalten die zugeschnittenen Schlüssel ihre Beschichtung. «Der Kunde kann selbst bestimmen, wie er seinen Schlüssel gerne hätte – vergoldet, nickel-matt, in Rosé oder fast jeder anderen Variante», erklärt Christoph Kunz, Leiter des Produktionsstandorts Wetzikon.
Eine Anekdote ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Ein Auftraggeber aus dem Mittleren Osten wünschte Schlüssel mit einer Massivgold-Beschichtung. «Das übernahm dann aber der Mensch, nicht die Maschine. Jedes Korn Goldstaub wurde akribisch aufgewischt», erinnert sich Kunz.
Moderne Systeme, motivierte Mitarbeitende
Während die Maschinen unermüdlich weiterarbeiten, richtet Geschäftsführer Stefan Ammann den Blick vom einzelnen Rohling auf das grosse Ganze. «Die Entscheidung, in der Schweiz zu produzieren und somit die Gründung des Standorts Wetzikon, ist ein grosser Vorteil und bildet bis heute die Basis für unsere Arbeit.»
Schon früh habe man bei Dormakaba auf Digitalisierung gesetzt. «Wir starteten mit E-Commerce, noch bevor Apple 2007 den iPod Touch erfand. Heute erfolgen 90 Prozent der Bestellungen über unsere Online-Plattform.» Dank Automatisierung und optimierten Abläufen könne das Unternehmen kurze Lieferzeiten garantieren. Ohne diese Schritte, betont Ammann, wäre es nicht mehr möglich, weiterhin in der Schweiz zu produzieren.
Um die Schliesssysteme herstellen zu können, braucht es gefestigte Abläufe und Maschinen – aber auch Menschen, die diese Maschinen bedienen und reparieren können. Geschäftsführer Ammann: «Wir setzen auf ein Arbeitsumfeld, in dem sich jede und jeder geschätzt und wohl fühlt. Im Schnitt bleiben uns die Mitarbeitenden zehn Jahre erhalten; manche auch länger. Ein Mitarbeiter hat einst die Lehre bei Dormakaba gemacht – jetzt sitzt er in der Geschäftsleitung.»
Zwischen Ikone und Modernisierung
Zurück in die Produktionsstätte. Jährlich entstehen in Wetzikon 3,5 Millionen Schlüsselrohlinge – der mechanische Schlüssel ist aus dem Alltag nicht wegzudenken. Und doch spielt auch hier die Digitalisierung eine grosse Rolle.
In einer weiteren Halle von Dormakaba arbeiten Mensch und Maschine gemeinsam an elektronischen Schliesssystemen; Türen werden heute nicht nur mit einem Schlüssel, sondern auch per Badge, Handy oder sogar Fingerprint geöffnet. «Ein Schliesssystem umfasst längst weit mehr als nur Schloss und Schlüssel. Alles, was mit Zugang zu tun hat, fällt in diese Produktkategorie», so Produktionsstandortleiter Christoph Kunz.


Geschäftsführer Stefan Ammann ergänzt: «Der mechanische Schlüssel ist eine Ikone. Elektronische Systeme gewinnen jedoch an Bedeutung, weil sie die mechanischen ergänzen.»
Heute könnten Türen etwa mit Apple- oder Google Wallet geöffnet werden, man bezahlt mit dem Handy oder loggt sich im PC mit dem Telefon ein. «Für grosse internationale Firmen ist das ideal: keine Badges mehr, alles direkt auf dem Handy», erklärt Ammann. Natürlich gibt es auch Grenzen: Wenn der Akku leer ist oder das Telefon zu Hause liegen geblieben ist. «Viele würden aber eher noch einmal umkehren, um ihr Handy zu holen, als für ihren Schlüssel – an Ersterem hängt einfach mehr.»
Maschine und Mensch im Einklang
Doch so modern die Schliesssysteme auch sind – ein Grossteil der Sicherheit steckt nach wie vor im klassischen Zylinder, auch bei elektronischen Systemen. Er sorgt als mechanisches Backup dafür, dass Türen auch bei leerem Akku oder Ausfall der Elektronik zuverlässig öffnen und schliessen.
Bei Dormakaba werden also nicht nur Schlüssel produziert, sondern auch die passenden Zylinder. Auch hier arbeiten Maschinen und Menschen Hand in Hand. In einer der letzten Hallen wird das besonders deutlich: In einer Reihe stehen moderne, zwei Jahre alte Maschinen, die Zylinder automatisch zusammenbauen. Direkt daneben verrichten etwa 25 Jahre alte Maschinen dieselbe Aufgabe. Und in einer dritten Reihe sitzen vereinzelte Mitarbeitende an Tischen und setzen Zylinder aus winzigen Einzelteilen von Hand zusammen.

Auf Bildschirmen vor ihnen sind verschiedene Nummern zu sehen, die den Mitarbeitenden genau anzeigen, aus welchem Fach sie welches Teil entnehmen müssen, um den Zylinder korrekt zusammenzusetzen. «Gerade bei Zylindern mit speziellen Funktionalitäten ist Handarbeit ein unerlässlicher Bestandteil», so Christoph Kunz.
Das steigende Bedürfnis nach Sicherheit
Ob mechanisch oder elektronisch, ob von der Maschine gefertigt oder von Hand zusammengesetzt – jedes Schliesssystem spielt eine entscheidende Rolle für die Sicherheit. Dieses Bedürfnis nach Schutz sei in den letzten Jahrzehnten gewachsen, wie der Schweizer Geschäftsführer Stefan Ammann sagt. «Die Bevölkerung verdichtet sich. Sicherheit im Privaten spielt eine grössere Rolle, sei es bei Schlössern, Fenstern oder Alarmanlagen.»
Es gehe aber auch um die sichere Steuerung des Personenflusses, etwa am Flughafen Zürich. «Tausende Passagiere bewegen sich täglich durch die Terminals. Moderne Zutrittssysteme sorgen dafür, dass nur autorisierte Personen in bestimmte Bereiche gelangen.» Gleichzeitig werde der Personenfluss effizient gesteuert, etwa durch elektronische Türen und Gates.
Die Sache mit dem verlorenen Schlüssel
Am Ende der Führung durch die Produktion gelangt man zu den Regalen voller Versandmaterial: Sind die Schlüssel und Zylinder fertig produziert und codiert, gehen sie an die Kundinnen und Kunden. Dormakaba verschickt aber nicht nur neue Bestellungen, sondern auch nachproduzierte Schlüssel. «Teilweise lassen sich Schlüssel bis zu 50 Jahre zurückverfolgen und nachproduzieren», sagt Geschäftsführer Ammann. Dafür werden alte Registerbücher genutzt, deren historische Schlüssel- und Fertigungsdaten ins digitale System übernommen werden.
Diese akribische Dokumentation aller Produktdaten prägt den Alltag bei Dormakaba mit: Jeden Montag kommen stapelweise verlorene Schlüssel an, die wieder in den Umlauf gebracht werden müssen. «Wir haben ein Teammitglied, das sich nur um deren Rücksendungen kümmert», erzählt Ammann. Auf die Frage, wie viele Schlüssel er selbst schon verloren hat, lacht er und sagt: «Viele!»